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Eine neue Verfassung für Ungarn

Dass sich Ungarn eine neue Verfassung geben will, lässt auch das Ausland nicht kalt. Rechtsexperten der EU kritisieren den ungarische Entwurf - vor allem, weil die Macht des Verfassungsgerichts eingeschränkt wird.

Von Doris Simon | 18.04.2011
    In Brüssel zeichnete Viktor Orban letzte Woche das Bild einer erfolgreichen ungarischen Präsidentschaft. Eigentlich geschieht das immer zum Ende des Vorsitzes, nach sechs Monaten, aber solange wollte der ungarische Premier wohl nicht warten mit Lob für die eigene Sache. Ansonsten muss man das in Brüssel lange suchen - und wird am ehesten fündig bei der Europäischen Volkspartei, der Orbans Fidesz angehört, aber etwa auch CDU und CSU oder die österreichische Volkspartei mit ihrem Umweltpolitiker Richard Seeber.

    "Manche Präsidentschaften sind offener, andere weniger offen. Die Ungarn waren sehr offen, waren also regelmäßig hier und das ist sehr wichtig."

    Ob ungarisches Mediengesetz oder die neue ungarische Verfassung, die Regierung in Budapest konnte sich auf die Verteidigung durch die EVP-Abgeordneten in Straßburg und Brüssel verlassen. Doch der Dauerstreit über Ungarns Innenpolitik hat die Präsidentschaft des Landes geschwächt, das räumt auch der ÖVP-Abgeordnete Seeber ein:

    "Es ist immer schwierig für eine Präsidentschaft, wenn sie innenpolitisch unter Druck ist oder massive Probleme hat. Und wenn man zuhause viele Probleme hat, ist man natürlich hier gehemmt, das ist auch ein Nachteil des Modells der halbjährlichen Präsidentschaft, dass natürlich sehr stark hier ein Einfluss aus den jeweiligen Hauptstädten zu spüren ist."

    Die anderen Parteien im Europaparlament äußern sich deutlich: Für die sozialdemokratische Europaabgeordnete Birgit Sippel setzt die ungarische Regierung bewusst auf extremen Nationalismus, um von ihren wirtschaftlichen und finanziellen Problemen abzulenken. Ein Spiel mit dem Feuer, findet die SPD-Europaabgeordnete. Und ohne Rücksicht auf Ungarns besondere Verantwortung im Vorsitz in der Europäischen Union:

    "Die Ungarn machen eine rückwärtsgewandte, sehr national orientierte Politik, die auf Ausgrenzung setzt. Die Betonung auf ein die Nationen erhaltenes Christentum, die Betonung der Besonderheit der Ungarn, ist nun wirklich mit europäischen Werten, die die Rechte aller Menschen anerkennen, nicht in Einklang zu bringen."
    Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff warnt, im Streit um die geplante Überhöhung des Ungarntums und der Nation lasse die Mehrheitspartei mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament die Opposition kaum zu Wort kommen:

    "Wie wir aus zahlreichen Ländern wissen, wo es einen verfassungsgebenden Prozess gegeben hat: Das muss breit konsultiert werden, das muss breit diskutiert werden, nur dann hat eine Verfassung auch eine Chance, wirklich ein Land auch in der Zukunft zu stabilisieren."

    Die grüne Europaabgeordnete Barbara Lochbihler hat sich mehrfach vor Ort in Ungarn mit der Situation der Roma beschäftigt. Lochbihler lobt, dass die EU unter ungarischem EU-Vorsitz eine Strategie verabschiedet hat und Bildung, bessere Gesundheitsversorgung und Arbeitsplätze für die Minderheit zentral stellt. Doch in Ungarn engagiere sich in der Regierung nur der für die Roma zuständigen Minister, kritisiert Lochbihler. Wenn rechte Extremisten Droh-Aufmärsche in Roma-Dörfern veranstalteten, stelle sich kein Politiker schützend vor die Minderheit:

    "Die Regierung schweigt mehrheitlich und sagt, bevor die nicht tätlich werden, reagieren sie nicht. Und das sind ja extreme Auswüchse von Gewalt. Und wenn da nichts erfolgt von staatlicher Seite, dann unterstützen sie das ja."

    Beim Mediengesetz haben viele EU-Partner und die Europäische Kommission die Regierung in Budapest gedrängt, es zu verändern. Die Regierung Orban hat zögernd nachgebessert, aus Sicht vieler bei Weitem nicht ausreichend. Nun fordert Guy Verhofstadt, früher belgischer Premier und jetzt Chef der Liberalen im Europaparlament, die neue ungarische Verfassung müsse mit den europäischen Grundwerten abgeglichen werden. Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff fürchtet, das ungarische Vorgehen könnte in EU-Mitgliedsstaaten in Mittel- und Osteuropa Schule machen. Die politische Landschaft sei dort in Teilen sehr labil. Lambsdorff fordert, die EU müsse sich dringend auf ähnliche Situationen vorbereiten:

    "Welche Chancen haben wir, um ein Land auf den Pfad der Tugend zurückzubringen, wenn es von ihm abweicht - wenn es einmal in der Europäischen Union gelandet ist? Denn unsere Hebel sind dann erheblich kürzer als etwa bei Beitrittskandidaten. Dann müssen wir in der Lage sein ein Land zurückzuführen oder es auszuschließen. Denn das, was wir im Moment haben, das ist so kompliziert, das funktioniert einfach nicht."