Eine neue Qualität der transatlantischen Beziehungen?

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die transatlantischen Beziehungen zumeist von der Verfolgung gleicher Interessen und der Verwirklichung gleicher Wertvorstellungen geleitet. Der mächtige Partner USA spielte in der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland stets eine besondere Rolle. Das gute Verhältnis wurde zuletzt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 deutlich, als Bundeskanzler Schröder die "uneingeschränkte Solidarität" Deutschlands mit den USA erklärte. Kurz darauf beteiligte sich die Bundeswehr an der Operation "Enduring Freedom", die den Militärschlag gegen das Taliban-Regime in Afghanistan einschloss.

Von Mario Stumm |
    Schon im Frühjahr 2002 jedoch nahmen die transatlantischen Beziehungen zwischen den USA und Deutschland eine bis dahin ungekannt schlechte Qualität an, als ein möglicher Krieg gegen den Irak auf der politischen Agenda der Vereinigten Staaten immer weiter nach oben rückte. Das transatlantische Klima wurde durch den Bundestagswahlkampf weiter verschlechtert, bei dem die rot-grüne Regierung ihre Ablehnung eines Krieges zum Wahlkampfthema machte. Aber auch schon zuvor deuteten sich in anderen Politikfeldern Dissonanzen zwischen den USA und Deutschland an. Die US-Regierung unter George W. Bush verweigerte ihre Unterstützung für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Hier hatte sich insbesondere Deutschland besonders engagiert. Die Streitpunkte Raketenabwehr und Klimaschutz komplettierten den Zwist.

    Wie niemals zuvor scheinen die bisherigen Fundamente der transatlantischen Beziehungen seit dem Frühjahr 2002 ins Wanken geraten zu sein. Es entstand der Eindruck als habe sich etwas Grundsätzliches verschoben, als seien Europa und Amerika nicht mehr von einer Welt, wie Robert Kagan in seinem vielbeachteten Essay "Power and Weakness" behauptete. Gleichzeitig waren beide Seiten sichtlich darum bemüht, die Fundamente nicht vollends zum Einsturz zu bringen. Zu groß waren trotz allem noch die gemeinsamen Werte, die persönlichen Beziehungen aber vor allen Dingen auch die gegenseitigen wirtschaftlichen Interdependenzen auf beiden Seiten. So oszillierten die transatlantischen Beziehungen in dem besagten Zeitraum in einem geradezu dialektischen Prozess zwischen Konflikt und Annäherung. Heute ist noch kaum absehbar, welche langfristigen Folgen das Zerwürfnis über den Irak-Krieg für das Verhältnis zwischen Washington und Berlin haben wird. Unterteilt in fünf Phasen werden im folgenden die Ereignisse seit dem Spätsommer 2002 noch einmal rekapituliert.

    Phase I: Der Bundestagswahlkampf

    Anfang September 2002 begann in Deutschland die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs. Diese markierte auch gleichzeitig eine Zuspitzung von Konflikten in den transatlantischen Beziehungen. Bedrängt von schlechten Umfragewerten und beflügelt von einer ablehnenden öffentlichen Meinung gegenüber einer möglichen Militärintervention im Irak, entdeckten die SPD-Wahlkampfstrategen die Außenpolitik als probates Mittel, um sich gegenüber der CDU/CSU und der FDP zu profilieren. Bundeskanzler Schröder positionierte sich klar und distanzierte sich von jedweden militärischen Plänen der USA und Großbritanniens ggü. dem Irak, nachdem US-Vizepräsident Cheney in einer Rede am 26. August 2002 vor dem Konvent der Veterans of Foreign Wars "regime change" im Irak als ein zentrales Ziel für einen Krieg nannte. Bundeskanzler Schröder macht ein einem Interview deutlich, dass die Bundesregierung an dem UN-Waffeninspekteursregime festhalten werde. Deutschland werde sich keinesfalls an einer Intervention im Irak beteiligen, auch wenn sie mit einem UN-Mandat legitimiert sei.

