Donnerstag, 18. April 2024

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Eine positive Bilanz mit Einschränkungen

Fischer: Heute ging die 54. Frankfurter Buchmesse zu Ende, ohne große Höhepunkte, so ist man sich einig. Und natürlich muss man an dieser Stelle über den vielerorts prognostizierten Einbruch im Buchgeschäft sprechen. Denis Scheck von der Literaturredaktion des Deutschlandfunk, Sie haben eine knappe Woche jetzt mit Verlegern, mit Autorinnen, mit Literaturagentinnen zu tun gehabt. Wie schlecht steht es denn um die Branche wirklich?

Denis Scheck im Gespräch | 14.10.2002
    Scheck: Ach, Frau Fischer, ich muss zugeben, ich habe da meine eigene Larmoyanz-Theorie. Ich kann mir, außer den von der rot-grünen Koalition so oft angeführten Windradbauern Deutschlands, eigentlich im Moment gar keine Messe irgendeiner Branche vorstellen, wo nicht das große Heulen und Zähneklappern tonangebend gewesen wäre. So war es natürlich auch in Frankfurt. Die Buchbranche hat insgesamt einen Umsatzrückgang von geschätzten 1,5 Prozent zu beklagen. Das soll vorkommen. Es gibt eben magere und fette Jahre, und dieses Jahr ist ganz gewiss ein mageres Jahr. Meine Theorie besteht nun darin, dass diese Buchbranche eben zu den eloquentesten Branchen unserer Republik gehört, und deshalb deren Jammern immer besonders laut und deutlich ausfällt.

    Fischer: Wenn nun am Ende doch Optimismus verbreitet wird, ist es dann sozusagen die neue Strategie? Will man den Erfolg herbeireden?

    Scheck: Nein, es ist kein Gesundbeten, sondern die Branche ist einfach nicht wirklich krank, muss man sagen. So war Frankfurt dieses Jahr wieder der berühmte Weltkirchentag des Geistes. Es gab sehr wohl Höhepunkte. Zwei davon will ich mal parallel setzen. Das ist eine ziemlich dreiste Aktion des Verlages Hoffmann und Campe, der einen Preis der Kritik auslobte. Das kann ja eigentlich nur die Literaturkritik selbst, kein einzelner Verlag. Diesen Preis bekam ausgerechnet Martin Walser. Er ist der Autor von "Tod eines Kritikers", der sich in seinem literaturkritischem Schaffen über Jahrzehnte hinweg gleichwohl für viele Autoren eingesetzt hat. Darunter waren zum Beispiel Arnold Stadler, Maria Beig, aber vor allem auch Autoren wie Kafka und Hölderlin. Dass der Preis an Walser ging, war in Ordnung. Nur nahm man dieses "Mit der Wurst nach der Speckseite werfen" dem Verlag übel. Gleichwohl, zu jedermanns Überraschung, verlief die Preiszeremonie überaus würdig und substanzreich. Sowohl die Laudatio als auch die Dankesrede waren eben keine billigen Rückschlaggelegenheiten der Betroffenen, um da weiter Öl ins Feuer zu gießen, sondern wirklich substanzielle intellektuelle Anstrengungen. Bei Dieter Bohlen, muss ich persönlich nun sagen, wurde ich fast gesteinigt, als ich nur mal das Gedankenexperiment wagte, ob dieses Buch, von dem ich keine Zeile gelesen habe und keine Zeile lesen werde, nach 300.000 verkauften Exemplaren vielleicht nicht doch ein amüsantes und geistreiches Werk sein könnte. Für diese These hätten mich Autoren am liebsten erdolcht, denn was nicht sein kann, darf in Deutschland eben auch nicht sein. Dieter Bohlen hat ja eine Ghostwriterin, die ja mit dem Chefredakteur der Bildzeitung verheiratet ist. Die Bildzeitung hat dieses Werk wohl auch über vierzehn Tage stark beworben, so erklärt sich auch das. Auch das ist eigentlich ein Fall von "Mit der Wurst nach der Speckseite werfen" oder eigentlich literarische Korruption. Gleichwohl, als Theorie zumindest, vielleicht taugt das Buch ja wirklich etwas.

    Fischer: Lassen Sie uns bei den Personalia bleiben. Der Literaturnobelpreisträger Imre Kertész war nicht auf die Messe gekommen, obwohl er sich zur Zeit in Berlin aufhält. Da war man froh um Dieter Bohlen, um Amos Oz und Jonathan Franzen und die üblichen Verdächtigen wie Marcel Reich-Ranicki oder Norman Finkelstein. Was war Ihr Höhepunkt?

    Scheck: Also zunächst muss man sagen, die Preise gingen dieses Jahr schwer in Ordnung. Der Friedenspreis ging an Achebe, der Nobelpreis an Kertész. Das stieß auf allgemeine Zustimmung. Mein persönlicher Höhepunkt waren drei Autorenbegegnungen. Die erste Begegnung war mit der israelischen Autorin Alona Kimhi. Sie hat einen Liebesroman mit dem Titel "Die weinende Susannah" geschrieben. Die zweite Begegnung war mit Katrin Dorn, einer deutschen Autorin. Sie hat Tangogeschichten verfasst. Schließlich habe ich mit dem indischen Autor Kiran Nagarkar gesprochen, der einen opulenten historischen Roman "Krishnas Schatten" vorlegte. Dieses Buch ist in einem kleinen Verlag, dem A1-Verlag erschienen. Wohlgemerkt, Frankfurt war nie der Ort, wo Bücher gelesen wurden, sondern immer ein Ort, wo man mit Autoren ins Gespräch kommen konnte. Diese drei haben mich einfach persönlich beeindruckt und dazu geführt, dass ich mir ihre Bücher mal anschaue. Aber die Erwartung, dass nun Frankfurt der Ort der großen intellektuellen Debatte ist, ist einfach überzogen. Das findet nicht statt. Diese Debatten gab es das ganze Jahr über. Sie lassen sich sozusagen in Frankfurt vorantreiben. Aber ich glaube auch, in den Jahrzehnten der Vergangenheit war Frankfurt nie ein Ort, wo die großen Anstöße wirklich kamen.

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