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"Eine nachgereichte Ehrung"

Der Theaterkritiker Günter Rühle hält Harold Pinter für eine "dichterische Kraft". Gleichwohl hätte man ihm den Literatur-Nobelpreis früher verleihen müssen und nicht erst nachdem Pinter "praktisch ganz ins Schweigen abgesunken ist" . Pinter sei heute 75 Jahre und mit dem Alter werde man immer stummer, so Rühle weiter.

Moderation: Karin Fischer |
    Karin Fischer: Die Welt des Theaters freut sich natürlich sehr, dort wird Pinter als kompromissloser Meister gewürdigt, für den, so auch deren Einschränkung, die Ehrung allerdings ein paar Jährchen zu spät kommt. Harold Pinter ist Dramatiker, er hält aber cricket für die größte Schöpfung Gottes auf Erden. Er hat auch schon mal einen Dreizeiler auf den legendären Cricketspieler Len Hutten verfast. Pinter hängt auch schon in der Londoner National Portrait Gallery, das wissen wir, weil neulich Joanne K. Rowling in unmittelbarer Nähe zu ihm aufgehängt wurde und er hat vor kurzem noch Großbritanniens Premierminister Tony Blair für dessen Irakpolitik kritisiert. Das alles findet man, wenn man in unseren Nachrichtsystemen chronologisch nach Harold Pinter fahndet und deswegen geht die Frage jetzt an den Grand Senior der deutschen Theaterkritik und vor allem Theatergeschichte, Günter Rühle. Scheint Ihnen das auch so, dass Pinters beste Zeiten vorbei sind?

    Günther Rühle: Na ja, wenn man 50 Jahre lang im Theater gegenwärtig war, dann geht das mal zu Ende, denn ein Autor, der fürs Theater schreibt, hat eine beschränkte Zahl von Themen. Diese Themen verschwinden mit der Zeit, sie wachsen mit der Zeit und verschwinden mit der Zeit. Das ist etwas ganz Natürliches. Auch bei Brecht stehen wir heute vor der Frage: Ist er noch ein Wegweiser, oder war er das Ende einer Epoche?

    Fischer: Wie würden Sie diese Frage in Bezug auf Harold Pinter beantworten?

    Rühle: Bei Pinter ist es nicht so eindeutig zu beantworten, weil er keine Thesen, keine Theorien gebracht hat, sondern sich ganz erschöpft hat, im Betrachten von menschlichen Situationen. Man hat ihn falsch eingeordnet. Pinter hat mit dem absurden Theater eigentlich nichts zu tun. Das sind sehr genau psychische Beobachtungen über das Leben der Seele, über die Frage, was ist Wirklichkeit. Er steht viel näher an Traditionen, wie sie Kafka begonnen hat, dass alles ungewiss wird, dass man die Wirklichkeit nicht durchschaut. Wir müssen sehen, Pinter hat sozusagen das Erbe von Becket und von Ionesco angetreten, ohne deswegen die Absurdität des Daseins zu beschreiben, sondern er hat nur gesagt: Die Wirklichkeit entschwindet ja. Was ist denn eigentlich das Wirkliche? Und das hat mit Absurdität nichts zu tun, sondern das ist diese aus dem Jüdischen kommende Frage: Was haben wir eigentlich in der Hand? Was ist gewiss und was bedroht uns? Die Pinterschen Stücke sind ja voller Ängste.

    Fischer: Er hat dieses Thema "Was ist gewiss", "Was bedroht uns" ja vor allem an persönlichen, an Beziehungskonstellationen, an Geschichten sozusagen aus Zweier-und Dreierverhältnissen durchdekliniert. Welches seiner Theaterstücke ist Ihnen noch in besonderer Erinnerung?

    Rühle: Seine "Geburtstagsfeier", das war das erste große Erlebnis mit einer ganz überragenden Inszenierung in Basel, die Hans Bauer noch gemacht hat.

    Fischer: Geschrieben 1958.