    Deutschlands unerwartet scharfer Widerstand traf auf Verärgerung und Unverständnis in Washington. Daniel Coats, der US-Botschafter in Berlin, tat in den deutschen Medien Anfang September den amerikanischen Unmut über die kategorische deutsche Ablehnung eines bewaffneten Angriffs auf den Irak selbst mit UN-Mandat kund. Er wurde daraufhin am 4. September 2002 von dem damaligen Staatssekretär Gunter Pleuger ins Auswärtige Amt zitiert.

    Auch in internationalen Gremien bezog Deutschland eine klare Gegenposition zu den USA. So versuchte Außenminister Joschka Fischer in seiner Rede am 15. September 2002 vor der 57. Vollversammlung der Vereinten Nationen für die deutsche Position zu werben: Deutschland wolle "keinen Automatismus hin zur Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen". Fischer begrüßte zwar, dass die USA den Weg zur Lösung der Krise im UN-Sicherheitsrat suchten. Dennoch machte er deutlich, dass nach deutscher Lesart keine der bisher verabschiedeten Resolutionen einen Krieg legitimieren würde.

    Am 17. September ließ der Irak, wie lange von der internationalen Gemeinschaft gefordert, die Waffeninspekteure der UNMOVIC unter der Leitung des Schwedens Hans Blix wieder ins Land. Sie sollten die im Irak vermuteten Massenvernichtungswaffen aufspüren, die ja als Hauptgrund für einen Krieg mit UN-Mandat von den USA im Sicherheitsrat angeführt wurden. Aus amerikanischer Sicht war das Einlenken des Iraks das Ergebnis der konsequenten Drohung mit militärischer Gewalt. Die Bundesregierung dagegen sah ihren Kurs der Diplomatie durch das Einlenken des Iraks bestätigt und wollte auch weiterhin ohne Androhung von Gewalt im Sicherheitsrat verhandeln. Sie vertraute auf den Erfolg des Waffeninspektionsregimes.

    Der vorläufige Tiefpunkt der transatlantischen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA wurde zwei Tage vor der Bundestagswahl am 22. September 2002 erreicht, als bekannt wurde, dass die damalige Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin die Methoden des amerikanischen Präsidenten mit denen von Hitler verglichen haben soll. Das deutsch-amerikanische Verhältnis auf Regierungsebene wurde dadurch derart belastet, dass der US-Präsident, der sich persönlich beleidigt fühlte, Gerhard Schröder nicht zu seiner Wiederwahl als Bundeskanzler gratulierte. Des weiteren schlug US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seinem deutschen Kollegen Peter Struck bei einem Treffen der NATO in Warschau am Tag der Bundestagswahl die Bitte um ein Treffen aus. Einzig US-Außenminister Colin Powell gratulierte seinem Kollegen Joschka Fischer zu der gewonnen Bundestagswahl.

    Phase II: Reparaturbemühungen nach der Wahl

    Nachdem die rot-grüne Koalition die Bundestagswahl 2002 knapp gewonnen hatte, bemühte sich die wieder gewählte rot-grüne Bundesregierung deutlich um eine Verbesserung des transatlantischen Verhältnisses - wenngleich zentrale Meinungsverschiedenheiten bezüglich eines möglichen Krieges im Irak bestehen blieben.

    Auf dem NATO-Treffen in Warschau eröffnete Verteidigungsminister Peter Struck den Bündnispartnern das Angebot, dass Deutschland zusammen mit den Niederlanden die Führung der multilateralen Sicherheitstruppe in Afghanistan (ISAF) von der Türkei übernehmen könne. Bundeskanzler Schröder reiste zwei Tage nach seiner Wiederwahl nach London, um dort mit Hilfe von Tony Blair eine Wiederannäherung an die Bush-Administration vorzubereiten.

