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Eine Nonne als Gesicht des Bahn-Widerstandes

Schwester Martina kämpft gemeinsam mit einer Bürgerinitiative gegen die Ausbaupläne der Bahn in Offenburg. Sie verleiht dem Protest damit ein Gesicht.

Von Uschi Götz |
    "Wenn da ein Güterzug vorbeifährt, ist einfach Schluss. Dann versteht keiner mehr das Wort des anderen."

    Schwester Martina steht an der Mauer der Klosteranlage und schweigt – notgedrungen. Denn schon wieder donnert ein langer Güterzug vorbei. Zum schwarz-weißen Habit trägt sie einen weißen Schleier, der ihr Haar bedeckt. 65 Jahre ist sie, doch ihr Alter ist ihr nicht anzusehen. Hellwach sind ihre klaren Augen, die jetzt auf die Schlusslichter eines Güterwaggons blicken.

    "Es darf sich auf keinen Fall erhöhen. Wir können jetzt im Moment mit dem Güterzug noch leben, aber es soll ja eine Steigerung geben. In Jahrzehnten haben wir 500 Güterzüge pro Tag, das kann es nicht sein."

    Seit Jahren kämpft sie gemeinsam mit Bürgerinitiativen gegen die Ausbaupläne des Konzerns. Für die Bahnmanager ist sie eine ungewöhnliche Gegnerin. Denn Schwester Martina leitet als Oberin das Augustinerkloster "Unserer lieben Frau" in Offenburg.

    "Wir haben natürlich immer wieder Gäste hier im Haus, die die Stille suchen. Wenn ich jetzt sage, ich muss sie jetzt in ein ganz abgelegenes Zimmer legen, weil wir uns vom Bahnlärm nicht so stören lassen."

    Die Ruhe suchenden Gäste sind das eine. Das andere beschreibt die Nonne als Verpflichtung, nicht zu allem ja und Amen sagen zu wollen - erst recht nicht als Frau.

    Im Büro von Oberin Martina, das darf erwähnt sein, sieht es ein bisschen chaotisch aus. Doch im Wandregal herrscht penible Ordnung:

    "So, wo sind jetzt bei meinen Leitz-Ordner. Ich habe in meinem Büro 37 Leitz-Ordner. Ich kann jedem Politiker genau nachweisen, wann er was gesagt hat. Und das hat schon manchen verblüfft."

    "Für die Trassenführung- und Ausführung beim viergleisigen Ausbau der Rheintalbahn trägt nicht die Bahn in erster Linie Verantwortung, sondern die Politik", ist in einem Brief zu lesen, der unter anderem an Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ging. Schwester Martina hat diesen und viele andere Briefe mit Datum archiviert.

    "Dann sage ich: Schauen Sie, Sie bleiben nicht bei Ihrem Wort, damals haben Sie das und das gesagt. Dann frage ich, warum ändern Sie Ihre Meinung? Haben Sie irgendwelche Gründe, warum teilen Sie uns die nicht mit?"

    Seit sie sich für einen – wie sie es nennt - menschenfreundlicheren Ausbau der Rheintalbahn engagiert, hat die Oberin schon viele Politiker kommen und gehen sehen. Auch den einen oder anderen Bahnchef.

    "Wenn man da mal schaut. 1991 haben wir den ersten Brief an die Bahn geschickt."

    Schwester Martina ist das Gesicht des Widerstands. Die Ordensfrau ist bei jedem Politiker- oder Bahntermin dabei. Anfangs seien ihre Gesprächspartner irritiert gewesen, eine Nonne zu sehen, erzählt sie mit einem Lächeln. Mittlerweile wird sie als knallharte Gegnerin akzeptiert. Bahnchef Grube liegt ihr, so verrät sie, er sei offen und höre auch wirklich zu. Das Urteil über seinen Vorgänger Mehdorn ist weit weniger freundlich. Manche in der Gegend nennen Schwester Martina voller Ehrfurcht unsere Jeanne d'Arc. Ihre Mitschwestern sind unauffällig – anders ihre Oberin:

    "Und wenn man jetzt gerne in so eine Ecke gedrängt wird, ja, Glaube und Kirche, das ist Privatsache, dann kämpfe ich immer dagegen. Das ist genau das Gegenteil: Wir müssen aufstehen gegen Unrecht und gegen Dinge, die einfach schief laufen und der einzelne Bürger, der sich nicht wehren kann, dem müssen wir unsere Stimme geben. Und das macht mich stark in der Öffentlichkeit. Wenn dann Bürger zu mir sagen: Wenn sie jetzt auch noch lügen, dann ist es aber ganz aus."

    Ihre wichtigste Forderung ist ein Tunnel, durch den die Güterzüge an Offenburg vorbei geleitet werden. Eine Lärmschutzmaßnahme, die sich möglicherweise realisieren lässt. "Es hängt vom Deutschen Bundestag ab, ob es die nötigen Mittel für einen Offenburger Tunnel gibt", heißt es in einer Mitteilung der Stadt. Schwester Martina spricht davon, auf einer Zielgeraden angekommen zu sein. Noch wichtiger aber ist es ihr, dass die Verantwortlichen endlich begreifen, dass der Mensch im Mittelpunkt zu stehen hat, und nicht der Gewinn:

    "Und das muss die Bahn und die Politik lernen, dass ihnen der Mensch wichtiger ist, als nur die Gewinne einzufahren, wie wir das sicher nun in dieser Transversale, das wird die goldene Bahnstrecke werden, da werden Gewinne enormer Art eingefahren. Und das muss ihnen wert sein, dass der Mensch, der an dieser Strecke lebt, auch geschützt ist."

    Sagt Schwester Martina und läuft schnellen Schrittes Richtung Klosterküche. Eine junge Mitschwester hat gekocht. In wenigen Minuten wird gebetet, dann gegessen und dann wieder weitergekämpft.