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Eine lebenslange Liebe

Mark Twain gehört zu den weitestgereisten amerikanischen Schriftstellern seiner Zeit. Im Herzen jedoch war er schon längst angekommen. Mit seiner Frau Olivia teilte er 34 Jahre lang sein Leben. Nun gewährt eine Briefsammlung Einblick in die Gefühlswelt von Tom Sawyers Vater.

Von Tom Goeller | 24.04.2010
    "In diesen vierunddreißig Jahren haben wir viele Reisen zusammen gemacht, liebe Livy – und nun machen wir unsere letzte; du unter Deck und einsam, ich oben unter den Menschen und einsam."

    So trauert Mark Twain. Die Worte sind seinem Tagebuch vom 2. Juli 1904 entnommen, gerichtet an seine vier Wochen zuvor in Florenz verstorbene Frau Olivia, oder Livy, wie er sie zeitlebens nannte. Nun überführt er sie in die Staaten, in die Heimat. Das Ende einer leidenschaftlichen Liebe, die mit einer schwierigen Eroberung begann. Olivia Langdon – fünf Mal ließ sie ihn abblitzen, bevor er sie endlich heiraten konnte. Von Alexander Pechmann, einem Experten für amerikanische Literatur des 19. Jahrhunderts, sensibel übersetzt und hervorragend kommentiert, zeigt sich Twain in seinen Briefen von einer ernsthaft-schwärmerischen Seite, wie sie sonst nirgendwo in seinen Werken zu Tage tritt. Über seine Frau äußert er sich noch vier Jahrzehnte nach ihrer ersten Begegnung enthusiastisch:

    "Ihr Charakter und ihr Wesen forderten nicht nur zur glühenden Verehrung heraus, sondern erzwangen sie geradezu. Sie verströmte ihre verschwenderische Zuneigung in Küssen, Zärtlichkeiten und einem Vokabular von Kosenamen, dessen Reichtum mich immer wieder in Erstaunen versetzte. (Sie) brachen über mich herein wie die Sommerwogen über die Felsen von Gibraltar."

    Der Vergleich mit diesem europäischen landmark kommt nicht von ungefähr. Twain war der am weitesten gereiste amerikanische Schriftsteller seiner Zeit. Was zu seiner Geburt "in the middle of nowhere" nicht zu erwarten war. Er wurde 1835 in Florida mit dem hochtrabenden Namen Samuel Langhorne Clemens geboren. Nicht im Staat Florida, wie manchmal zu lesen ist, sondern in einem Weiler mit dem selben Namen, im abgelegenen Monroe County, im US-Bundesstaat Missouri. Vier Jahre später zieht die Familie nach Hannibal, an den oberen Mississippi. In dieser trägen Flusshitze-Atmosphäre wird der Grundstein gelegt für Twains humorvoll-sarkastischen Romane, für sein Reportagebuch "Leben auf dem Mississippi", für seine karikaturhaften Charaktere und Käuze. Zudem befährt er als Lotse auf riesigen Schaufelraddampfern den Strom. Im Jahr 1861 bewegt ihn diese Tätigkeit dazu, sich das Pseudonym "Mark Twain" zuzulegen, was auf Deutsch so viel heißt wie: die Wasserstandsmarkierung von der Tiefe von zwei Faden.

    Seinen Ruf als origineller Beobachter mit respektlosem Stil begründet er mit dem ersten großen Werk "Die Arglosen im Ausland". Dieses Buch erzählt von der Reise amerikanischer Pilger ins "Heilige Land", die Twain im Jahr 1867 nach Palästina begleitet. Auf dieser Reise befreundet er sich mit einem Fahrgast und verliebt sich in das Porträt von dessen Schwester Olivia. In die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, drängt er seinen neuen Freund, ihm die Schwester vorzustellen. Dieser kündigt zu Hause einen "berühmten Schriftsteller" an und entsprechend groß ist die Aufregung in der Familie, wie sich eine Cousine Olivias später erinnert:
    "Wir fragten uns, wie er wohl aussehen würde, ob er die ganze Zeit über lustig sein würde und ob wir auch versuchen sollten, lustig zu sein? Was sich junge Damen eben so vorstellen. Ich glaubte, im Vergleich zu meiner Cousine Olivia einen Vorteil zu haben, wenn auch nur einen einzigen. Sie war reich, schön und geistreich, aber sie konnte keine Witze verstehen – ich konnte es."