    In einem STERN-Interview vom 2. Oktober 2002 gab Außenminister Fischer zu verstehen, dass die in Kuwait stationierten Fuchs-Spürpanzer auch im Falle eines Krieges im Irak nicht abgezogen würden. Dies wurde während des Wahlkampfes heftig diskutiert. Fischer reiste dann am 30. Oktober 2002 als erstes Regierungsmitglied nach der Bundestagswahl zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Washington, um seinen amerikanischen Kollegen Colin Powell zu treffen. Beide demonstrierten bei der abschließenden Pressekonferenz Einigkeit nach Gesprächen über die Lage in Afghanistan und im Nahen Osten. Am 7. November 2002 verlängerte der Bundestag ohne große Debatte das Mandat für die deutsche Beteiligung an "Enduring Freedom" in Afghanistan. Noch ein Jahr zuvor hatte Schröder gar die Vertrauensfrage im Parlament stellen müssen, um die Zustimmung seiner knappen rot-grünen Mehrheit zu bewirken.

    Einen Tag später, am 8. November 2002, wurde im UN-Sicherheitsrat die Resolution 1441 verabschiedet. Sie drohte dem Irak mit ernsten Konsequenzen, falls Bagdad nicht mit dem Waffeninspektionsregime kooperieren sollte. Bundeskanzler Schröder rief daraufhin Präsident Bush an und gratulierte ihm in einem zehnminütigen Gespräch zu dem gelungenen Diplomatiestück. Am selben Tag empfing US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Peter Struck in Washington. Unverkennbar schien die Verbesserung der Arbeitsbeziehungen zwischen den Ministern im Vergleich zum NATO-Treffen in Warschau direkt nach der Bundestagswahl zu sein, als Rumsfeld Struck nicht einmal treffen wollte. Dieses Mal lobte Rumsfeld ausdrücklich den deutschen Beitrag zum Anti-Terror-Kampf in Afghanistan und hob das Angebot aus Berlin besonders hervor, die Führung der ISAF ab Februar 2003 zu übernehmen.

    Auf dem NATO-Gipfel in Prag am 21. November 2002 begegneten sich Schröder und Bush zum ersten Mal wieder nach den Meinungsverschiedenheiten während des Wahlkampfes. Die Medien widmeten dem Treffen ihre Aufmerksamkeit und kommentierten mit besonderer Genauigkeit die Länge des Händedrucks zwischen beiden Staatsmännern. In der Substanz stand die Initiative der USA zur Schaffung einer so genannten "NATO Response Force" im Vordergrund, die schnell verlegbar und mit viel High-Tech gerüstet im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden soll. Deutschland reagierte nicht eben mit großem Enthusiasmus, aber unterstützte in einer Regierungserklärung von Außenminister Fischer letztendlich die Initiative und sagte einen substantiellen deutschen Beitrag zu (vgl. dazu den Hintergrundartikel von Daniel Kirch).

    Phase III: Der Streit im Sicherheitsrat spitzt sich zu

    Seit Ende November 2002 begannen sich die Auseinandersetzungen zwischen den "Kriegsgegnern" und "Kriegsbefürwortern" im Sicherheitsrat zuzuspitzen. Dies verschlechterte auch das transatlantische Verhältnis zwischen Deutschland und den USA. Nach einer kurzen Phase der Wiederannäherung trat nun wieder der Konflikt über die Frage einer Intervention im Irak in den Vordergrund. In Deutschland zogen auch die Landtagswahlkämpfe in Niedersachsen und Hessen den Irak erneut in die innenpolitische Auseinandersetzung. Des weiteren übernahm Deutschland zu Beginn des Jahres 2003 einen nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und stand somit im Mittelpunkt der Debatte über Krieg und Frieden. Nun sah sich die Bundesregierung gezwungen, ihre Haltung noch stärker vor einem internationalen Publikum zu rechtfertigen. Als Neumitglieder im Sicherheitsrat wollten der neue UN-Botschafter Gunter Pleuger und Außenminister Fischer nicht klar zum Vorgehen Deutschlands Stellung nehmen. Zwar bedurfte es nach Meinung Fischers einer weiteren Resolution, die einen Irak-Krieg legitimieren würde. Die Antwort, wie Deutschland bei einer solchen Resolution stimmen werde, überließ er jedoch Bundeskanzler Schröder. Der verkündete anlässlich einer niedersächsischen Wahlkampfveranstaltung in Goslar am 22. Januar 2003, das Deutschland im Sicherheitsrat niemals einer Resolution zustimmen würde, die einen Krieg im Irak legitimieren würde.

