Im Jahr 2008, mitten im großen Crash, titelte die britische Times: "Er ist zurück!" Etwa zeitgleich meldete sich der Spiegel mit dem Titel "Das Kapitalverbrechen." Und im letzten Jahr fand an der Berliner Humboldt-Universität zu Berlin eine international besetzt Karl Marx Konferenz statt. Er ist wirklich zurück, der große Denker aus Trier. Nun auch in dem jüngsten Buch des britischen Literaturtheoretikers Terry Eagleton: "Warum Marx recht hat." Das Buch ist eine Verteidigungsschrift in zehn Kapiteln. Jeweils in einem Vorspann führt Eagleton die prominentesten und fundiertesten Einwände gegen Marx an, welche in gebotener Verkürzung lauten: Der Marxismus sei überholt, praxisuntauglich, deterministisch, utopisch, reduktionistisch, materialistisch, er hantiere mit einem überholten Klassenbegriff, propagiere Staatsterror und blutige Revolutionen, und schließlich, zehntens er sei ersetzt worden durch globalisierte Erscheinungen wie etwa die Umweltbewegung.
Jedem dieser Einwände begegnet Eagleton in einem kurzen Essay. Marx erscheint unter dem Strich bei ihm als handfester Pragmatiker, als fortschrittsgläubiger Optimist eher als Utopist, als Menschenfreund und Realist. Vor allem seiner Achtung vor den Verdiensten des Kapitalismus – er schafft Wohlstand für alle und ist die beste Ausgangsbasis für den Sozialismus – räumt Eagleton breiten Raum ein. Dabei greift er auf Marx’ Schriften zurück, vornehmlich "Das Kapital" und "Die deutsche Ideologie". Eagleton zitiert Marx weniger, er paraphrasiert und widerlegt die Einwände aus seinem eigenen marxistischen Verständnis heraus, welches wiederum unterfüttert ist von langjährigen literaturtheoretischen Überlegungen.
Die Vorteile dieses Verfahrens liegen auf der Hand. Die griffige Wendung und verständliche Begriffe ersetzen mühsame Fußnoten und Faktenhuberei. Außerdem verortet Eagleton sich interdisziplinär. Historische, sozialwissenschaftliche, anthropologische Aspekte fließen in seine Argumentation ein. Vor allem Eagletons Kenntnisse der angelsächsischen Literatur führen zu kurzweiligen Schlenkern, etwa wenn er ein sehr bekanntes Gedicht, "The deserted village" von Oliver Goldsmith zitiert, um zu belegen, dass die Folgen einer ungebremsten Industrialisierung nicht erst von Marx aufgezeigt wurden.
Entstanden ist so eine kleine Fibel des angewandten Marxismus. Sie bietet dem Novizen eine Einführung in die zentralen Thesen und Themen, und liefert dem überzeugten Anhänger einiges an rhetorischem Futter, um das Werk des Altmeisters zu verteidigen. Dabei schreitet Eagleton eher assoziativ voran, die Prägnanz seiner Argumentation steht vor methodischer Geschlossenheit. Doch genau hier offenbaren sich auch die Schwächen der Streitschrift. Eagleton betrachtet den Marxismus als Lehrschrift. Die politischen und menschlichen Verheerungen, die in seinem Namen angerichtet wurden, tauchen nur am Rande auf. Und bedauerlicherweise scheint die Frage der Anwendbarkeit Marx’scher Lehren in einer zunehmend globalisierten Wirtschaftsordnung für den britischen Denker von nachgeordneter Bedeutung.
Ein Beispiel: Den Einwand (Nummer sieben) dass sich das Marx’sche Lehrgebäude auf einen überholten Begriff der Klasse in der Gestalt des entrechteten Fabrikarbeiters gründete, weist Eagleton zurück. Er verweist auf neue Klassen, die Züge proletarischer Verelendung trügen. Etwa die Arbeiterinnen in den Sweatshops der Dritten Welt oder auch einfache Angestellte in der westlichen Welt, die wenig qualifiziert seien, schlecht bezahlt und geringe Arbeitsplatzsicherheit besäßen, Zitat Eagleton: "Die Klasse ist, wie wir uns ins Gedächtnis rufen sollten, nicht nur eine Frage abstrakter gesetzlicher Eigentumsverhältnisse, sondern das Vermögen, zum eigenen Vorteil Macht auszuüben."
