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Eine Lange Nacht über Afrobeat
Lagos tanzt

Fela Kuti erfand den Afrobeat. Dieser ist mehr als nur Tanzmusik und Fela Kuti auch nicht nur Komponist. In seiner Heimat Nigeria sorgt er auch politisch für Aufsehen - sodass sein Haus bombardiert und geräumt wurde.

Von Susanne Amatosero | 02.01.2016
    Der Schauspieler Fela Anikulapo Kuti aus Nigeria.
    Der Schauspieler Fela Anikulapo Kuti aus Nigeria. (imago stock & people)
    Lagos in Aufbruchstimmung. Eine Hauptstadt feiert ihre politische Unabhängigkeit. Und Fela Kuti, gerade von einem Studium der klassischen Musik aus London zurückgekehrt, komponiert die dazu passende, elektrisierende Tanzmusik. Er gründet die Band "Africa 70" und entwickelt zusammen mit dem genialen Schlagzeuger Tony Allen einen neuen musikalischen Stil, den Afrobeat.
    Aber Afrobeat ist mehr als Tanzmusik, und Fela Kuti ist mehr als ein Komponist. Er ist Bandleader, Saxofonist, Dichter, Sänger, Entertainer und seit einer Tournee durch Amerika mit den politischen Zielen der schwarzen Befreiungsbewegung vertraut. Zurück in Nigeria, beginnt er, die neu entstehenden politischen Eliten seines Landes zu attackieren. Er wirft ihnen Korruption und einseitige Orientierung am Lebensstil des Westens vor. Er macht sich zum Sprachrohr der Unterdrückten und deklariert seinen Klub und das dazugehörige Gelände zur freien Republik.
    1983 greift die Armee ein. Das Gelände wird bombardiert und geräumt. Fela Kuti wird festgenommen und nur wegen seiner internationalen Bekanntheit überhaupt wieder aus der Haft entlassen. Fela Kuti hat mit seinen Texten das politische Denken in ganz Westafrika geprägt. Seine Lieder sind auch heute hochaktuell.
    Fela Anikulapo Kuti: "Meine Eltern haben drei Jahre lang sehnsüchtig auf mich gewartet. Aber sie haben nicht mich erwartet. Sie haben sich einfach nur irgendein gottverdammtes Kind gewünscht. So ein braves, stilles mit guten Manieren, Ja-Sir, Nein-Sir, nicht so einen Motherfucker wie mich! Aber hier bin ich, ihnen zum Trotz. Allem zum Trotz. Und ich wurde zweimal geboren. Zum ersten mal wurde ich 1935 geboren. Aber, was ich zweimal erlebte, daran habe ich keinerlei Erinnerung. Nichts. Null! Das ist eine unserer Grenzen, Mann, dass wir nicht wissen, woher wir kommen. Jedenfalls wollte mein Vater, als ich geboren war, tun, was sein eigener Vater getan hatte. Sie waren beide protestantische Pfarrer. Und um ein paar Weiße glücklich zu machen, bat mein Vater einen deutschen Missionar, mir einen Namen zu geben. Unglaublich! Ein Weißer gibt einem afrikanischen Kind seinen Namen! In Afrika, wo Namen so ernst genommen werden! Es gibt sogar eine besondere Namenszeremonie für jedes neugeborene Kind. Ohne sie, so heißt es, kann das Kind nicht wirklich in die Welt der Lebenden eintreten. Und nur, um so einen weißen Missionar glücklich zu machen, mein eigener Vater ... Oh nein, Mann! Neiiiiiiiiiin! Und weißt du, wie der Motherfucker mich nannte? Hildegart! Ja, Mann. Hildegart! Ooooooooh Mann! Ich, der ich gekommen war, um vom Schwarzsein und vom Afrikanischsein zu sprechen, über die Not meiner Leute. Ich, der ich versuchen sollte, etwas dagegen tun, etwas zu verändern! Dieser Name brannte wie eine Wunde. Mein Vater hatte mich verworfen. Und meine Mutter auch. Diejenige, die mich geboren hatte. Hier war ich, an Händen und Füßen gebunden und dem Henker übergeben! Den Namen der Sieger tragen? Oder meine erste Ankunft in der Welt zurückweisen? Die Orishas Anm. der Redaktion: Götter erhörten mich. Sie verschonten mich. Zwei Wochen nach meiner ersten Geburt verließ meine Seele meinen Körper und ging zurück in die Welt der Geister. Was soll ich sagen? Ich war nicht Hildegart! Shit! Ein Name ist eine Sache von Leben und Tod. Für mich vielleicht noch mehr als für alle anderen."
