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Eine leichte Komödie

Die gegenwärtige Vorliebe etlicher spanischer Autoren, zu den Anfängen der modernen Literatur zurückzukehren, zum profanen Theater, der sentimentalen Poesie, den Ritterromanen und den collagierten Pop-Produkten und reinen Konsumgütern, bedeutet auch, daß der Schriftsteller als moralische Instanz und Erbe des revolutionären Helden weitgehend abgedankt hat.

Hans-Jürgen Schmitt |
    Was wird aus der Literatur, wenn ihr aber das gesellschaftliches Engagement ebenso fehlt wie die kritische Rezeption der Leser, ja wenn nur noch der Markt bestimmt, was Literatur ist? Das sind Thesen, die neuerdings auch in Spanien diskutiert werden, seit Lothar Baiers gewichtige Streitschrift "Was wird Literatur?" im vergangenen Jahr in Madrid publiziert wurde.

    Nun könnte man alle Theorie beiseite schieben angesichts des Erfolgs, den Eduardo Mendoza mit seinem neuen Roman "Eine leichte Komödie" verbucht hat. Über 200.000 Exemplare wurden allein in Spanien verkauft. Die spanischen Kritiker rieben sich verwundert die Augen: darf das sein, daß einer heute noch einen realistischen Roman schreibt, da doch der kalte Manierismus eines Javier Marías die eigentliche spanische Moderne sein soll?

    Mendozas Romane, darunter besonders "Die Wahrheit über den Fall Savolta" und "Die Stadt der Wunder" sind allerdings bislang allesamt Versuche, sich mit Spaniens jüngster Vergangenheit in einer realistischen Erzähltradition auseinanderzusetzen. Trotz Mendozas großen Erfolgen hält dieser, bescheiden und selbstkritisch wie er sich immer gibt, die Situation der Literatur für "tragisch". Und er meint zum gegenwärtigen Roman in Spanien:

    "Den Roman, den wir uns vorstellen, der ist dabei zu verschwinden. Doch auf der Suche nach einer Sprache, die die neuen Realitäten definiert, habe ich mehr Angst davor, daß sie möglich sein wird, als an ihre Unmöglichkeit zu denken."

    Das, immerhin, ist ein positiver Wink! Ob sein neuer Roman schon auf dieser innovatorischen Suche ist, wird zu fragen sein. In diesem Roman, "Eine leichte Komödie", versucht Mendoza an seinen überragenden Epochenroman "Die Stadt der Wunder" wieder anzuknüpfen, zumindest äußerlich: wiederum wird Barcelona zum dramatischen Schauplatz. Ein mittelmäßiger Bühnenautor, Verfasser von Komödien, der bislang ein leichtes, bequemes Leben geführt hat, gerät im Barcelona der vierziger Jahre plötzlich in allerhand Konflikte, als er versehentlich in ein Verbrechen verwickelt wird. Dies ist in Kürze auch der rote Faden der Geschichte, die reichlich simpel klingt und so linear angelegt ist wie in keinem der vorangegangenen Romane Mendozas. Aber, wie sich bald zeigt, nicht die detektivische Aufdeckung eines Verbrechens steht im Vordergrund der erzählerischen Recherche, sondern diese bildet mehr das Vehikel, um einen breitangelegten Sittenroman auf komödiantische Art zu erzählen. Doch welches sind die Ingredienzien und welches die Stimulanzien dieses gewagten Roman-Unternehmens, das den Leser bei Laune und gebannt bei der Lektüre von 500 Seiten halten soll?

    Die zentrale Verankerung des Romans entwickelt sich von Carlos Prullàs aus, dem Protagonisten, den Mendoza, wie nach der Romantheorie von Georg Lukács, als "mittleren Helden" konzipiert hat, das heißt als eine Figur, die aufgrund ihrer Durchschnittlichkeit mit den unterschiedlichsten sozialen Schichten kommunizieren kann und dies ist einer der Trümpfe des Romans: seine kontrastrierenden, schnell wechselnden filmreifen Szenen und Örtlichkeiten. Es ist zum einen die zu Geld gekommene Klasse der Barceloneser Nachkriegsbourgeoisie, die Mendoza aufs Korn nimmt, und es sind zum anderen die entwurzelten Gestalten einer pittoresken Gegenwelt, Geschöpfe wie der kleine Schwarzhändler und Polizeispitzel Poveda oder der Krüppel Cosa Bonita, der den Helden in die Unterwelt Barcelonas zu einem gefährlichen Burschen lockt, der "Findling" heißt:

