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Eine Nation im Zweifel

Die USA haben seit dem Einmarsch in den Irak vor vier Jahren ein massives Imageproblem. Aber wie sehen die Amerikaner sich selbst und ihre Rolle in der Welt? Unsicherheit macht sich breit.

Von Jens Borchers |
    In der Schmiede von Jamestown qualmt das Feuer. Helme und Brustpanzer liegen vor dem Amboss. In der Holzhütte nebendran baumeln ganze Schinken von der Decke, in den Holzfässern lag mal der getrocknete Fisch, früher, vor 400 Jahren. Jetzt streifen Familien, Schulklassen und Touristen durch den Nachbau des Dorfes, das englische Siedler damals als erste feste Siedlung am Ufer des James River gebaut haben. Für die USA ist Jamestown der Ursprung ihrer Nation, der Anfangspunkt einer rasanten Entwicklung zur Weltmacht. Liebevoll haben sie das alte Fort nachgebaut, die Schiffe der Siedler, die Kirche. Freiwillige Helfer in historischen Kostümen spielen die Verhältnisse von 1607 nach. Von außerhalb der Palisade grollt manchmal ein Kanonenschuss herüber, wenn längst vergangene Schlachten gegen Indianer noch mal geschlagen werden.

    Der 16-jährige Tyler Thompson ist mit seiner Familie aus New Jersey hergekommen:

    "Wir leben in New Jersey. Hier im Bundesstaat Virginia sieht es ganz anders aus. Hier erfahre ich etwas über die alten Zeiten, darüber, wie wir 400 Jahre vorangekommen sind."

    Jamestown steht in den USA für den Beginn der amerikanischen Demokratie, für freies Unternehmertum, aber auch für Überlebenskampf und kulturelle Unterschiede. Die Besucher hier saugen Geschichte auf, den Aufstieg der great nation aus diesem Sumpfgebiet.

    Jonathan ist aus dem nahe gelegenen Williamsburg herübergekommen. Wegen der Geschichte, sagt der 25-Jährige. Im Jamestown Museum sieht er alte Waffen, Schwerter und Gewehre, mit denen die Europäer gegen einheimische Indianer kämpften. Ketten der Sklaverei, Tabakpflanzen, die den wirtschaftlichen Aufschwung für die Region bedeuteten. Der Schmelztiegel USA, geschaffen in 400 Jahren:

    "Wir sind wirklich sehr verschieden und sollten deshalb ein Vorbild für kulturelle Integration sein."

    Aber der schlaksige junge Mann mit dem Fusselbart zweifelt, ob Amerika wirklich schon dieses Vorbild sein kann. Aber die USA stehen doch für Demokratie?, frage ich.

    "Da bin ich unsicher. Ich bin nicht immer stolz darauf, ein Amerikaner zu sein. Wie stehen für Demokratie, ja, aber in der Praxis? Der Einmarsch in den Irak, ist das Demokratie? Ich frage mich: Kann man Demokratie erzwingen, ein einem Land wie Irak?"

    Ganz schnell dreht sich unser Gespräch um Einfluss, Anspruch und Wirklichkeit der USA, darum, wie die Weltmacht Ideale und Interessen durchsetzen soll oder eben nicht. Jonathan sagt: Das sind schwierige Fragen, ich weiß die Antworten nicht.

    Aaron Lucas hat die Antworten. Der schlanke Rentner steht im karierten Hemd und Jeans am Palisadenzaun des alten Forts. Wir haben doch etwas draus gemacht in den 400 Jahren, sagt der 64-Jährige, wir spielen eine positive Rolle in der Welt:

    "Ich sehe uns als eine Nation, die hilft Frieden zu bewahren, die in der Lage ist Unruhen zu beseitigen, anderen Ländern unter die Arme zu greifen, beispielsweise indem wir anderen Nationen helfen, ihre Ernährungssituation zu verbessern, Lebensmittel schicken, damit sie ihre Lage verbessern können."