    Doch es war Olivia, in die sich Mark Twain verliebte. Völlig überwältigt von der Begegnung mit Olivia schreibt er an seine Mutter:

    "Ich werde ab morgen keinen Alkohol mehr anrühren, obwohl ich nichts dergleichen geschworen habe. Ich werde (…) ein Christ sein."

    Wie wir aus Pechmanns Kommentierung erfahren, stammte seine Angebetete aus einer tief religiösen Familie. Twain hingegen war zeit seines Lebens jedweder Religion nicht sonderlich zugeneigt. Er war ein starker Raucher und genoss zumindest in jungen Jahren Alkohol in solchen Mengen, dass ihm dieses Laster einen schlechten Leumund bei seinen Schwiegereltern einbrachte. Aus seinen Briefen und Notizen erfahren wir Allzumenschliches: gute Vorsätze wechseln sich ständig ab mit Rückfällen. Natürlich trank er auch am nächsten Morgen wieder einen guten Whisky.

    Die Briefe sind genauso spannend zu lesen wie Twains Romane, gelegentlich voller Situationskomik:

    "Ich nahm Kurs auf das Postamt. Es schüttete wie aus Kübeln. Ich schnappte mir im Flur einen schmutzigen alten Regenschirm und lief los. Doch dieser Schirm ließ sich zu weit aufklappen und bog sich falsch herum durch – wie ein Trichter – und Livy, das kannst Du mir glauben, bevor ich drei Block weit gegangen war, hatte er mir mehr als achtzehn Tonnen Regenwasser den Rücken hinuntergekippt. Ich hatte noch meine leichten Schuhe an und begann das Wasser langsam aufzusaugen. Tonnen und Tonnen saugte ich auf, und das Wasser stieg in mir und stieg immer höher, bis es mir aus dem Mund und aus der Nase kam, und bald darauf begann ich zu weinen, zum Teil aus Trauer und zum Teil weil es überlief."

    Auf dem Postamt kommt es zu einem Slapstick. Der Schirm wird verwechselt. - Zweifellos zeugen solcherart Briefe nicht nur vom lustigen Alltag Mark Twains, sondern, wie der Herausgeber Pechmann erläutert: sie sollten die Geliebte während der immer wieder langen Trennungszeiten an ihn fesseln, sie unterhalten und aufmuntern. Es lag offenbar im Temperament dieses Schriftstellers, dass ihm Scherze und Humoresken nur so zuflogen. Aus Alltagsbeobachtungen schöpfte er seine "Helden" und Pointen, den Stoff für seine Dichtung.
    Auch wenn im Buch Briefe und Notizen an und über weitere Personen, an die Mutter, an die späteren Töchter enthalten sind, so zieht sich doch die außergewöhnlich leidenschaftliche Liebesbeziehung von Mark Twain und seiner Livy wie ein roter Faden durch die Seiten. Beginnend etwa mit den Postscripten Twains aus den ersten Wochen ihrer Begegnung, die aus nichts anderem bestehen als den berühmten drei Worten: "Ich liebe Dich, Livy!", die der Autor in einem Brief bis zu fünf "P.P.P.P.S" wiederholt. Bis hin zu den Altersbriefen, mit kaum weniger leidenschaftlichen Anreden:

    "Guten Morgen, Liebste, es ist ein strahlend schöner Tag, und ich liebe Dich sehr. Ich wünschte Du wärst hier, mein Schatz."

    Und Livy antwortet – wir sind immerhin im 32. Ehejahr- zärtlich:

    "Mein Junge, mein lieber, kostbarer Schatz. Könntest Du nicht in meinem Boudoir schreiben? Dann könnte ich Dich räuspern hören, und es wäre so eine Freude, Dich in der Nähe zu spüren. Du fehlst mir so sehr, so sehr. (…) Mit der tiefsten Liebe meines Herzens, Livy."

    Mark Twain: "Sommerwogen. Eine Liebe in Briefen"
    Aus dem Amerikanischen von Alexander Pechmann, Aufbau Verlag, Berlin 2010, 304 Seiten, 16,95 Euro