    Die Antwort aus Washington kam prompt am 23. Januar 2003, als Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Deutschland zum "alten Teil Europas" rechnete. Am 5. Februar 2003 stellte er in einer Pressekonferenz Deutschland gar mit Libyen und Kuba auf eine Stufe, als er jene Länder anprangerte, die gar nichts zu einem militärischen Vorgehen im Irak beitragen wollten.
    Rumsfelds Unterteilung in ein 'neues’ und 'altes’ Europa schien sich zu bestätigen, als am 30. Januar 2003 acht europäische Länder (vorrangig aus dem Kreis der Neumitglieder der Europäischen Union), eine Solidaritätsnote gegenüber der amerikanischen Politik medienwirksam veröffentlichten. Die Regierungen Frankreichs und Deutschlands waren zuvor nicht informiert worden während Großbritannien zu den Mitunterzeichnern gehörte. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) lag nun offensichtlich in Scherben, nachdem sich die Europäer als unfähig erwiesen hatten, eine gemeinsame Haltung gegenüber den militärischen Plänen der USA zu formulieren. (vgl. hierzu den Hintergrundartikel zur deutschen Europapolitik).

    Anfang Februar 2003 übernahm Deutschland für einen Monat den Vorsitz des UN-Sicherheitsrates. Gleichzeitig ging die diplomatische Auseinandersetzung um die Lösung der Frage von Massenvernichtungswaffen im Irak in eine heiße Phase. Die USA drängten darauf, dem Irak mangelnde Kooperationswilligkeit nachzuweisen, um die in Resolution 1441 angedrohten "ernsten Konsequenzen" nun durchsetzen zu können. Außenminister Powell trug am 5. Februar in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat Indizienbeweise dafür vor, dass der Irak trotz UN-Waffeninspektionen weiterhin Massenvernichtungswaffen baut. Allerdings konnte er keine Mehrheit für ein militärisches Vorgehen gegen den Irak gewinnen. Für die Bundesregierung antwortete Joschka Fischer, dass die Beweise nicht zwingend wären und keinen Krieg rechtfertigen würden. Als US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz in München die Argumente von Colin Powell am 6. Februar 2003 wiederholte, entgegnete ihm der deutsche Außenminister sehr direkt mit den Worten: "I am not convinced!" Während die USA den Druck in Richtung eines militärischen Vorgehens ständig erhöhten, begannen auch die Gegner einer militärischen Intervention damit, entsprechend Koalitionen zu schmieden. Am 10. Februar 2003 schloss sich Deutschland einem Memorandum Frankreichs und Russlands an. Moskau, Berlin und Paris hielten den USA entgegen, dass die Möglichkeiten der Resolution 1441 bei weitem noch nicht ausgeschöpft seien. Vielmehr sollten die Kapazitäten des Waffeninspekteursregimes weiter verstärkt werden. Ebenso forderten sie vom Irak vollständige Kooperation.

    Neben dem Sicherheitsrat ging Deutschland auch in der NATO auf Konfrontationskurs zu den USA. Schon am 3. Februar hatte die Türkei eine Anfrage an Deutschland gestellt, ob sie für den Fall eines irakischen Angriffes genauso wie Israel mit Patriot-Luftabwehrsystemen beliefert werden könnte. Am 10. Februar konkretisierte die Türkei ihre Anfrage im NATO-Rat. Deutschland, Belgien und Frankreich verweigerten der Türkei jedoch den Beginn von entsprechenden Verteidigungsplanungen, da sie mit einem solchen Schritt eine Vorab-Legitimierung eines amerikanischen Feldzugs gegen den Irak befürchteten. Die Bush Administration nahm diese Verweigerungshaltung zum Anlass, um ihre fundamentale Kritik an der deutschen Bündnispolitik zum Ausdruck zu bringen. Der amerikanische NATO-Botschafter, Nicholas Burns, sprach während der Beratungen gar von einer "near-death experience" der Allianz. Unmittelbar nach dem Eklat intensivierten beide Seiten die Suche nach einem Kompromiss. Dieser konnte schließlich im Planungsausschuss der NATO gefunden werden, in dem Frankreich nicht mit eigenem Stimmrecht vertreten ist. Demnach sollte die Türkei niederländische Patriot-Luftabwehrsysteme erhalten. Deutschland stimmte der Beteiligung deutscher Besatzungen in AWACS-Maschinen zu, dies jedoch unter der Bedingung, dass die Türkei nicht selbst Kriegspartei im Falle einer militärischen Konfrontation mit dem Irak wird.

