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Eine moralisch notwendige Baustelle

Bereits 2001 hatte der Münchner Stadtrat den Bau eines NS-Dokumentationszentrums beschlossen. Im November 2014 soll es nun endlich eröffnet werden. Die Besucher erwartet kein Museum, sondern auch die Dokumentation des deutschen Rechtsradikalismus der Gegenwart.

Von Wolf-Dieter Peter |
    Gibt es so etwas wie eine "moralisch notwendige" Baustelle? Ja – und München hat endlich so eine. Architekturprofessor und Gründungsdirektor Winfried Nerdinger:

    "Die authentischen Orte, die vermitteln: Genau hier ist es gewesen. Hier wird
    nichts virtuell vorgeführt, die sind Teil der Ausstellung. Das ist das Besondere
    dieses Münchner Dokumentationszentrums"

    Nach schier endlosem Kompetenzgerangel, jahrelangen Wortnebelgefechten und einem Stadtratsbeschluss von 2001 bekommt München endlich ein "NS-Dokumentationszentrum". Hier stand nämlich der junge Österreicher Adolf Hitler am 1.August 1914 in der Menge, als der Kriegseintritt des Deutschen Reiches verkündet wurde. Hierher kehrte er zurück, arbeits- und perspektivlos, wurde Militärspitzel im München der "Räte-Zeit" – und formte im Sterneckerbräu die bedeutungslose "DAP" in die "NSDAP" um. Im Münchner Bürgerbräukeller hat er geputscht, marschierte folglich am 9.November 1923 zur Feldherrnhalle - und scheiterte. Hier fand der unsägliche Prozess gegen ihn statt.
    Nach München kehrte Hitler zurück und baute schon ab 1925 das NS-System mit SA, SS, BDM und vielem anderem neu auf – mit viel – speziell auch weiblicher - Hilfestellung aus Münchens "besten Gesellschaftskreisen". Der Münchner Königsplatz – von König Ludwig I. als Zentrum seines "Isar-Athens" gebaut – wurde zum Paradeplatz, an dessen Ostseite die zwei "Ehrentempel" für die Toten des "November-Putsches" standen, daneben das "Braune Haus", die Parteizentrale von 1930 bis 1945. Exakt an dieser Stelle erhebt sich seit 2012 ein 25 Meter hoher weißer Kubus. In Münchens schöne Blickachse "Königsplatz-Karolinenplatz-Hofgarten" schiebt sich ein gebauter Störfaktor – getreu Klaus von Dohnanyi Diktum "Das helle Licht der Vernunft muss diese dunkle Zeit ausleuchten." Der weiße Kubus steht zwischen zwei bestens erhaltenen NS-Bauten: einerseits dem "Führerbau", in dem 1938 das berüchtigte "Münchner Abkommen" geschlossen wurde – heute erfreulicherweise die Hochschule für Musik und Theater; andererseits dem Verwaltungsbau der NSDAP – heute das Archäologische Institut der Universität. Durch die schmalen, hohen Fenster der vier oberirdischen Geschosse des neuen Doku-Zentrums können die Besucher auf diese Orte schauen. Und genau das wird der Hauptunterschied sein: Die meisten anderen Gedenkstätten sind "Opferorte" – Münchens Doku-Zentrum erhebt sich hingegen auf einem "Täterort", gibt als "böses Spiel mit der NS-Ideologie" schießschartenartige Blicke frei auf "Täterstätten". Soeben werden die Böden in die zwei Keller- und vier Besuchergeschosse eingezogen.

    Darunter jede Menge Kabelstränge wie auch an der Decke. Denn natürlich wird die multimediale und museumspädagogische Aufbereitung der Vergangenheit auf neuestem Stand sein, auch mit Datenbanken zur Vertiefung in Seminarräumen. Dass München auch eine Stadt des Widerstandes war – mit dem schmählich vernachlässigten, einsamen Helden Georg Elser und seinem Bombenattentat und natürlich der "Weißen Rose" – das wird thematisiert werden. Bislang ist die Eröffnung am geschichtsträchtigen "9.November" 2014 nicht in Gefahr. Ein Museum will Münchens "unumgängliche" Baustelle nicht "Museum" sein. Gründungsdirektor Winfried Nerdinger setzt einen besonderen, eben auch "unumgänglichen" Akzent:

    " [...] etwa 20 Prozent der Dauerausstellung wird die Zeit nach 1945 behandeln, d.h.
    also den Umgang der Stadt München mit diesem schwierigen Erbe als 'Hauptstadt
    der Bewegung' – und da ist lange Zeit sehr viel verdrängt worden – und die große
    Dauerausstellung endet dann in der Gegenwart: Wir wollen direkte Bezüge zu
    aktuellen Themen des Rechtradikalismus, des Antisemitismus bis hin zum NSU-
    Prozess zeigen, sodass der Besucher mit der Gegenwart konfrontiert wird: Was
    geht mich das an? Das ist ein Thema, das heute noch jeden angeht: Hier ist Ausgrenzung
    betrieben worden! Hier ist etwas gerade in München entstanden, vor dem man
    warnen muss und aus dem man etwas lernen kann."