Soweit, so gut. Das Zitat zeigt, wie Terry Eagleton viele der von ihm angeführten Begriffe, hier Klasse und Eigentumsverhältnisse, an anderer Stelle Mehrwert, Produktivkräfte und so weiter in Kontinuität zu den Marx’schen Schriften verwendet. Doch er argumentiert auch außerhalb der Marx’schen Terminologie, in zentraler Stellung mit einem Begriff, den er seinen literaturtheoretischen Arbeiten entliehen hat: "Das Narrativ". Gemeint ist offenbar eine erzählbare, sinnstiftende Einheit im Menschheitsgeschehen. Eagleton setzt sie in Opposition zur postmodernen Gedankenvielfalt, von der er sich distanziert. Den eigenen Denkansatz und das eigene Geschichtsverständnis legt er nicht offen. Man kann, da Eagleton auch Katholik ist, an dieser Stelle nur spekulieren, dass er mit Marx eine heilsorientierte Geschichtsauffassung hegt, dass sie sich also auf der gleichen weltanschaulichen Ausgangsbasis befinden. Was den fast symbiotischen, reibungsfreien Duktus seiner Ausführungen erklärt, auch dafür steht dieses Zitat.
Vor allem aber zeigt die genannte Passage, wie Eagleton die Phänomene der Globalisierung zwar streift, sie aber nicht ausleuchtet. Im vorliegenden Fall übersieht er weitere globale Klassenphänomene wie Arbeitsmigranten, eine geistige verödete Unterschicht und das Prekariat. Die Marx’sche Lehre basiert auf dem Optimismus eines nationalstaatlich organisierten 19. Jahrhunderts. Eine Anwendung dieser Geschichts- und Wirtschaftstheorien auf die heutige, supernationale und globalisierte Welt wäre die eigentliche Herausforderung, die Königsdisziplin für einen Marxisten des dritten Jahrtausends gewesen.
Terry Eagleton hat mit "Warum Marx recht hat" also ein Buch geschrieben, das auf die Länge gesehen nicht überzeugt. Es verwundern die Auslassungen und gedanklichen Unschärfen eines Autors, der es sicher besser gekonnt hätte. Vielleicht liegt seinem Unternehmen ja ein Geburtsfehler zugrunde. Statt zu erläutern, warum Marx doch recht hat, erklärt Terry Eagleton seinen Lesern, warum die Gegner von Marx unrecht haben. Und das ist dann doch zu kurz gesprungen.
Terry Eagleton: "Warum Marx recht hat."
Aus dem Englischen übersetzt von Hainer Kober.
Ullstein Verlag, 285 Seiten, 18,00 Euro
Jedem dieser Einwände begegnet Eagleton in einem kurzen Essay. Marx erscheint unter dem Strich bei ihm als handfester Pragmatiker, als fortschrittsgläubiger Optimist eher als Utopist, als Menschenfreund und Realist. Vor allem seiner Achtung vor den Verdiensten des Kapitalismus – er schafft Wohlstand für alle und ist die beste Ausgangsbasis für den Sozialismus – räumt Eagleton breiten Raum ein. Dabei greift er auf Marx’ Schriften zurück, vornehmlich "Das Kapital" und "Die deutsche Ideologie". Eagleton zitiert Marx weniger, er paraphrasiert und widerlegt die Einwände aus seinem eigenen marxistischen Verständnis heraus, welches wiederum unterfüttert ist von langjährigen literaturtheoretischen Überlegungen.
Die Vorteile dieses Verfahrens liegen auf der Hand. Die griffige Wendung und verständliche Begriffe ersetzen mühsame Fußnoten und Faktenhuberei. Außerdem verortet Eagleton sich interdisziplinär. Historische, sozialwissenschaftliche, anthropologische Aspekte fließen in seine Argumentation ein. Vor allem Eagletons Kenntnisse der angelsächsischen Literatur führen zu kurzweiligen Schlenkern, etwa wenn er ein sehr bekanntes Gedicht, "The deserted village" von Oliver Goldsmith zitiert, um zu belegen, dass die Folgen einer ungebremsten Industrialisierung nicht erst von Marx aufgezeigt wurden.
