Donnerstag, 28. März 2024

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Eine Liebe fürs Leben
Die Lady Inchiquin

15 Jahre lang spielte Frank Peter Zimmermann auf der Stradivari "Lady Inchiquin", er kannte ihre Eigenheiten wie kein anderer. Die Bank, der die Geige gehörte, geriet jedoch in Schwierigkeiten, die "Lady" verschwand in einem Tresor. Zimmermann musste ein neues Instrument suchen, konnte seine "Lady" aber nicht vergessen.

Von Christoph Vratz | 05.08.2019
    Links eine Geige im Profil, rechts der Geiger Frank Peter Zimmermann im Profil, der verschmitzt in die Kamera blickt.
    Nach eineinhalb Jahren Trennung standen sie wieder gemeinsam auf der Bühne: Frank Peter Zimmermann und die Geige "Lady Inchiquin" (Harald Hoffmann / Hänssler Classic)
    Die Geige aus der Werkstatt von Antonio Stradivari traf 2002 bei Frank Peter Zimmermann in Köln ein. Ihr Name: Lady Inchiquin.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert D-Dur op. 61
    F. P. Zimmermann, Sächsische Staatskapelle Dresden, Bernard Haitink (Ltg.)
    Im Besitz der Landes-Bank West durfte das Instrument zur dauerhaften Untermiete bei Zimmermann einziehen.
    Die Geige bestimmt, wie gespielt werden soll
    Frank Peter Zimmermann: "Ich habe auf dieser Geige, die mal Fritz Kreisler gehört hat, eine Stradivari von 1711, die Möglichkeit, wirklich ausdrucksmäßig unglaubliche Dinge herauszuholen. Das erfordert wahnsinnig viel Aufwand, weil diese Geige eigentlich nicht gefordert werden will, sondern weil sie eher verlangt, dass der Spieler so spielt, wie sie das gerne möchte."
    Jahre hat Zimmermann gebraucht, um die Geheimnisse der "Lady" zu ergründen und all ihr Nuancen auszuloten, ihre Farben, ihre Süße, ihre Wärme. Eine Liebe fürs Leben nennt Zimmermann gern seine Beziehung zu dieser Geige.
    Frank Peter Zimmermann: "Die Geige ist, wie alle "Strads", eine ziemliche Primadonna, sie ist nicht einfach zu spielen. Und man will doch irgdnwie das Allerbeste aus ihr herausholen, und sie wirklich spüren lassen, dass sie sich wohl fühlt, dass ich möchte, dass sie sich wohl fühlt."
    Doch im Februar 2015 droht der Liebesbeziehung das Aus: Die Bank soll wegen eigener finanzieller Engpässe das Instrument zu Geld machen, sogar Zimmermann selbst bietet mit. Doch die Preis-Forderungen sind illusorisch hoch. Niemand will die geforderte Summe auf den Tisch legen. Trotzdem muss die Geige ihre Heimat verlassen – drei Tage vor Zimmermanns 50. Geburtstag – und landet schließlich in einem dunklen Tresor. Der Geiger steht plötzlich ohne Instrument da, und das kurz vor einer Aufnahme mit Konzerten von Mozart. Er leiht sich kurzfristig eine andere Stradivari – ein Instrument, das früher, um die Wende zum 19. Jahrhundert, dem berühmten Virtuosen Giovanni Battista Viotti gehört hat.
    Frank Peter Zimmermann: "Die hatte einen Bodenstimmriss, und sie klang vor dem Mikrophon wunderbar. Also sie hatte auch diese Süße, sie war von 1712, also auch beste Zeit."
    Musik: Wolfgang Amadeus Mozart, Violinkonzert Nr. 2 D-Dur KV 211
    F. P. Zimmermann, Kammerorchester des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Radoslaw Szulc (Ltg.)
    Frank Peter Zimmermann: "Ich habe mich eigentlich auf der Geige sehr schnell zurechtgefunden. Ich habe innerhalb von sieben, acht Tagen direkt dann auch Mozart-Konzerte im Konzert damit gespielt."
    Fürs Mikrophon eine gute Geige – aber fürs Konzert, für die großen Säle, ist ihr Klang zu schwach. Zimmermann sucht also weiter, doch vergeblich.
    Eine unerwartete Wendung
    Ein Dreivierteljahr später, Dezember 2015: Während einer China-Tournee stellt sich, eine Stunde vor einem Konzert in Shanghai, ein Mann mit einem Geigenkoffer vor und fragt, ob Zimmermann einmal sein neu erworbenes Instrument anspielen wolle. Zimmermann erkennt sofort, wem es zuvor einmal gehört hat: dem großen belgischen Geiger Arthur Grumiaux.
    Frank Peter Zimmermann: "Und dann wirklich ein paar Töne, auf der E-Saite diese unglaubliche Süße! Und je nachdem, wie man vibriert, man meint, der Grumiaux spielt da selbst drauf. Und ich habe dann wahrscheinlich nach zehn, fünfzehn Tönen sofort begonnen, Mozart darauf zu spielen, weil ich hatte diese Eingebung."