    Hochzeit 1961 mit Remi Taylor
    In England begegnet Fela Kuti seiner späteren Frau Remi Taylor, die er 1961 heiratet. Im Jahr 1963 zieht die Familie nach Lagos zurück. Fela Kuti ist Vater zweier Kinder, Yeni und Femi, und Remi, eigentlich Remilekun, was "trockne meine Tränen" bedeutet, ist schwanger mit dem dritten Kind. Fela Kuti arbeitet für den nigerianischen Radiosender NBC und spielt in verschiedenen Gruppen Trompete – Highlife Jazz.
    In seiner Autobiografie "Tony Allen, Master Drummer of Afrobeat" erzählt Tony Allen von seiner ersten Begegnung mit Fela Kuti:
    "Obwohl ich Fela damals nicht persönlich kannte, wusste ich von ihm wegen seiner Radiosendung und weil sein Haus in Mosholasi (das, das später von der Armee niedergebrannt werden sollte) in meiner unmittelbaren Nachbarschaft war. Eines Morgens ging ich ihn besuchen. Und das erste, was er sagte war: Bist du der, der von sich behauptet, der beste Schlagzeuger im Land zu sein? -Ich lachte und sagte, dass ich das nie behauptet hätte. Er fragte mich, ob ich Jazz spielen könne und ich sagte ja. Vom ersten Tag an waren Fela und ich enge Freunde. Von den Tagen des Jazz ab und die ganzen 60er-Jahre hindurch. Es gab nichts, was er mir nicht erzählte. Wir verbrachten die Nächte zusammen und amüsierten uns. Er fragte mich: Wie viele Mädchen hattest du heute Nacht? Ich sagte: Zwei. Er sagte dann: Zwei, dann hab ich dich geschlagen. Und er behauptete, er hätte vier gehabt. Solche Sachen eben. Wir fuhren sogar zusammen zu den Gigs, und glaube mir, du hättest dich niemals neben Fela ins Auto gesetzt. Als Rennfahrer hätte er eine Menge Geld verdienen können. Er fragte mich oft, ob ich seine Kinder von der Schule abholen könnte. Und manchmal kochte ich sogar für ihn, denn ich bin ein guter Koch. Und Remi, seine Frau, ist in England aufgewachsen. Sie konnte nicht nigerianisch kochen. Sie konnte höchstens Tomatensoße oder etwas in der Art, wenn sie also etwas anderes wollte, zum Beispiel Egusi, oder etwas anderes typisch Einheimisches, fragte sie mich, ob ich das machen könnte. Und wenn Fela dann probieren kam, sagte er, Remi, wer hat das gekocht?"
    • Tony Allen: An Autobiography of the Master Drummer of Afrobeat, Duke University Press, 2013
    • One of the few pro-shot concerts of legendary musician Fela Kuti with his band Africa 70, playing for the jazz festival in Berlin, 1978: Fela Kuti & Africa 70 - Pansa Pansa 1/2 (Berlin 1978) und Teil 2
    • Zombie (album) - The album criticised the Nigerian government; and it is thought to have resulted in the murder of Kuti's mother Funmilayo Ransome-Kuti, and the destruction of his commune by the military
    Ein Mitschnitt des Konzerts in Berlin befindet sich auf der LP Zombie, und das allein zeugt von Fela Kutis grandiosem Humor. Denn in einer Kakofonie aus Buhrufen und Pfiffen sind die "Afrika 70s" zu hören, wie sie über das Thema Fehler singen, darüber, was es bedeutet, Fehler zu machen. Und wer die Kompetenz hat, von etwas zu sagen, dass es ein Fehler gewesen sei, und ob das Fehlermachen wirklich immer falsch und nicht manchmal richtig sei und so weiter. Das Stück heißt Mistake. Möglich auch, dass schon allein der Auftritt der "Afrika 70s" das Publikum verstörte, die 27 Tänzerinnen mit der zu Ehren der Göttin Osun bemalten nackten Haut.
    Missglückter Auftritt in Westdeutschland
    "Nach Berlin war eine Tour durch Westdeutschland geplant gewesen, in Städte wie Hamburg und Köln. Aber diese Tournee fand nicht mehr statt, wegen all der negativen Kritik in den Zeitungen. Die Manager sagten die Gigs ab. Und selbst Fela sah ein, dass es keinen Sinn machte, weiter zu touren, nachdem er am Morgen in die Zeitungen geschaut hatte. Und so fuhren wir zurück nach Nigeria. Einfach so. Fela hätte es merken können. Er könnte gedacht haben: Ich habe fast alles verloren. Lass' mich diesen Jungen nicht auch noch verlieren. Aber ich erwartete das nicht wirklich von ihm. 1978 gab es für ihn zu viele Probleme. Erstens war seine Mutter nach dem Überfall auf die Kalakuta-Republic gestorben. Zweitens hatte er sein Haus nicht mehr. Drittens hatte er die ganze Gage aus Berlin für seine Präsidentschaftswahl verpulvert. Viertens brauchte er einen Auftritt, um wieder an Geld zu kommen, aber die Band war völlig durcheinander. Und so war Berlin mein letzter Auftritt mit Fela. Letztlich sind alle nigerianischen Bandleader, wenn es um Geld geht, gleich. Fela war genau wie all die anderen Bandleader vor ihm. Seine Musik war neu, aber sein Umgang mit Geld war es nicht. Aber mit Fela zu spielen, hatte mich mehr interessiert, als mit den anderen, weil ich ein größeres Interesse an der Zukunft habe, als an der Gegenwart. Ich hatte ein gutes ständiges Engagement bei "Adeola and the Western Troppers" aufgegeben und war Hals über Kopf in diesen ganzen Wahnsinn hineingeraten. Und ich hatte 15 Jahre gebraucht, um aus dem Mist herauszukommen. Aber musikalisch war es mir das wert gewesen."
