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Eine politische Farce

Der ehemalige Yukos-Eigentümer Michail Chodorkowskij war 2005 zu acht Jahren Lagerhaft wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden. Jetzt läuft ein zweites Verfahren, in dem er vom St. Petersburger Menschenrechtsanwalt Jurij Schmid vertreten wird. Dieser beklagt eine Flut von Verfahrensverstößen und Gesetzesverletzungen.

Von Gesine Dornblüth | 19.05.2010
    Jurij Schmid telefoniert. Eigentlich ist der Anwalt längst im Ruhestand. Schmid geht durch seine geräumige Altbauwohnung im Zentrum St. Petersburgs, er hat wenig Zeit, ist auf dem Sprung ins Ausland. Zum Prozess gegen seinen berühmtesten Mandanten Michail Chodorkowskij in Moskau fährt er aus gesundheitlichen Gründen nur ein bis zwei Mal im Monat. Er besucht ihn im Gefängnis und bespricht mit ihm die Strategien der Verteidigung. Der Prozess, so Schmid, sei unfair.

    "Wir haben zum Beispiel beantragt, dass das Gericht der Akte noch einige Dokumente hinzufügt, die wir für die Beweisaufnahme und dementsprechend für die Verteidigung für wichtig halten.
    Das Gericht hat unsere Anträge abgelehnt und damit bewiesen, dass es ihm völlig egal ist, was tatsächlich geschehen ist und was die Verteidigung sagt."

    Jurij Schmid hat Erfahrung mit politisch motivierten Prozessen. Zu Sowjetzeiten unterhielt er Kontakte zu Dissidenten. Seit Mitte der 80er-Jahre verteidigt er Menschen, die aus politischen Gründen verfolgt wurden. Vor fast 20 Jahren gründete er den ersten unabhängigen Anwaltsverband der Russischen Föderation, das Komitee zum Schutz der Menschenrechte. Chodorkowskij verteidigt er, weil er ihn für genial und für unschuldig hält. Die Anklage gegen den ehemaligen Ölunternehmer sei absurd und in sich widersprüchlich.

    "Es heißt in der Anklage zum Beispiel, dass Chodorkowskij und sein Kompagnon Lebedew das gesamte Öl gestohlen haben, das Yukos mit seinen Tochterunternehmen in sechs Jahren gefördert hat. 350 Millionen Tonnen. An anderer Stelle heißt es aber, dass sie den Bruttoerlös aus dem verkauften Öl gestohlen hätten. An dritter Stelle heißt es, sie hätten den Gewinn gestohlen."

    Sein Mandant hat beantragt, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage noch einmal überarbeitet. Aber das Gericht gehe einfach über diese Widersprüche hinweg, sagt Schmid.

    "Und wir machen uns Sorgen, wie es mit den Zeugen der Verteidigung laufen wird. Unsere Strafprozessordnung schreibt vor, dass der Untersuchungsrichter, wenn er die Anklageschrift vorgetragen hat, zwei Listen mit Zeugen dazu legt: Zeugen der Anklage und Zeugen der Verteidigung. In unserem Fall hat der Untersuchungsrichter überhaupt keine Liste mit Zeugen der Verteidigung beigefügt."

    Dabei hatten Chodorkowskij und seine Verteidiger sehr hochrangige Politiker als Zeugen benannt, darunter Premierminister Putin.

    "Wahrscheinlich war es für die Betroffenen so Furcht einflößend, auch nur den Namen auf der Liste zu lesen, dass sie lieber gegen das Gesetz verstoßen haben."

    Trotz allem ist Schmid optimistisch.

    "Im ersten Prozess lief alles auf eine Verurteilung hinaus. Jetzt aber sind eine Menge Faktoren aufgetaucht, die unsere Position nicht so hoffnungslos erscheinen lassen."

    So steigt zum Beispiel der Rückhalt Chodorkowskijs in der russischen Bevölkerung. Einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Instituts zufolge halten 31 Prozent der Russen die Anklagen gegenüber Chodorkowskij und Lebedew für absurd und die Richter für voreingenommen und inkompetent.

    Anfang März begann auch ein Prozess vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg. Dort klagen die ehemaligen Yukos-Eigentümer Russland an. Sie verlangen eine Entschädigung von der russischen Regierung, weil Yukos ihrer Auffassung nach unrechtmäßig enteignet wurde.

    "Die russische Regierung ist sehr, sehr nervös. Und wenn dein Gegner nervös ist, macht er Fehler. Das nützt uns."

    Und schließlich setzt Schmid auf Präsident Medvedev. Denn der setzt sich in letzter Zeit immer wieder für den Rechtsstaat ein.

    "Ich bin überzeugt davon, dass Medvedev dieser Prozess sehr stört. Er belastet sein Image. Es ist wie mit einem kranken Zahn, der von Zeit zu Zeit eitert und sich immer wieder bemerkbar macht. Ich weiß aus informierten Quellen, dass Medwedew einen würdigen Ausweg aus dieser Sache sucht. Die Frage ist aber, ob seine Kraft und seine Möglichkeiten ausreichen."