    "Als sie vor die zugezogene Leinwand des letzten Raumes gelangten, verstummte der Lärm. Diese Ruhe war schlimmer als alles Keifen und Kneifen, das ihr vorausgegangen war. Prullàs wandte sich um. Gehen wir, sagte er (...) Der Krüppel hielt das Gesicht an die Leinwand. Erlauben Sie? Eine Frauenstimme antortete. Bist dus, Cosa Bonita? Mit einem Begleiter. Herein! Der Lampenschirm war kaputt und warf schief ein grelles Licht auf ein Segment des schmutzigen Lochs. Auf dem Bett zurückgelehnt, bedeckte sich Antoñita, die Spreizbeinige, mit dem unteren Teil des Morgenrocks die dicken, mit Krampfadern und Prellungen übersäten Schenkel. Im Dunkel saß ein bleicher, magerer Mann mit glattpomadisiertem Haar, zusammengepreßten Lippen, schmalem Schurrbärtchen und fliehendem Kinn (...) Prullàs fühlte sich immer unbehaglicher. Wickeln wir unser Geschäft ab, sagte er. Das hängt von ihnen ab. Haben Sie den Zaster mit? Ich habe viertausend Peseten bei mir. Die Sache ist das Dreifache wert. Alles ist das wert, was man dafür zu zahlen bereit ist, sagte Prullàs; ich habe mein Angebot gemacht. Wenn es ihnen zu wenig ist, suchen Sie sich einen anderen, der mehr gibt. Der Findling warf einen flüchtigen Blick auf seine Gesprächspartner und grinste, eine Reihe kaputter Zähne entblößend. Es ist nicht der Stil des Findlings, um Knete zu streiten, sagte er. Her mit den viertausend. Zuerst das Dokument. Der Findling kniff die Augen zu. Passen Sie auf, mein Freund, sagte er leise; ich will Sie nicht beleidigen, aber ich muß Ihnen eins sagen: Das da ist nicht das Ritz; hier sind wir an einem einfachen, anspruchslosen Ort, wo anständige Leute herkommen, um eine Nummer zu schieben.; verlangt einer etwas Besonderes, ist man ihm zu Diensten, wenn er dafür blecht. Aber bei allem anderen ist es meine Wenigkeit, die sagt, wos langgeht, ist das klar?"

    Mendozas Blickschärfe und erzählerische Fähigkeit gelingt es, mit der gleichen Leichtigkeit das Ambiente eines Palastes zu beschreiben wie die Behausung im sogenannten Barrio Chino, dem Chinesenviertel, oder die Atmosphäre im verschlissenen Glamour eines Stundenhotels.

    Die Hauptfigur, der Komödienschreiber Prullàs, nimmt in der Mischung aus Perversion und naiver Offenheit in Sachen Moral eine ziemlich unverholene Haltung ein. Er spielt gern den Verführer der Freundin seiner Frau oder den einer jungen Elevin, die gerade in einem seiner Stücke eine Rolle probt; und er gibt sich als ein präpotenter Typ, der sich Gefahren aussetzt, der dann aber auch in größte Trivialitäten verfällt und dabei beinahe das Leben riskiert. Untreue, Täuschung der ihm Nächsten, passen zu seinem Lebensstil. Sein Erfolg als Theaterautor gibt ihm freilich in der Öffentlichkeit jene Stellung, wie sie Gaudet,sein Freund und Regisseur, wiedergibt: "Du bist eine Respektsperson, ein vorbildlicher Bürger, fast eine Zierde der Nation. Warum hättest du irgendeinen Typ umbringen sollen, zu dem du keine Beziehungen hattest? Wo hat man schon einmal ein Verbrechen ohne Motiv gesehen?"

    Gerade die beiden Seiten von Prullàs Wesen nützten seinem gesellschaftlichen Verhalten: er hat Beziehungen zur angesehenen Barceloneser Bougeoisie, oder aber er läßt sich auch auf die Unterwelt des Barrio Chino ein, wenn er glaubt, es sei für seine Interessen notwendig.

    Mendoza liebt es, große gesellschaftliche Einladungen tableauartig zu beschreiben; wie im 3. Kapitel etwa, wo dann sein perfekter Konversationsstil die Gesellschaft ironisiert, ihre korrupten geschäftlichen Unternehmungen oder ihre politisch reaktionäre Einstellung bloßstellt. Und immer neue Figuren läßt der Autor wie auf großer Bühne auftreten, deren volle Bedeutung erst im weiteren Verlauf der Handlung erkennbar wird.

