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Eine Hülle für den Sarkophag

Umwelt. - Bis zuletzt wurde gerungen, jetzt soll das Vertragswerk offiziell abgesegnet werden: Es geht um die mehr als eine Milliarde Euro teuren Sanierungsarbeiten und den sicheren Einschluss des Reaktors im ukrainischen Tschernobyl.

Von Dagmar Röhrlich | 17.09.2007
    Bei Tschernobyl ist Geduld gefragt. Nicht nur, weil das strahlende Erbe noch in Zehntausenden von Jahren messbar sein wird, sondern auch, weil es allein zehn Jahre gedauert hat, ehe ein Sicherheitskonzept für den Unglücksreaktor organisiert und politisch durchgefochten war. Jetzt regelt ein Vertrag zwischen dem Betreiber von Tschernobyl und dem französisch geführten Konsortium Novarka die Sicherung der Ruine. Die Gesamtkosten für die Sanierung des alten Sarkophags und den Bau des neuen sicheren Einschlusses, wie der Überbau genannt wird, liegt bei über einer Milliarde Euro. Das Geld verwaltet die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD.

    "Dabei handelt es sich nicht um das normale Kapital der EBRD, sondern um einen Fonds, in den 30 Geberstaaten und die EU eingezahlt haben. Der Fonds für die Sicherung des Sarkophags hat bislang Mittel von mehr als 800 Millionen Euro erhalten."

    300 Millionen seien bereits für die Vorarbeiten und die Stabilisierung des maroden Sarkophags ausgegeben worden, erklärt Balthasar Lindauer, stellvertretender Direktor der Abteilung Nukleare Sicherheit der EBRD:

    "Ingenieurstudien zur Sicherung des Sarkophags wurden durchgeführt, Umkleidekabinen für die Arbeiter wurden errichtet, ebenso eine medizinische Station. Aber vor allem wurden Sicherungsmaßnahmen am Sarkophag durchgeführt, der 1986 eilig über dem Havaristen errichtet worden ist. Ziel war es, die Einsturzgefahr zu minimieren. Diese Arbeiten laufen seit Jahren."

    Sie waren schwierig, weil die Strahlung an manchen Stellen so hoch ist, dass die Männer im Laufschritt arbeiten mussten. Deshalb wurde jede Aktion minutiös geplant, Kompliziertes an Modellen trainiert. Die notwendigsten Maßnahmen sind jetzt abgeschlossen. So erhielt der Sarkophag ein Stahlskelett, das das einsturzgefährdete Dach stabilisiert. Die akute Kollapsgefahr ist wesentlich kleiner.

    "Inzwischen sind wir so weit, dass wir mit dem detaillierten Design des neuen sicheren Einschlusses beginnen können. Design und Bau werden in den nächsten vier oder fünf Jahren laufen."

    Die EBRD hatte die Ausschreibung im Auftrag der Geldgeber überwacht. Allerdings gab es darum jahrelang Querelen. Während die Westeuropäer erklären, dass ukrainische Regierungskreise einem amerikanischen Konsortium den Auftrag zuschanzen wollten, begründet die ukrainische Seite die Debatte mit Qualitätsbedenken. Denn hinter Novarka stecken unter anderem die französischen Konzerne Vinci und Bouygues und die sollen – laut Ukraine – auch am Bau eines Langzeitzwischenlagers für abgebrannte Brennelemente in Tschernobyl beteiligt gewesen sein. Letzteres hat sich als Fehlplanung erwiesen, der teure Bau als so nicht brauchbar. Wer auch immer Recht hat: Jetzt gibt es eine Lösung. Die Amerikaner sanieren das Langzeitzwischenlager, und das französische Konsortium baut den neuen sicheren Einschluss.

    "Die Entscheidung ist zugunsten eines Bogens gefallen, der etwas entfernt vom Havaristen montiert und dann über den Sarkophag geschoben wird. Das soll die Strahlenexposition für die Arbeiter so gering wie möglich halten."

    Der Sarkophag wird unter einer Art Hangar verschwinden, einem 100 Meter hohen und 250 Meter weiten Bogen. Bis 2011 soll er fertig sein. Das ist die Vorgabe für die Novarka, zu der auch die deutschen Firmen Nukem und Hochtief gehören.

    "Der neue sichere Einschluss soll verhindern, dass weiterhin Regen und Schnee in den Sarkophag eindringen. Das wichtigste Ziel ist jedoch, eine sichere Umgebung zu schaffen, in der großes Gerät wie Kräne sicher arbeiten können. Der Einschluss soll 100 Jahre halten, damit der Sarkophag eventuell auseinander genommen werden kann. Man hat also 100 Jahre Zeit, eine Lösung für das radioaktive Inventar des Sarkophags zu finden."

    Denn noch weiß niemand, wie der explodierte Reaktor sicher zerlegt werden kann. Ein Rückbau im 22. Jahrhundert wäre ohnehin Sache der Ukraine.