    Im UN-Sicherheitsrat blieb Deutschland weiter bei seiner ablehnenden Haltung gegenüber den USA. Am 25. Februar 2003 stellte es gemeinsam mit Paris und Moskau einen Resolutionsentwurf zur Diskussion, der den Waffeninspekteuren im Irak mindestens vier weitere Monate mehr Zeit geben sollte. Noch am 16. März starteten Deutschland, Russland und Frankreich eine letzte diplomatische Initiative, um einen Krieg zu verhindern. Sie forderten eine strikte Rangfolge der Abrüstungsmaßnahmen im Irak. Kurz zuvor hatten sich die USA, Großbritannien und Spanien jedoch auf den Azoren schon auf ein militärisches Vorgehen geeinigt. Am 20. März 2003 begann der Krieg im Irak.

    Phase IV: Nach dem Krieg - Die Debatte um den Wiederaufbau

    Noch bevor der Krieg im Mai 2003 von Präsident Busch offiziell für beendet erklärt wurde, war die Diskussion über den Wiederaufbau des Irak in vollem Gange. Sehr schnell wurde deutlich, dass es auch bei diesem Thema wieder zu zentralen Meinungsverschiedenheiten in den transatlantischen Beziehungen kommen sollte. Wieder standen sich Deutschland, Frankreich und Russland einerseits und die USA andererseits gegenüber. Dennoch kennzeichneten nicht nur Konflikte, sondern auch Initiativen der Wiederannäherung diese Phase. Kernpunkte der Debatte waren die Auftragsvergabe an private Firmen, ein (zumindest teilweiser) Erlass der irakischen Auslandsschulden, die Rolle der Vereinten Nationen sowie die Frage nach einer möglichen Rolle der NATO bei der militärischen Absicherung des Wiederaufbaus.

    Anlässlich einer Regierungserklärung im Bundestag am 3. April 2003 machte Bundeskanzler Schröder eine deutlich, dass ein Wiederaufbau im Irak nur unter der Ägide der UNO stattfinden könne. Eine US-Interimsregierung in Bagdad lehnte er ab. Für die Bundesregierung sei wichtig, dass die Iraker nach der Überwindung der Diktatur so schnell wie möglich die volle Souveränität erhalten. Verteidigungsminister Struck wurde am 6. April 2003 noch deutlicher, indem er eine Beteiligung Deutschlands am Wiederaufbau im Irak ablehnte, sollten die USA eine US-geführte Interimsregierung installieren. Am 12. April trat dann das Vorkriegs-Bündnis in St. Petersburg erstmalig wieder zusammen, um zu den Wiederaufbauplänen der USA Stellung zu beziehen. Moskau, Paris und Berlin hielten in einer gemeinsamen Erklärung fest, dass der Wiederaufbau in jedem Falle unter dem Dach der UN stattfinden solle.