    Der Krieg im Irak zählt für Aaron dazu: Ein Diktator ist gestürzt, sagt er, wir, die USA, versuchen, das Land auf den richtigen Weg zu bringen:

    "Ja. Wir tun das Richtige. In diesem Teil der Welt regieren die Religionsführer brutal, das ist fast wie eine Diktatur. Immer wenn eine Diktatur verschwindet, ist das besser für die Menschen dort. Deshalb meine ich: Wir tun das Richtige."

    Aaron Lucas’ Amerika-Bild ist von der Kennedy-Zeit geprägt: Die USA, eine großzügige, ordnende, zivilisierte Nation, stolz auf das eigene Lebens- und Regierungsmodell.

    Tom Thomasson ist 44, er gehört zur Generation, die ihr Bild von Geschichte und Politik nach dem Vietnamkriegsfiasko entwickelt hat. Tom hat seine Zweifel an der Exportfähigkeit des amerikanischen Modells:

    "Meiner Ansicht nach kann man nicht einfach in ein Land gehen, erklären was Demokratie ist, und dann, rums, ist sie da. Wir reden hier über 400 Jahre amerikanische Geschichte, darüber, was wir hier entwickelt haben. Das war nicht einfach: Wir hatten den Bürgerkrieg, wir hatten andere Probleme auf dem Weg zu einer erwachsenen Nation. Wir können von keinem Land der Welt erwarten zu sagen: Ja, das ist es, das läuft hier auch ab morgen. In mancher Beziehung sind wir als Nation naiv zu meinen, andere Länder würden das so machen."

    Dan Swanson aus Texas schaut sich die Indianerstatue im alten Siedlungsfort von Jamestown an, liest den Text auf der Schautafel. Der 54-jährige Marketing-Manager reist gerne, um sich die Geschichte seines Landes anzuschauen: Wie es gekämpft hat, wie sich Schwarze, Weiße und Indianer auseinandergesetzt, wie sich die USA zur führenden Demokratie der Welt entwickelt haben. Nein, sagt Dan Swanson, ich empfinde keine Unsicherheit über die Rolle der USA in der Welt. Aber wir müssen klug entscheiden, wir müssen uns bewusst sein, dass andere Völker und Kulturen viel älter sind als die USA. Aber Dan stellt auch eine andere Frage:

    "Manche sagen: Die Amerikaner sind penetrant, arrogant, egoistisch, alles Mögliche. Aber andererseits: Was passiert, wenn diese Amerikaner sich zurückziehen, für sich blieben? Was wäre dann mit dem Rest der Welt?"

    Dans Frau Chris, 53 Jahre alt, eine ehemalige Lehrerin, hat noch einen ganz anderen Aspekt im Kopf:

    "Als gottesfürchtige Nation sollten wir etwas tun, wenn gewisse Dinge nicht nach Gottes Plan verlaufen. Wenn Menschen erniedrigt oder getötet werden, sollten wir uns dann nicht um sie kümmern?"

    Das Bild der USA als Retter, als christliche, humanistische Nation ist durchaus lebendig in den Köpfen mancher Jamestown-Besucher. Aber was, wenn andere Religionen ebenfalls den Plan ihres Gottes ins Feld führen? Wenn beispielsweise der Iran das Modell Amerika rundweg ablehnt, wenn Mullahs mit Menschenrechten und Militärmacht Katz und Maus spielen. Der 16-jährige Tyler sieht beinahe täglich die Bilder des Irak-Krieges im Fernsehen. Die US-Jungs, die dort sterben, sind oft nur vier, fünf Jahre älter als er selbst.

    "Ich hätte schon Befürchtungen, falls wir versuchen sollten mit Iran zu kämpfen. Sie mögen uns nicht momentan. Wenn wir sie weiter herumschubsen, weiter frustrieren, dann explodieren sie vielleicht, und wir könnten hier in den USA etwas viel Schlimmeres als den Irak-Krieg erleben."