    Ebenso erstaunlich ist seine Fähigkeit, Kneipen und Spelunken zu schildern oder Szenen bei Gericht. Eduardo Mendoza, der viele Jahre UNESCO-Dolmetscher in New York war, weiß eben auch als Erzähler, souverän seinen kolloquialen Erzählduktus zu führen. Unter der bunten Vielzahl von Personen fallen seine Frauengestalten besonders auf: die Ehefrau Martita, die sich pragmatisch dreinschickt in jenem Sommer der Romanereignisse auf dem Lande, ihre Freundin Marichuela Mercadal, die vom täglichen Kirchgang wie von einem Zauberer gleichermaßen spiritisch benebelt ist; Mariquita Pons, die berühmte Dame des Theaters, die die Hauptrollen in Prullàs Komödien spielt und als Ehefrau gefährliche Nebenrollen eingeht, oder die gut gewachsenen Señorita Villalba, die, aus der Unterwelt kommend, nicht nur in Prullàs Komödie probt und allerhand Verwicklungen durchmacht. Sie alle verkörpern unterschiedliche Lebensarten, sind Frauen, die vom Instinkt, der Leidenschaft, der Berechnung oder der Bequemlichkeit geleitet sind.

    Die schillerndste und interessanteste Männergestalt schafft Mendoza mit dem intellektuellen Polizeichef Verdugones - dessen Name, vom spanischen Wort Verdugo, Henker, abgeleitet, für spanische Leser noch bedrohlicher klingt. Als Lorenzo Verdugones Carlos Prullàs zum ersten Mal an seinem Ferienort vor Barcelona aufsucht, um ihm zur Mitarbeit an der Aufklärung eines Mordes zu bewegen, liest Prullàs gerade den Roman "Die Morde der roten Witwe", und es entspinnt sich folgende Unterhaltung, in der es um mehr als nur um die Differenz von Literatur und Wirklichkeit geht, es ist eine der Schüsselszenen, die die wirkungsvoll parodistische Tendenz des Romans erhellt:

    "Nicht einmal in diesem irdischen Paradies gewähren Sie Ihrem Blutdurst etwas Ruhe, mein lieber Prullàs! Sagen Sie eher, meinem Ideendurst, erwiderte Prullàs im selben leutseligen Ton; mit jedem Tag fällt es mir schwerer, neue Situationen für meine Komödien zu erfinden, so daß ich Anleihen machen, wenn nicht sogar abkupfern muß.

    Oh, nanu, ich dachte, das ganze besteht nur darin, eine Technik zu beherrschen, sagte der Chefbeamte und legte den Roman sanft auf den Liegstuhl, alte Rezepte immer neu zu kombinieren und mit kleinen Varianten zu wiederholen. Letztlich haben Sie, die Autoren von Kriminal- und Detektivgeschichten, meiner bescheidenen Meinung nach den großen Vorteil, nämlich daß der Mörder, das Opfer und der Detektiv von vornherein bereit sind, sich den Gegebenheiten der Handlung zu fügen, sich diszipliniert und ganz unegoistisch zu benehmen, miteinander zusammenzuarbeiten und so intelligent oder so dumm zu sein, wie es dem guten Fortgang der Erzählung dienlich ist. Er lächelte müde und fügte hinzu: Weiß Gott, was geschähe, wenn die Dinge in der Wirklichkeit genauso funktionierten! Zu unserem Glück sind die echten Mörder gemeine, ungestüme, nachlässige Kerle; das Verbrechen steht ihnen ins Gesicht geschrieben, und sie verraten sich durch Ungeschicklichkeit, wenn nicht durch Prahlerei leicht selbst. Denn ich versichere Ihnen, wenn ein Krimineller sich so umsichtig und geschickt verhalten würde, wie in den Romanen, die Sie lesen, und in den Komödien, die Sie schreiben, würde sein Verbrechen ungesühnt bleiben...."

    Hier zeigen sich einige der Hauptstärken des Erzählers Mendoza: die gelungene Verschmelzung von Gespräch bzw. Dialog und auktorialem Erzählstandpunkt. Der ganze Roman kommt auch optisch dabei ohne die üblichen An-und Abführungszeichen der direkten Rede aus. Und man spürt: Parodie und Theatralik sind Mendozas Würze und zugleich Mittel der Entlarvung, der Bloßstellung seiner Geschöpfe und der ganzen von ihm in Gang gebrachten Romanmaschinerie. Sagt doch auch der Gerichtsmediziner, ein Liebhaber von Prullàs Komödien, er erlebe Fälle, die als Komödienstoffe dienen könnten, die allerdings, würden sie auf der Bühne gezeigt, von keinem Publikum für wahrhaftig gehalten würden! Und seinen Regisseur geht Prullàs einmal wütend an: " Es ist kaum zu fassen, daß du dein halbes Leben im Theater verbracht hast und so wenig über die menschliche Natur weißt!"