    Als immer deutlicher wurde, dass die USA nicht beabsichtigen, dem Irak rasch seine volle Souveränität zurückzugeben und den Wiederaufbau den Vereinten Nationen zu übertragen, zeigte sich Deutschland zunächst nicht sehr kooperativ. So lehnte Finanzminister Hans Eichel auf der G7-Tagung am 12. April die US-Forderung ab, dem Irak seine Auslandsschulden zu erlassen. Eichel begründete dies damit, dass der Irak mit seinen Öl-Ressourcen ein potenziell reiches Land sei. Auch mochte sich Berlin nicht festlegen, als die USA am 23. April 2003 forderten, die Sanktionen des UN-Sicherheitsrates gegen den Irak aufzuheben. Frankreich befürwortete dies, Russland dagegen nicht. Umgekehrt fasste das US-Repräsentantenhaus am 3. April 2003 den Beschluss, dass keine Wiederaufbauverträge an Firmen gehen sollten, die aus Kriegsgegner-Staaten kämen.
    Erst im Mai schien sich die Stimmung zwischen Deutschland und den USA zu entspannen. Rumsfeld empfing am 6. Mai 2003 den deutschen Verteidigungsminister Struck zu einem 40-minütigen Gespräch in Washington. Thema war unter anderem der "Mini-Gipfel" im April 2003 zwischen Belgien, Luxemburg, Frankreich und Deutschland zur Schaffung einer gemeinsamen Verteidigungsstruktur innerhalb der EU. Die USA betrachteten dieses Treffen mit skeptischem Auge, da sie die dort artikulierte Forderung nach einem europäischen Hauptquartier als gegen die NATO gerichtet betrachteten. Diesem Eindruck versuchte Struck entgegenzutreten. Am 16. Mai 2003 besuchte Colin Powell als erstes amerikanisches Regierungsmitglied nach dem Irak-Krieg Deutschland. Er erreichte in einem Gespräch mit Kanzler Schröder, dass Deutschland im Sicherheitsrat am 23. Mai die Resolution 1483 unterstützte, welche die Sanktionen gegen den Irak aufheben sollte. Bundeskanzler Schröder traf US-Präsident Bush darauf hin zum ersten Mal seit einem halben Jahr persönlich auf der 300-Jahr-Feier der Stadt St. Petersburg am 30. Mai 2003 und kurz darauf noch einmal auf dem G8-Gipfel im französischen Evian am 7. Juni 2003. Bei beiden Gelegenheiten fanden jedoch keine substantiellen Gespräche statt.

    Die Frage nach einer militärischen Rolle der NATO im Irak wurde bald zum nächsten transatlantischen Zankapfel. Zwar stimmte Deutschland am 23. Mai 2003 im NATO-Rat für die logistische und geheimdienstliche Unterstützung Polens, welches die Führung einer multinationalen Truppe im Süden des Irak übernommen hatte. Als dann aber der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in einer Anhörung vor dem Senat am 9. Juli 2003 äußerte, dass er sich auch vorstellen könne, deutsche und französische Friedenstruppen im Irak einzusetzen, lehnte das Bundesverteidigungsministerium diesen Vorstoß entschieden ab. Ebenso wie Frankreich verwies Deutschland darauf, dass ohne eine entsprechend weitgehende Funktion für die UN beim Wiederaufbau des Iraks eine Beteiligung auch im Rahmen der NATO undenkbar sei. Außenminister Joschka Fischer wiederholte diese Position auch bei seinem Besuch am 16. Juli 2003 in Washington gegenüber Colin Powell, Vizepräsident Cheney und Sicherheitsberaterin Rice. Er fügte auch an, dass Deutschland mit seinen Engagements auf dem Balkan und in Afghanistan schon voll ausgelastet sei.

    Phase V:. Die transatlantischen Beziehungen - back on track?

    Vor dem Hintergrund der andauernden Gewalt im Irak relativierten sowohl die USA als auch die ehemaligen Kriegsgegner ihre Positionen, so dass es im September 2003 zusehends zu einer Annäherung beider Seiten kam (wenngleich die Übergabe der Souveränität und die Rolle der UNO nach wie vor umstritten waren). Am 4. September 2003 präsentierten die USA den anderen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats einen neuen Resolutionsentwurf, der erstmals die multinationale Streitmacht unter gemeinsamem Kommando im Irak legitimieren sollte. Dieser Entwurf stieß zunächst auf den Widerstand Frankreichs and Deutschlands.

