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Eine Liebesgeschichte ohne Liebe

Eine Liebesgeschichte ohne Liebe, eine Romanze ohne offensichtliche Gefühlsregungen - Hiromi Kawakami erzählt in ihrem Roman von dem gescheiterten Verhältnis zwischen Takeo und Hitomi, die beide als Aushilfen in einem Trödelladen arbeiten. Ein Buch, das durch Äußerlichkeiten geschickt verbirgt, wovon es eigentlich erzählt - und zwar äußerst ungewöhnlich, komisch und weise.

Von Antje Strubel |
    Hiromi Kawakami erzählt in ihrem Roman "Herr Nakano und die Frauen" eine Liebesgeschichte, in der die Liebe fehlt. Takeo und Hitomi arbeiten beide als Aushilfen im Trödelladen von Herrn Nakano. Zu tun gibt es für japanische Verhältnisse außerordentlich wenig. Manchmal gibt es Ankäufe, Wohnungsauflösungen, selten kommen Kunden.

    Ähnlich wie der Tabakwarenladen in Paul Austers Erzählung "Smoke" ist Nakanos Trödelladen Zentrum und Motor des Buches. Als es den Laden nicht mehr gibt, fallen auch die Beziehungen der Figuren auseinander, findet der Roman seinen offenen Schluss. Das verstaubte Geschäft mit dem handgeschriebenen Öffnungsschild über der Tür wirkt wie die Gegenseite eines hyperaktiven, durchgeplanten japanischen Lebensstils - und scheint wie gemacht als Ort, an dem sich Beziehungen anbahnen wie die zwischen Takeo und Hitomi. Allerdings scheint die schon vorbei zu sein, bevor sie überhaupt begonnen hat. Sie schlafen miteinander. Aber diese schnelle, verschwitzte Begegnung auf einem Sofa nach dem Verzehr eines gekauften Schnellgerichts, bei der die Jeans nicht ganz ausgezogen wird, ist mehr eine Pflichtübung, um die Körper zu besänftigen, als ein romantisches Ereignis.

    Romantik gibt es in diesem Buch nicht. Seltsamerweise wird es zusammengehalten von der Geschichte zwischen dem wortkargen, ungelenken Takeo und der zögerlichen, etwas begriffsstutzigen Hitomi, obwohl sie sich gar nicht ereignet. Takeo und Hitomi gehen sich aus dem Weg, im Trödelladen meiden sie einander. Die erwartbare Sprache für das, was die beiden verbinden könnte, die Sprache der Liebe, spricht diese japanische Schriftstellerin nicht. So wie die Dinge, die es im Trödelladen zu kaufen gibt, Zeichen eines vergangenen Lebens sind, scheinen die Figuren dieses Buchs Übriggebliebene; eine Hinterlassenschaft ihrer Gefühle.

    Einzige Ausnahme ist Masayo, die Schwester von Herrn Nakano, die mit ihren künstlerischen Ambitionen für etwas Aufregung sorgt, die ein wenig Leidenschaft in die immergleichen Abläufe bringt. Denn selbst das Ausweichen der beiden Liebenden ergibt kein Netz von Anziehung und Abstoßung, keine flirrende Ungewissheit, wie man es von Liebesgeschichten her kennt. Es ist einfach ein Vorgang, der wegen der Enge des Ladens schwierig, aber doch zu bewerkstelligen ist. Bekenntnisse, Offenbarungen, psychische Einbrüche, das Beiwerk jeder Romanze bleiben in diesem Buch eine unmögliche Erzählform. Zuneigung, Hingabe, Verlustschmerz kommen weder in den alltäglichen Gesprächen im Trödelladen vor, noch im Gefühlshaushalt der Erzählerin Hitomi. Und wenn Herr Nakano seine Partnerinnen wechselt, mit denen er bevorzugt tagsüber in Hotelzimmern verschwindet, entstehen auch daraus keine Dramen. Als ihm doch mal eine ein Messer in die Seite rammt, vielleicht aus Eifersucht, geschieht das ohne jede Leidenschaft, so "wie man ein Insekt verscheucht". Und wie ein Insekt behandelt auch die Erzählerin Hitomi jede Andeutung von Gefühl; entweder wird es verscheucht oder kühl seziert.