    Violinist Frank Peter Zimmermann bekommt in New York, von Liya Yu, der Tochter eines chinesisch-deutschen Unternehmers, eine Stradivari übergeben. Die millionenschwere Geige hat Zimmermann als Leihgabe von ihrem Besitzer erhalten.
    Violinist Frank Peter Zimmermann mit der "General Dupont". Neben ihm Liya Yu, die Tochter des chinesisch-deutschen Unternehmers, der die Stradivari gekauft und sie Zimmermann geliehen hat. (picture alliance / dpa / Anja Rauschardt)
    Es handelt sich tatsächlich um Grumiaux‘ Stradivari mit dem Namen "General Dupont". Wie aber ist es möglich, dass Zimmermann sie sofort und allein am Klang zuordnen konnte?
    Frank Peter Zimmermann: "Bei Grumiaux war es halt so, ich bin mit seinen Aufnahmen aufgewachsen. Ich kann mich erinnern, dass mein Vater schon die Schränke voll hatte mit Mozart- und Bach-Aufnahmen, mit den Trio-Aufnahmen von Gumiaux, und in der Zeit hat er diese Geige gespielt, also in den 50er und 60er Jahren."
    Musik: Wolfgang Amadeus Mozart, Divertimento Es-Dur KV 563
    Grumiaux Trio
    Frank Peter Zimmermann: "Ich fange meist auf so für mich neuen Instrumenten an, erst einmal ein bisschen Technik zu üben, einfach fast Non-Vibrato Terzen-Tonleitern zu üben, und dann hört man sofort, welche Töne sind besonders obertonreich, welche Töne sind ein bisschen näselnd. Wenn man die Geige einfach so singen lässt, wie sie ist, ohne viel selbst dazu beizutun, dann merkt man, was das Potenzial ist und wie weit man gehen kann."
    Zimmermann spielt ein paar Töne auf der Geige "General Dupont"
    "Diese Obertöne oder einfach die Süße, so was hat nur "Strad". Auf der G-Saite. Das hat schon dunkle Töne, aber es ist halt nicht ganz so dunkel wie die Lady."
    Zimmermann spielt noch einmal ein paar Töne auf der Geige "General Dupont"
    "Jetzt ist immer die Frage: Soll man da so drücken. Ich finde bei Bartók immer, der rechte Arm oder die rechte Hand muss einen gewissen Druck ausüben, was ich sonst nicht mache bei anderen Komponisten. Aber es hat irgendwas mit Paprika im Klang, was bei Bartók immer sein muss. Und das ist so eine Frage, ob ich das bei dieser Geige machen sollte oder nicht. Das sind so Sachen, die muss man halt ausprobieren über Monate, auch im Saal…"
    Während die "Lady Inchiquin", seine Ex, im Tresor liegt, arbeitet Zimmermann jetzt mit dem "General Dupont".
    Frank Peter Zimmermann: "Es hat so etwas Apollinisches eigentlich – apollinisch ist das Wort, das ich für Grumiaux mit seinem unglaublichen Klang wählen würde. Und die Lady war grundsätzlich auf allen vier Saiten so unglaublich ausgeglichen, und sie hatte – das ist vielleicht aber auch die Zeit, 1711 war Stradivaris größte Zeit, da war er absolut auf dem Höhepunkt – sie hatte fast etwas Guarneri-Artiges auf den beiden tiefen Saiten."
    Der neue Mietvertrag mit der Grumiaux-Geige läuft über drei Jahre. Doch schon im nächsten Sommer, eineinhalb Jahre nach der harten Trennung, folgt eine unerwartete Wende. Das Land Nordrhein-Westfalen beschließt, die "Lady Inchiquin" zu kaufen – und sie Frank Peter Zimmermann wieder zur Verfügung zu stellen. Die Lady kehrt also nach Köln zurück.
    Die alte Liebe ist wieder da. Endlich.
    Frank Peter Zimmermann: "Es hat sich nichts verändert. Ich habe nie damit gerechnet, dass sie zurückkommt. Ich hatte wunderbare andere Stradivari-Geigen, aber alle waren sie nicht meine Stimme. Das Schicksalhafte oder das Schlimme, das Schlimmste für mich war, dass ich wirklich in den 15 Jahren, wo ich diese Geige gespielt habe: Der Klang dieser Geige ist eigentlich meine Stimme geworden. Und es war so, dass man mir wirklich den Klang wegnimmt und dass ich tonlos irgendwas hab spielen müssen."
    Musik: Johannes Brahms, Violinkonzert D-Dur op. 77
    F. P. Zimmermann, Royal Concertgebouw Orchestra Bernard Haitink (Ltg.)
    Frank Peter Zimmermann: "Es waren auch so viele Dirigenten oder Musiker, die haben sofort gemerkt, ich brauchte nicht sagen, dass es die "Lady Inchiquin" wieder war. Es war auch ganz interessant, dass, kaum dass ich die Geige zurückhatte, nach ein, zwei Tagen – als ob es sie nie anders gewesen wäre."