    Am Rande der 58. Generalversammlung der UNO kamen Bundeskanzler Schröder und Präsident Bush am 24. September 2003 zum ersten Mal seit 16 Monaten zu einem längeren Gespräch zusammen. Am Vorabend des Treffens fand der amerikanische Präsident in einem Interview versöhnliche Worte, als er Verständnis für die Haltung der Bundesregierung zum Irak-Krieg äußerte. Er würdigte in diesem Zusammenhang erneut das deutsche Engagement in Afghanistan. Im Gegenzug bot Schröder im Gespräch mit Bush an, dass Deutschland irakische Polizisten ausbilden könne (allerdings nur außerhalb des Landes) und signalisierte die Bereitschaft der Bundesrepublik, an einer Geber-Konferenz für den Irak am 23. Oktober in Madrid teilzunehmen. Nach dem Zusammentreffen der beiden Regierungschefs schätzte der deutsche Kanzler nun die Möglichkeit für eine Einigung im UN-Sicherheitsrat über eine neue Resolution zum Wiederaufbau im Irak deutlich positiver ein. Dies spiegelte sich auch in seiner Regierungserklärung am 25. September 2003 im Bundestag wider.

    Am 13. Oktober stimmten alle Mitglieder des Sicherheitsrates für die Resolution 1511, die den Wiederaufbau im Irak unter zunächst militärischer Führung der USA durch die internationale Gemeinschaft legitimierte. Deutschland, Frankreich und Russland konnten sich mit ihrer Forderung nach einem strikten Zeitplan für die Übergabe der Souveränität nicht durchsetzen, stimmten aber dennoch der Resolution zu. Als Außenminister Fischer am 18. November 2003 Washington besuchte, begrüßte er den Schritt der USA, die Souveränität nun doch den Irakern schnellstmöglich wieder zurückzugeben.

    Nach der Verabschiedung der Resolution 1511 begannen die USA damit, die Rolle der NATO im Irak auf die Agenda zu setzen. Die Bundesregierung blieb bei ihrer Weigerung, deutsche Truppen in den Irak zu entsenden, schloss aber ein Engagement der Allianz nicht mehr aus. Als das Thema am 7. Februar 2004 während der internationalen Sicherheitskonferenz in München erneut zur Sprache kam, erklärte Außenminister Fischer in seiner Rede, dass Deutschland einen entsprechenden Beschluss im NATO-Rat nicht blockieren würde, sollte sich ein Konsens in dieser Richtung herauskristallisieren. Während der Konferenz lobte Rumsfeld in seiner Ansprache Deutschlands Engagement in Afghanistan und begrüßte Strucks Ankündigung, wonach das deutsch-französische EUROKORPS die Führung der Sicherungstruppe in Afghanistan (ISAF) übernehmen werde.

    Während der Konferenz war die Bundesregierung sichtlich darum bemüht, die Allianz wieder stärker als transatlantisches Forum für die drängenden politischen Fragen zu nutzen. In diesem Kontext ist die von Fischer angeregte Nahost-Initiative zu verstehen, die an eine zuvor von der Bush-Administration angestoßene Idee anknüpft. Dennoch gingen und gehen die Vorstellungen über die Ausgestaltung dieser Initiative auf beiden Seiten des Atlantiks deutlich auseinander. Während die Bundesregierung und andere europäische Regierungen von einer 'Modernisierung’ des Nahen und Mittleren Ostens sprechen, verfolgt Washington eher eine Politik der 'Demokratisierung’. Der erste Ansatz ähnelt stark dem so genannten "Barcelona-Prozess" der EU der mehr auf grundlegende sozio-ökonomische Veränderungen von Innen abhebt. Demokratisierung dagegen ist enger gefasst und deutet hin auf gezielte Maßnahmen von außen zur Beseitigung etwa von Korruption oder der Förderung rechstaatlicher Strukturen.

