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Eine reine Formfrage

Physik. - Schneeflocken sind eigentlich nur gefrorenes Wasser, doch jede ist einzigartig in ihrer Form. Die Gründe dafür liegen aber weitgehend im Dunklen. Ausgerechnet im sonnigen Kalifornien hat sich ein Physiker zum Ziel gesetzt, herauszufinden, warum keine zwei Schneeflocken gleich sind.

Von Arndt Reuning |
    Wer als Schneeflockenforscher im südlichen Kalifornien arbeiten will, der muss seine Eiskristalle schon im Labor züchten. So wie Ken Libbrecht vom California Institute of Technology in Pasadena.

    "Die Temperatur, die man braucht, ist nicht so ungewöhnlich tief. Ich benutze also ein Gefrierfach. Ein computergesteuertes Gefrierfach mit verschiedenen Kammern, die ich runterkühlen kann. Dann muss man nur noch für etwas Wasserdampf sorgen."

    Und schon kann der Physiker seine winzigen Eiskristalle wachsen lassen – unter genau festgelegten Bedingungen. Wie zum Beispiel Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Denn diese äußeren Einflüsse bestimmen, welche Form eine Flocke annimmt. Die Gestalt unterliegt also im Labor nicht dem Zufall. Aber trotzdem stellt das Wachstum die Wissenschaftler noch immer vor Rätsel.

    "Es ist überraschend, wie wenig davon verstanden ist. Zum Beispiel: Züchtet man die Eiskristalle bei unterschiedlichen Temperaturen, erhält man verschiedene Formen. Knapp unterhalb des Gefrierpunktes, bei minus zwei Grad Celsius, entstehen kleine Plättchen. Wenn es nur etwas kälter wird, minus fünf Grad, erhält man Eisnadeln. Und bei minus fünfzehn sind es dann wieder Plättchen. Und niemand weiß, wieso sich das mit der Temperatur ändert."

    Eines steht fest: Zu Beginn ihres Lebens sehen die Flocken alle gleich aus: sie formen ein Prisma mit einer sechseckigen Grundfläche. Und dann kommt es auf die äußeren Bedingungen an, wo sich die Wassermoleküle aus der Luft am schnellsten anlagern, also: welche Flächen am schnellsten wachsen. Sind es die Grundflächen, dann entstehen lange Nadeln. Sind es die Seitenflächen, dann ergibt sich ein Plättchen. Und wenn die Kanten des Prismas besonders stark wachsen, resultieren jene sternenförmigen Gebilde mit sechs verzweigten Strahlen, die man am häufigsten mit Schneeflocken in Verbindung bringt. In jedem Fall bleibt die hexagonale Symmetrie erhalten. Denn alle Strahlen an einem Kristall sind ja ständig denselben Bedingungen ausgesetzt. Die Formenvielfalt kommt daher, dass eine einzelne Flocke auf ihrem Weg von den Wolken zur Erde vom Wind durch verschieden kalte Luftschichten gewirbelt wird. Jede Flocke auf einer individuellen Bahn.

    "Wenn sich der Weg des Eiskristalls nur ein klein wenig ändert, und damit auch der Einfluss der Temperatur und Luftfeuchtigkeit, beeinflusst das seine endgültige Form ganz erheblich. Und weil es so viele verschiedene Arten gibt, eine Schneeflocke wachsen zu lassen, abhängig von den äußeren Bedingungen, gibt es keine zwei Eiskristalle, die am Ende vollkommen gleich aussehen."

    In der Form der Flocke sind somit Informationen gespeichert über den Weg, den sie durch die Atmosphäre genommen hat. Rekonstruieren lässt sich der aber nicht. Dazu ist der ganze Vorgang viel zu komplex. Mit Hilfe von Computerprogrammen versucht Ken Libbrecht zurzeit, das Wachstum zu simulieren. Solche Modelle könnten dann auch Materialwissenschaftlern dabei helfen, andere Arten von Kristallwachstum zu untersuchen. Um zum Beispiel neue Werkstoffe maßzuschneidern. Wie etwa Legierungen, die besonders stabil oder dehnbar sind.

    "Das ist Grundlagenforschung, was ich mache. Ich bin Physiker und will wissen, was die grundlegenden Vorgänge sind beim Kristallwachstum. Ich versuche nicht, irgendeinen bestimmten Kristall zu züchten für irgendeine Anwendung. Aber ich versuche, die Dynamik der Moleküle zu verstehen. Und je besser man das versteht, desto einfach kann man die Ergebnisse übertragen auf richtige Anwendungen."

    Oder man kann auch einfach nur staunen - über die Schönheit der Kristalle und über die Komplexität der Physik dahinter.

    http://www.snowcrystals.com