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Eine Opposition zerlegt sich

Wechselwähler war gestern, der Trend geht zum Wechselabgeordneten, zumindest in der Bremer Bürgerschaft. Dort gaben in den vergangenen Monaten auffallend viele Abgeordnete das eine Parteibuch ab, um bei einer anderen Partei unterzuschlüpfen.

Von Christina Selzer |
    Rot-Grün wird weiterregieren - so schallt die selbstbewusste Botschaft aus dem Bremer Rathaus. Die Zuversicht hat trotz aller Probleme des Landes einen Grund. Die Opposition gibt ein jämmerliches Bild ab und scheint einzig von dem Wunsch getrieben, sich selbst zu zerlegen. Deshalb ist sich die Regierung sicher: Es gibt keine Wechselstimmung. Jedenfalls nicht bei den Bürgern. Allerdings sehr wohl bei den Oppositionsparteien. Da begehen Abgeordnete der Bürgerschaft Fahnenflucht und wechseln zur Konkurrenz - zur regierenden SPD. Beispiel CDU: Da geht es schon seit Wochen drunter und drüber. "Richtig gute Partei" - so lautet der neue Slogan. Erfunden hat ihn eine Werbeagentur. Die Abgeordneten der Christdemokraten scheinen davon aber noch nicht überzeugt zu sein. Wochenlange Querelen inklusive wechselseitiger Denunziationen, die bis zu Beschimpfungen wie "politische Nutte" gingen, begleiteten die Listenaufstellung der christlichen Partei. Eine Abgeordnete der Bürgerschaft trat nun sogar aus der Partei aus. Iris Spieß lief direkt zur SPD-Fraktion über. Nach eigener Aussage war sie nicht beleidigt, sondern beteuerte, sie könne den kulturpolitischen Kurs der Bremer CDU nicht mehr mittragen. Der sieht zum Beispiel vor, Studiengänge zu schließen:

    "Zur CDU? Sonst macht er doch keinen Sinn, oder? Ein Prozess, der lange vorbereitet wurde, um die Ziele die ich politisch verfolge, für Bremen durchzusetzen."

    Zuwachs bekamen die Sozialdemokraten auch von der anderen Seite des politischen Spektrums. Eine Abgeordnete der Linken trat nach monatelangen Streitereien aus ihrer Fraktion aus. Nach einer Anstandspause von fünf Tagen trat Sirvan Cakici ebenfalls in die SPD ein.

    Die 30-Jährige begründete ihren Schritt damit, dass zwischen ihr und der Partei seit Langem keine Zusammenarbeit möglich gewesen sei. Immer wieder sei sie angefeindet worden. Ihre politischen Ziele könne sie bei der Linkspartei nicht durchsetzen.

    Mit der SPD habe es dagegen in den vergangenen dreieinhalb Jahren viele Gemeinsamkeiten in ihren Themen Jugend-, Sozial- und Migrationspolitik gegeben.

    "Es war schwer, als Opposition Rot-Grün zu kritisieren, das hat man ja gemerkt, auch in meinen Reden. Ich denke, sozial, links sollte man in der SPD sein. Der Schritt war nicht ganz weit."

    In der Partei habe sie schon lange keine Unterstützung mehr, sagt Cakici heute. Außerdem habe ihre alte Fraktion immer nur Nabelschau betrieben:

    "Wir waren immer mit dem Zustand beschäftigt, dass wir kaum über Inhalte diskutieren konnten."

    Kaum verbergen konnte der SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe seine Freude über die Auflösungserscheinung der anderen Parteien und die hinzugewonnenen Stimmen. Berührungsängste nach Links hat er keineswegs.

    "Wenn jemand zu uns kommt, und sagt, ich will mitmachen, weil ich eine gute Politik machen will, dann müsste man einen verdammt guten Grund nennen, den nicht aufzunehmen. Leute, die für eine solidarische Mehrheit einstehen, sind in der SPD immer willkommen."

    Vor einigen Monaten hat die SPD-Fraktion auch noch einen ehemaligen Grünen-Abgeordneten aufgenommen. Die drei Neuzugänge ließen die SPD-Fraktion auf 35 Abgeordnete anwachsen. Insgesamt sitzen in der Bürgerschaft 83 Parlamentarier. Für die Neigung der SPD, Angehörige anderer Fraktionen in ihren Reihen willkommen zu heißen, gibt es allerdings eine klare Grenze: Für Liberale gilt die Gastfreundschaft der Genossen nicht. Und das, obwohl seit Kurzem ein prominenter FDP-Politiker parteilos durch das Parlament vagabundiert: Uwe Wolthemat heißt er - und war immerhin Fraktionsvorsitzender der FDP.

    Nach jahrelangen Machtkämpfen und Intrigen schmiss er hin - und trat aus der Partei aus. Der FDP-Fraktion versetzte er damit den Todesstoß. Sie verlor mangels Masse den Fraktionsstatus und firmiert jetzt nur noch als Gruppe in der Bürgerschaft. Mit bitteren Konsequenzen für etliche Mitarbeiter. Sie verloren kurz vor Weihnachten ihren Job. Die FDP scheint damit auf dem entschlossenen Marsch in die politische Bedeutungslosigkeit. Dem Flüchtling ist das aber egal.

    "Ich mache das nicht aus Jux und Tollerei. Sondern wenn man sich mal die Opposition in Bremen in den vergangenen Wochen anschaut. Wo ist denn die Opposition? Sie hat sich im Grunde zerlegt. Wir brauchen eine bürgerliche Opposition, die ganz breit aufgestellt ist."

    Und die will er nun mit einer bürgerlichen Liste schaffen, die im Januar, zwei Monate vor der nächsten Wahl, gegründet werden soll. Dumm nur: Mit demselben Vorsatz tritt bereits eine andere Liste zur Wahl an. So kannibalisieren sich die enttäuschten Bürger gegenseitig. Die regierenden Rot-Grünen genießen die politische Selbstentleibung der Opposition entspannt. Sie müssen bloß abwarten - und am Wahlabend die Ernte einfahren.