Entstanden ist so eine kleine Fibel des angewandten Marxismus. Sie bietet dem Novizen eine Einführung in die zentralen Thesen und Themen, und liefert dem überzeugten Anhänger einiges an rhetorischem Futter, um das Werk des Altmeisters zu verteidigen. Dabei schreitet Eagleton eher assoziativ voran, die Prägnanz seiner Argumentation steht vor methodischer Geschlossenheit. Doch genau hier offenbaren sich auch die Schwächen der Streitschrift. Eagleton betrachtet den Marxismus als Lehrschrift. Die politischen und menschlichen Verheerungen, die in seinem Namen angerichtet wurden, tauchen nur am Rande auf. Und bedauerlicherweise scheint die Frage der Anwendbarkeit Marx’scher Lehren in einer zunehmend globalisierten Wirtschaftsordnung für den britischen Denker von nachgeordneter Bedeutung.
Ein Beispiel: Den Einwand (Nummer sieben) dass sich das Marx’sche Lehrgebäude auf einen überholten Begriff der Klasse in der Gestalt des entrechteten Fabrikarbeiters gründete, weist Eagleton zurück. Er verweist auf neue Klassen, die Züge proletarischer Verelendung trügen. Etwa die Arbeiterinnen in den Sweatshops der Dritten Welt oder auch einfache Angestellte in der westlichen Welt, die wenig qualifiziert seien, schlecht bezahlt und geringe Arbeitsplatzsicherheit besäßen, Zitat Eagleton: "Die Klasse ist, wie wir uns ins Gedächtnis rufen sollten, nicht nur eine Frage abstrakter gesetzlicher Eigentumsverhältnisse, sondern das Vermögen, zum eigenen Vorteil Macht auszuüben."
Soweit, so gut. Das Zitat zeigt, wie Terry Eagleton viele der von ihm angeführten Begriffe, hier Klasse und Eigentumsverhältnisse, an anderer Stelle Mehrwert, Produktivkräfte und so weiter in Kontinuität zu den Marx’schen Schriften verwendet. Doch er argumentiert auch außerhalb der Marx’schen Terminologie, in zentraler Stellung mit einem Begriff, den er seinen literaturtheoretischen Arbeiten entliehen hat: "Das Narrativ". Gemeint ist offenbar eine erzählbare, sinnstiftende Einheit im Menschheitsgeschehen. Eagleton setzt sie in Opposition zur postmodernen Gedankenvielfalt, von der er sich distanziert. Den eigenen Denkansatz und das eigene Geschichtsverständnis legt er nicht offen. Man kann, da Eagleton auch Katholik ist, an dieser Stelle nur spekulieren, dass er mit Marx eine heilsorientierte Geschichtsauffassung hegt, dass sie sich also auf der gleichen weltanschaulichen Ausgangsbasis befinden. Was den fast symbiotischen, reibungsfreien Duktus seiner Ausführungen erklärt, auch dafür steht dieses Zitat.
Vor allem aber zeigt die genannte Passage, wie Eagleton die Phänomene der Globalisierung zwar streift, sie aber nicht ausleuchtet. Im vorliegenden Fall übersieht er weitere globale Klassenphänomene wie Arbeitsmigranten, eine geistige verödete Unterschicht und das Prekariat. Die Marx’sche Lehre basiert auf dem Optimismus eines nationalstaatlich organisierten 19. Jahrhunderts. Eine Anwendung dieser Geschichts- und Wirtschaftstheorien auf die heutige, supernationale und globalisierte Welt wäre die eigentliche Herausforderung, die Königsdisziplin für einen Marxisten des dritten Jahrtausends gewesen.
Terry Eagleton hat mit "Warum Marx recht hat" also ein Buch geschrieben, das auf die Länge gesehen nicht überzeugt. Es verwundern die Auslassungen und gedanklichen Unschärfen eines Autors, der es sicher besser gekonnt hätte. Vielleicht liegt seinem Unternehmen ja ein Geburtsfehler zugrunde. Statt zu erläutern, warum Marx doch recht hat, erklärt Terry Eagleton seinen Lesern, warum die Gegner von Marx unrecht haben. Und das ist dann doch zu kurz gesprungen.
Terry Eagleton: "Warum Marx recht hat."
Aus dem Englischen übersetzt von Hainer Kober.
Ullstein Verlag, 285 Seiten, 18,00 Euro