    Dieser Roman ist der Versuch, dem subjektiv-innerlichen Phänomen der Liebe rein äußerlich auf die Spur zu kommen. Hiromi Kawakami stellt auf überraschende und originelle Weise die alte Frage, ob der Liebe über das innerliche Empfinden hinaus eine Realität zukommt, eine Realität, in der sie weder erstarrt wie in der familiären Konvention, noch sich verflüchtigt wie in ihrer körperlichen Konkretisierung. Deshalb gibt Kawakami dem Alltäglichen so viel Raum. Das Beiläufige, das Nebensächliche, die automatischen Verrichtungen, die routinierten Tagesabläufe rücken in den Vordergrund. Der Erwerb von Bilderrollen, Tellern, Uhren - all des Trödels - ist so belanglos wie die täglichen Gespräche im Geschäft. Aber genau in diesem Alltag, im Unwesentlichen nämlich, müsste, so die Hoffnung der Autorin, das Wesentliche aufgehoben sein. Die Frage, ob Blätterteig mit Heidelbeeren besser schmecke als mit Apfel, müsste die wesentliche Frage nach dem gebrochenen Herzen nicht auslöschen oder verdecken, sondern eigentlich enthalten. So wie die Puppen, die Masayo für Kunstausstellungen fertigt, alles, was sie ausmacht, äußerlich zeigen müssen. Ihnen ist genauso wenig Innerlichkeit zueigen, wie den Helden der japanischen Autorin Kawakami.

    Ihr Roman scheint von einer Zeit zu erzählen, die sich schon ganz dem Sichtbaren ergeben hat, in dem das Unsichtbare, Vage für immer ausgespart bleibt. Es kann aber auch sein, dass es in einem japanischen Trödelladen romantische Innerlichkeit nie gegeben hat; Produkt der westlichen Welt, von dem man sich hier nicht angesprochen fühlt. Wenn doch jemand weint, ist das Gesicht, über das die Tränen rinnen, daran so unbeteiligt wie eine Vase. Es könnte allerdings auch sein, dass die Gefühle einfach zu groß sind für das Gefäß Mensch. Denn zum einen ist die junge Erzählerin ständig auf der Suche nach etwas, scheint getrieben von etwas, das ihr nicht ganz durchschaubar wird, das sie nicht ergründet - so wenig wie sie den Geliebten Takeo und sein Verhalten ergründen kann.

    Das Verhältnis zwischen beiden bleibt seltsam blass. Da sie sich nie erklären, besteht es einzig in der Vermeidung eines Verhältnisses. Zum anderen brechen viele der Gespräche zwischen Herrn Nakano und seinen Angestellten mitten im Satz ab, verebben an Stellen, an denen sie sich einer Emotion öffnen könnten - so herrscht eine merkwürdige Kargheit, fast Ruppigkeit zwischen den Figuren. Und genau aus dieser Ruppigkeit entwickelt Kawakami eine große Komik. Das Ausbremsen jeder Gefühlsregung führt zu einem Überschuss an Gefühl, das sich dann in seiner einfachsten Form, dem Trieb, immer wieder unverhofft Raum verschafft. Da kann auf ein gewöhnliches Verkaufsgespräch unvermittelt die intime Frage nach einer sexuellen Praktik folgen, oder die nüchterne Begutachtung eines Feuerzeugs führt übergangslos zur Diskussion des weiblichen Stöhnens beim Orgasmus.

    Das deutlichste Zeichen dafür, dass sich vielleicht doch etwas jenseits der Alltäglichkeit, außerhalb des Sagbaren ereignet, ist die Zeichnung, die Takeo von Hitomi nach ihrer gemeinsamen Nacht angefertigt hat. Er hat sie nackt gemalt, obwohl sie ihm bekleidet Modell saß. Die Zeichnung ist Anlass für ihr Zerwürfnis. Sie ist aber auch Anlass für den Gedanken, dass das Buch die ganze Zeit von dem erzählt, was es verbirgt. Und zwar äußerst ungewöhnlich, komisch und weise.

    Hiromi Kawakami: Herr Nakano und die Frauen
    Hanser Verlag, 224 Seiten, 17,90 Euro