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Eine Impfung gegen Lungenkrebs

Da Tumore aus dem Gewebe der Betroffenen selbst entstehen, werden sie meist vom körpereigenen Immunsystem toleriert. Argentinische Forscher haben einen Behandlungsansatz für Lungenkrebs entwickelt, der den Organismus dennoch dazu bringt, Antikörper zu bilden.

Von Victoria Eglau | 03.09.2013
    "Vor etwa 20 Jahren tauchte die Idee auf, dass man Krebs zielgerichteter behandeln könnte als mit Chemotherapie, die die Tumorzellen einfach nur vergiftet und abtötet. Die Idee war, mit den Mitteln der Molekularbiologie spezifische Elemente im Tumor zu identifizieren, um diesen selektiver anzugreifen",

    sagt der Argentinier Daniel Alonso, wissenschaftlicher Direktor des privat-öffentlichen Konsortiums, das eine therapeutische Impfung gegen Lungenkrebs entwickelt hat. Racotumomab, so der Name, ist ein monoklonaler Antikörper, der gezielt auf die Erkennung eines Merkmals in den Tumorzellen hin hergestellt wird. Monoklonal bedeutet, dass der Antikörper von einem Klon gleicher Zellen produziert wird. Das Produkt, zugelassen bisher in Argentinien und Kuba, ist Ergebnis der Zusammenarbeit von staatlichen Forschungseinrichtungen beider Länder, sowie der Unternehmensgruppe Insud. Behandelt werden können Patienten in fortgeschrittenem Stadium, die an nicht-kleinzelligem Lungenkrebs erkrankt sind: der häufigsten Variante bei Lungenkrebs.

    Die Impfung, deren Entwicklung mehr als 14 Millionen Euro gekostet hat, wird auch als aktive Immuntherapie bezeichnet – sie aktiviert das Immunsystem. Der Hintergrund: Tumore verstecken sich quasi vor dem Immunsystem, weil sie aus eigenem Gewebe der Betroffenen entstanden sind und damit vom Körper toleriert werden. Forscher Daniel Alonso:

    "Mit aktiver Immuntherapie wird das Immunsystem des Patienten stimuliert, damit es die kranken Zellen bekämpft. Unser Impfstoff bewirkt, dass der Organismus tumorspezifische Antigene erkennt und dagegen Antikörper bildet. Es handelt sich um glykolisierte Antigene, die im gesunden Gewebe nicht vorkommen, sondern nur in den Krebszellen. Und zwar an deren Oberfläche: einem Ort, der für das Immunsystem zugänglich ist."

    Der Impfstoff Racotumomab imitiert diese Antigene, und löst auf diese Weise die Abwehrreaktion des Immunsystems aus. Es sind nicht irgendwelche Zielscheiben – glykolisierte Antigene sind direkt an der Tumorentwicklung und Metastasenbildung beteiligt. Die aktive Immuntherapie gegen Lungenkrebs ist eine Ergänzung zu herkömmlichen Behandlungsmethoden. In einer klinischen Studie mit 176 Patienten, die Chemo- oder Strahlentherapie erhielten, wurde die Hälfte zusätzlich geimpft. Die andere Hälfte bekam ein Placebo. Von den geimpften Patienten lebten nach zwei Jahren noch 19, von den mit Placebo behandelten nur sieben. Verabreicht wird der Impfstoff 15 Mal während eines Jahres – jede Dosis kostet knapp 1300 Euro.

    "Weil im Allgemeinen das Immunsystem des Patienten den Tumor toleriert, ist eine häufige Wiederholung der Impfung notwendig. Nur so kann das Immunsystem in Alarmbereitschaft gehalten werden",

    so Daniel Alonso. Eine Abstumpfung des Immunsystems konnte er während der klinischen Studie nicht beobachten. Er hält es für möglich, dass künftig verschiedene therapeutische Impfungen kombiniert werden könnten, so wie heute bereits in der Chemotherapie verschiedene Substanzen kombiniert werden. Das glaubt auch der argentinische Onkologe José Mordoh. Er entwickelt in Buenos Aires derzeit eine aktive Immuntherapie gegen Hautkrebs, genauer gesagt, das maligne Melanom.

    "Wir verwenden für den Impfstoff Tumorzellen von verschiedenen Patienten, die im Labor kultiviert und durch Bestrahlung unschädlich gemacht wurden. Es ist so, als würde man einem Menschen Gewebe eines anderen injizieren. Der Körper reagiert auf diese fremden Tumor-Antigene, und erkennt dabei auch die Antigene seines eigenen Tumors."

    Dass der Körper die Antigene seines eigenen Tumors erkennt, heißt nicht, dass er sie auch bekämpft. Die Aktivierung des Immunsystems gegen das Melanom erreicht José Mordoh durch die Verwendung weiterer Substanzen, darunter ein Impfstoff gegen Tuberkulose, gegen den der Körper stark reagiert. Der Mix lässt sogenannte Gefahrensignale auf der Oberfläche der Krebszellen entstehen, durch die das Immunsystem die Tumorzellen von den gesunden Zellen unterscheidet, und sie angreift. Auch diese Immuntherapie ist langfristig angelegt – 13 Impfungen in zwei Jahren. An einer ersten klinischen Studie nahmen 20 Patienten teil. 14 von ihnen wurden vom Melanom geheilt und waren auch nach zehn Jahren krebsfrei. Auf den Markt kommen könnte das Produkt in drei Jahren, es wäre der weltweit erste therapeutische Impfstoff gegen das maligne Melanom. Hingegen wird die Impfung gegen Lungenkrebs in Argentinien ab diesem Monat bereits verwendet. In weiteren lateinamerikanischen Ländern sowie der Türkei befindet sie sich auf dem Weg zur Zulassung.