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Eine kontrapunktische Inszenierung

Mal wieder bringt Andreas Kriegenbaum ein neues Stück von Dea Lohers als Erster auf die Bühne. Dieses Mal "Am schwarzen See". Uraufführung war am Deutschen Theater in Berlin.

Von Eberhard Spreng | 27.10.2012
    Zwei Paare Anfang vierzig, vier Biografien der Unzufriedenheit stoßen in Dea Lohers neuem Stück aufeinander. Den Banker Johnny treibt es von Filiale zu Filiale, Frau Else leidet unter schwachem Herzen und der ewigen Umtriebigkeit ihres Mannes. Den erfolglosen Brauereibesitzer Eddie plagt ewige Geldnot, seine geschäftstüchtige Frau seine verträumten Weltanschauungen. Sexuelle Frustration, gegenseitige Entfremdung, verdruckste Untreueversuche, Vorwürfe, Lebensekel lassen die Vier in einem geschwätzigem Parlando aufeinander los, also alles das, was immer schon das Konversations- und Boulevardtheater beschäftigt hat, wenn es zwei Männer und zwei Frauen auf den Beziehungskampfplatz schickt. Und das bräuchte uns hier auch kaum weiter zu interessieren, wenn Deo Loher nicht auch einen tief tragischen Anlass für das Treffen ins Geplauder gewebt hätte, ein fatales Leitmotiv. Es verankert die Dialoge im tiefen Urgrund der Schuld: Vor vier Jahren hatten die Tochter des einen und der Sohn des anderen Paares ihrem Leben gemeinsam ein Ende gesetzt. "Das hier ist nicht schön" hatten sie in Großbuchstaben geschrieben, bevor sie mit einem lecken Boot und einer Überdosis Schlaftabletten auf den See hinausfuhren.

    Sie haben sich nebeneinander ins Boot gelegt
    Sie haben sich an den Händen gefasst
    Ninas rechte Hand lag in der linken von Fritz
    und die beiden Handgelenke umschlungen
    mit einem Band aus Leder und Bast


    Die Liebe ist tot. Der Tod ist die Liebe. Mit diesem romantischen, radikalen, jugendwahnsinnigen Slogan wollten Fritz und Nina offensichtlich dem schäbigen Lebensbetrug entkommen, den sie bei ihren Eltern ausmachten. Und diese sind nun in der komplizierten Situation, ihre Schuld in einem Leben zu erkennen, das sie doch zu Recht als zutiefst normal empfinden. Das ist Limbo, sagt Johnny einmal über sein unstetes Leben; der Begriff ist Stichwort, denn tatsächlich lässt sich dieses immer mehr wie unfreiwillig wirkende Zusammentreffen der Vier als eine Vorhölle begreifen, die Leben nicht mehr und Erlösung noch nicht ist. Dea Lohers Text gibt den Figuren mit kurzen Versen die Kurzatmigkeit der Empfindungen und Flachheit der Erkenntnisse vor. Das Stück ist ein lyrisches Requiem, aber eines, das seinem Gegenstand, dem Tod der Kinder, der Schuld der Eltern, ständig ausweicht.

    Andreas Kriegenburg mag dem Text ohne markanten szenischen Zugriff wohl nicht ganz getraut haben. Er setzt ihn in einen starken ästhetischen Gegensatz. Zum einen schauen wir in einen leer geräumten Saal mit abblätternder Farbe und Wasserflecken an den Wänden, in den Realismus einer unwohnlichen Heimstatt der Brauereibesitzer am schwarzen See. Zu anderen bewegen sich alle vier in diesem Raum mit bizarren Ticks, verknäulen sich zu Körperbündeln, halten sich in forcierten Posen gegenseitig fest. Die Körper von Katharina Marie Schubert als Bankersfrau Else, Jörg Pose als ihr Mann, Natali Selig als resolute Brauereibesitzerin und Bernd Moss als ihr verklemmt verträumter Mann Eddie, sie alle folgen also zu keinem Zeitpunkt der Psychologie des Textes oder dem Naturalismus des Dekors von Harald Thor. Zusätzlich dreht sich unter fixen Wänden immer wieder leise die Drehbühne und rückt die vier Darsteller und einen alten Sessel an den Rand und gegen die feststehenden Wände. Der schwarze See, an dem das Haus stehen soll, wird an der kahlen Rückwand, mit blauer Kreide aufgemalt, ein jeder wirkt mit an der Ausschmückung einer Vorstellung von Außenwelt, die real schon längst verschwunden ist. Kriegenburgs kontrapunktische Inszenierung, sein entschiedener Stückkommentar und das hochkonzentrierte und anstrengende Spiel des kleinen Ensembles hieven die stilwillige Lebensekelplauderei in den Stand einer Tragödie, deren Mitte das gähnende Seelennichts inmitten eines toten Raums ist.