    Rühle: Ja, 1958 ging das schon los, als wir sozusagen noch ganz in der Gegenwart von Brecht lebten, da tauchten die schon auf und es war die Gegenwelt gegen Brecht. Aber die war nur im Ausland und es waren damals dann doch wieder schockierende Erlebnisse für uns, dass hier das, was in Deutschland vom Theater behauptet wurde, dass es wirklich hier überall in Frage gestellt wurde.

    Fischer: Er war aber natürlich kein Dramatiker des well-made-play oder?

    Rühle: Na ja, well-made-play ist ja so eine englische Boulevardbegriff, den wir auf Pinter gar nicht..., obwohl seine Stücke sehr gut gebaut sind, denn sprachlich hat er natürlich dieses Unterschichtenglisch - er kommt ja aus sehr armen Verhältnissen - hervorgeholt und sozusagen auf eine hohe Rezeptionsebene gehoben. Das sind ja alles [...] Figuren, die er da bringt, aber sie haben einen Dialog, der plötzlich den Verstand fordert.

    Fischer: Und dennoch ist es so, dass Dramaturgen sagen, wenn wir heute einen Pinter spielen wollen, dann spielen wir Martin Crimp "Auf dem Land" zum Beispiel. Das heißt, auch dieses Thema der Bedrohung durch eine nicht ganz im Griff zu habende Umwelt wird heutzutage weitergesponnen und Harold Pinter ist nicht mehr wirklich auf unseren Bühnen präsent. Warum nicht?

    Rühle: Das hängt damit zusammen, dass seine ganze dramatische Gattung ja verschwunden ist von unseren Bühnen. Wir haben im Augenblick einen ganz anderen Prozess im deutschen Theater, nämlich die Okkupation der Off-Szene und der Performance-Szene in das Stadttheater hinein. Das sind ganz andere Spielformen, da gibt es keine großen zusammenhängenden Geschichten mehr, da gibt es keine Thesen mehr, das ist Theater pur, ohne irgendwelche weltanschaulichen Interpretationen oder gesellschaftlichen Interpretationen, die uns etwas begreifbar machen sollen.

    Fischer: Es scheint so, dass das Nobelpreiskomitee in Stockholm auch den politischen Harold Pinter gewürdigt hat, der in den letzten Jahren zum Beispiel mit Invektiven gegen den Irakkrieg auf die sozusagen feuilletonistische Bühne getreten ist. Ist Harold Pinter auch auf dem Theater ein politischer Autor gewesen?

    Rühle: Nein, politischer Autor nur in dem Sinne, den ich eben zitiert habe, dass er gegen dieses aufklärerische Theater der 70er Jahre bei uns sehr dagegen gehalten hat. Ästhetik wirkt ja in diesen Situationen immer wieder politisch. Er war insofern politisch, als er sozusagen das Englische, den englischen Underground, ins Theater gehoben hat. Das hat ja in England sozial gewirkt, viel mehr als bei uns.

    Fischer: In den letzen Jahren hat man sich in Deutschland auch noch den Harold Pinter angesehen, der sozusagen immer kürzer und immer stiller geworden ist. Also man hat schon von einem Theater des Schweigens gesprochen, weil er die Pausen auf die Bühne brachte.

    Rühle: Ja, das ist - Pinter ist heute 75 Jahre, und mit dem Alter wird man stummer und er hat ja immer wieder auch Stoffnot gehabt. Er hat ja doch, wenn man seine Stücke zusammen nimmt, drei oder vier Motive, die er immer wieder abwandelt. Trotzdem halte ich ihn doch für eine dichterische Kraft und ich denke, wenn man ihm den Nobelpreis verleihen wollte, hätte man das früher machen müssen. Jetzt wo er praktisch ganz ins Schweigen abgesunken ist und seine Zeit vorbei ist, was nicht heißt, dass man seine Stücke nicht mehr spielen kann, nun gut, da ist so eine nachgereichte Ehrung vielleicht als Verlegenheit, um die forcierte Ehrung vom letzen Jahr wieder aufzuheben.

    Fischer: Herzlichen Dank, Günter Rühle war das, für diese Einordnung von Harold Pinter in die Theatergeschichte.