    Daneben entspannten sich die Beziehungen zwischen Washington und Berlin auch in anderen Bereichen, die mit dem Irak zusammenhingen. Bereits am 16. Dezember 2003 hatte Gerhard Schröder den ehemaligen US-Außenminister James Baker in Berlin empfangen und zeigte sich bezüglich eines deutschen Schuldenerlasses gegenüber dem Irak kompromissbereit. Auch in der Frage der Auftragsvergabe an deutsche Firmen beim Wiederaufbau kam es zu einer Annäherung beider Seiten. Präsident Bush lehnte ausdrücklich eine Direktive des Pentagon vom 11. Dezember 2003 ab, wonach weiterhin Firmen aus "Kriegsgegner-Staaten" von Aufbauprojekten ausgeschlossen werden sollten. Erstmals nach zwei Jahren wurde Bundeskanzler Schröder schließlich am 27. Februar 2004 wieder im Weißen Haus von dem amerikanischen Präsidenten empfangen. Ergebnis des Treffens war, dass Deutschland dem Irak fünf Milliarden Euro Schulden erlassen wird. Darüber hinaus unterzeichneten beide Seiten eine Erklärung über das "deutsch-amerikanische Bündnis für das 21. Jahrhundert", das belegen sollte, dass die transatlantischen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA weiterhin auf einem festen Fundament stehen.

    Nachdem im Grundsatz der Fahrplan für eine Übergabe der Souveränität im Irak zu Jahresbeginn 2004 feststand, waren die Diskussionen im Frühjahr und Frühsommer durch ein Ringen um die Details gekennzeichnet. Dies betraf in erster Linie den Status der Koalitionstruppen unter amerikanischer Führung sowie die Machtkompetenzen der am 30. Juni 2004 neu zu bildenden Interimsregierung. In diesem Prozess bekundete die Bundesregierung von Anfang an ihren Willen, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Dies gelang schließlich im dritten Anlauf mit einem Resolutionsentwurf der USA. Dieser kam Forderungen aus Frankreich, Russland und Deutschland nach einem klaren Abzugsdatum für die Besatzungs-Streitkräfte weit entgegen. Der Entwurf sah darüber hinaus vor, dass die Iraker die Souveränität über ihre Öl- und Gaseinkünfte zurück erhalten würden. Die Resolution 1546 wurde schließlich am 8. Juni 2004 einstimmig verabschiedet.
    Die Frage der Rolle der NATO im Irak konnte dagegen bis in den Sommer 2004 nicht endgültig gelöst werden. Auf dem G8-Gipfel am 9. Juni 2004 auf Sea Island, USA, traf Schröder erneut zu einem Gespräch mit US-Präsident George Bush zusammen. Der Bundeskanzler wie auch der französische Präsident Chirac bremsten in Gesprächen das Vorhaben von Bush, der Allianz im Irak eine direkte Rolle zuzugestehen. Der US-Präsident schraubte am Ende des Gipfels seine Erwartungen diesbezüglich zurück. Der NATO-Gipfel in Istanbul Ende Juni 2004 verweigerte in einer Erklärung Statement zum Irak zwar eine direkte militärische Präsenz von Truppen, sagte jedoch die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte zu.

    Fazit

    Die transatlantischen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA haben seit dem Frühsommer 2002 eine Qualität angenommen, die sie auf den Tiefpunkt seit dem Zweiten Weltkrieg beförderten. Dabei ging es nicht nur um den Irak. Vielmehr kristallisierten sich während der Krise sehr grundlegende Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft der internationalen Ordnung und den Einsatz militärischer Gewalt heraus. Beide Seiten scheuten dennoch davor zurück, ihre bilateralen Beziehungen (wie auch jene im weiteren transatlantischen Kontext) vollends ins Abseits geraten zu lassen. So wurden Phasen der Konfrontation stets abgelöst von erneuten Phasen der Annäherung. Dies gilt in unterschiedlichem Maße für die Zeit vor dem Krieg wie auch für die Zeit danach. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich die transatlantischen Beziehungen wieder dauerhaft "normalisieren" werden. Immerhin pflegen die Regierungen beider Länder wieder einen regen Austausch miteinander und demonstrieren nach außen ein höheres Maß an Geschlossenheit. Im Vergleich zu der Situation vor ein oder zwei Jahren ist dies sicherlich ein Fortschritt.