    Fela Anikulapo Kuti: "Ende Januar fuhren wir, von Ghana kommend, auf der Landstraße zurück nach Nigeria. Und ich schaute auf diese verdammt schöne Landschaft und dachte, so schön ist Afrika. Die Mädchen waren müde. Die meisten schliefen die ganze Fahrt über. Und ich betrachtete sie ab und zu und dachte: Diese Mädchen haben ganz schön viel Leiden müssen für mich. Und ich sagte zu mir selbst: Fela, das sind verdammt gute Frauen. Shit! Am 20 Februar '78 heiratete ich alle 27 in einer traditionellen Zeremonie. Die Hochzeit war eigentlich für den 18. Februar geplant gewesen, dem Jahrestag des Überfalls auf die Kalakuta-Republic. Aber mein Anwalt machte das kaputt. Er hatte mir gesagt, dass wir in seinen Büroräumen warten könnten bis zur Trauung. Aber als wir dort ankamen, war alles voller Reporter. Und mein Anwalt Tunji Braithwaite stellte sich vor die Mikrofone und sagte: Diese Hochzeit kann nicht stattfinden. Sie ist gegen die öffentliche Moral. Und ich, als Felas Anwalt, werde ihn darüber aufklären, dass er gegen das Gesetz verstößt und wegen Bigamie angeklagt werden wird. Mann! Hast du das gehört? Unglaublich. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, stehen zu bleiben. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, meine Wut zu zügeln. Ich war wie vom Blitz getroffen. Alle waren in heller Aufregung. All meine Frauen waren da und standen hinter mir, geschminkt und angezogen für die Hochzeit. Blitzlichter flammten auf. Dann fragte die Presse: Fela, was wirst du jetzt tun? Und das war genau die Frage, die ich nicht beantworten konnte. Ajanaku, der Ifa-Priester, der die Zeremonie hätte abhalten sollen, war ein verdammt dummer Mann. Ich hatte gedacht, er wäre das Oberhaupt der Ifa-Priester von Lagos. Ich hatte gedacht, er wäre souverän. Aber Geld hatte seine Gedanken vernebelt. Was wusste der über Ifa? Gar nichts. Als Braithwaite ihm gesagt hatte, wenn du diese Hochzeitszeremonie durchführst, kommt die Polizei und nimmt dich fest, war er weggelaufen. Ich schaute mir die Reporter an und sagte: Egal was dieser Mann hier erzählt. Was mich betrifft, so fühle ich mich ab heute mit meinen Frauen verheiratet. Ist das klar? Wie konnte Braithwaite mir das antun? Dieser Tag war mir so wichtig gewesen, und den Mädchen auch. Steve sagte dann: Das Beste wird sein, wir setzen ein neues Datum fest. Und er meine noch: Lass' es uns in einem Hotel machen und die Presse noch einmal informieren. - Gute Idee. So kündeten wir die Heirat ein zweites Mal an, für Montag, den 20. Februar und am Montagmorgen stand auf der Titelseite der Punch zu lesen: "Fela to marry today, law or no law - Fela heiratet heute, Gesetz hin oder her. Und diesmal hatte ich einen anderen Ifa-Priester. Es gibt hunderte von ihnen in Nigeria. Ach, was sag ich, Tausende."
    Am 2. August 1997 stirbt Fela Kuti. Berühmt als Musiker, Saxofonist, Dichter, Sänger, Tänzer, Rebell, Narr, Priester, Provokateur, bleibt es, wie Fela selbst sagen könnte, einem Symposium der Zukunft überlassen, ihn als einen der interessantesten Komponisten des 20. Jahrhunderts zu erkennen.
    Und was ist mit dem Afrobeat? Der Afrobeat lebt weiter. Heute hauptsächlich in der Musik von Tony Allen und Fela Kutis Söhnen Femi Kuti und Seun Kuti.