    Schönes Spiel, wie da Mendoza seinen Theatermann Prullàs und sich selbst als Autor, der hier "Eine Leichte Komödie" schreibt, immer wieder auf den Arm nimmt, wie einmal die Realität, dann wieder die Bühne des Theaters die jeweiligen Garanten für das wirkliche Leben sind. Das ironische Gegeneinander von Schein und Sein, Realität und Fiktion, dieser spielerische Antagonismus ist Mendozas selbstkritische Metaebene des Romans: daß romantheoretisch zumindest mit einem Augenzwinkern Selbstzweifel eingebaut sind, wodurch schon dem Leser angedeutet wird, nicht alles so ernst zu nehmen. Wie sagt doch sein Regisseur Gaudet, der in Sartre das Theater der Zukunft sieht und eigentlich Prullàs Stücke nicht mehr inszenieren will: "Die Leute haben die Intrigenstücke satt, sie wollen wirkliche Probleme auf der Bühne sehen. Du magst es seltsam finden; aber es ist nun mal so."

    Mendozas Blick ist der des gelassenen Erzählers, der die Realität teils karikiert, teils seziert und sie sich dabei auf Distanz hält. Wichtiger sind ihm Gesten als Gefühle; nicht psychologische Fundierungen, sondern parodistische Übersteigerungen und Maskeraden und nicht Charaktere zeichen seine Gestalten aus.

    Er hat zwar Sympathie für seine Geschöpfe, aber heroische Abgänge gibt es in der Komödie nicht. Prullàs macht schließlich einen erbärmlichen Eindruck, als es ihm im Barrio Chino an den Kragen gehen soll, und der Chefbeamte Verdugones, am Ende durch die katalanische Intrige eines Mehlkonsortiums, das er vor Gericht bringen wollte, aller Macht beraubt, ist nur noch ein Schatten seiner selbst.

    Mendoza wollte die stumpfe und korrupte Gesellschaft Francos am Ende der vierziger Jahre beschreiben, aber es sollte nicht in erster Linie ein Epochenroman werden wie der Roman "Die Stadt der Wunder", wo die Schicksale und Tragödien in den großen Zeitumbrüchen auch ihre existentielle Begründung erfahren. Hier bekommen wir, in der Tat, eine leichten Komödie vorgesetzt, bunt und abwechslungsreich.

    Darum hat Eduardo Mendoza sein Roman-Inszenarium wie eine Opernbühne gebaut. Die neun Kapitel sind neun Akte, die einzelnen Unterkapitel jeweils Bühnenszenen oder Tableauxs mit je wechselnden Orten. Mendoza ist ihr perfekter Regisseur, der das Räderwerk ohne Nebengeräusche in Gang hält, der die Regie seines Ensembles souverän lenkt. Die Zeitgeschichte, die von fern hereinspielt: Nürnberger Prozesse , Atomexplosion in der Wüste von Nevada, Stalin und der Kalte Krieg - sie sind diesmal nur Kulisse ohne Auswirkung. Selbst die Versorgungsprobleme des franquistischen Spaniens, von denen so oft im Roman die Rede ist, haben offenbar keine negativen Folgen für den Komödienschreiber Prullàs, denn der trinkt beste Weine und ißt Spargelsalat mit Seezunge in Weißweinsoße oder Risotto à la catalana.

    Spanien ist nicht Lateinamerika, wo der realistische Roman mit seinen magischen Elementen durch einige Autoren eine glänzende Überhöhung erfahren hat. Eduardo Mendozas Roman - da halten wir gegen die spanischen Kritik - ist weder realistisch noch phantastisch, weil die Wunder Barcelonas spätenstens seit den dreißiger und vierziger Jahren verschwunden sind. Mendoza kann die Gesellschaft nur als Parodie, als Karikatur, als groteske Komik inszenieren. Und weil dies nicht einfach ist, mußte er diesmal bühnenreife Mittel in Szene setzen, um die Wirklichkeit wenigstens als Panoptikum erfassen und spiegeln zu können.