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Eine Reise in Portugals Kolonien

In Portugal war "Am Äquator" ein Bestseller. Das Erstlingswerk des Journalisten Miguel Sousa handelt von einem ledigen Bonvivant aus Lissabon. Als Luis Bernardo Tavares im Dezember 1905 von seinem König ein ungewöhnliches Angebot erhält, geht er als Gouverneur in die am Äquator gelegenen portugiesischen Kolonien Sao Tome und Principe. Dort soll er den Vorwurf der Engländer entkräften, Portugal dulde auf den Kakaoplantagen Sklavenarbeit.

Von Margrit Klingler-Clavijo | 20.02.2006
    "Portugal war in Europa das Land, das 1975 als letztes entkolonisiert wurde, was außerdem mit einem großen Trauma verbunden war: Eine Million Menschen, die aus Afrika nach Portugal kamen. Diese Kolonialgeschichte schlummert im Unterbewusstsein der Portugiesen, obwohl sie sehr prägend war. Und nun habe ich eine Geschichte erzählt, die die meisten Portugiesen nicht kannten, eine Geschichte, die mit der Sklaverei auf den Inseln Sao Tomé und Principe in Afrika zu tun hat. Mir war nicht an einer politischen Stellungnahme gelegen, vielmehr habe ich einfach die Dinge so erzählt wie sie waren und wie damals die Portugiesen und die Welt die Sklaverei sahen."

    So beschreibt Miguel Sousa Tavares den Kontext seines Romans AM ÄQUATOR, der monatelang in Portugal die Bestsellerlisten angeführt hat und voraussichtlich demnächst verfilmt werden wird. Ein Bestseller über die Sklaverei? Hatte man die nicht über die Jahrhunderte hinweg erfolgreich aus dem historischen Bewusstsein Europas verdrängt? War "dieses Verbrechens gegen die Menschlichkeit" nicht längst in den Literaturen Afrikas, der Karibik und der USA immer wieder thematisiert worden? Was hatte Portugal damit zu tun? Angola, Guinea - Bissau, Mozambik sowie die beiden vor Westafrika liegenden Inseln Sao Tomé und Principe waren bis 1975 Teil des portugiesischen Kolonialreichs in Afrika. Auf den beiden Inseln wurde Kakao und Kaffee angebaut und gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Sao Tomé der größte Kakaoproduzent der Welt. Diese Spitzenposition im Kakaohandel konnten die portugiesischen Plantagenbesitzer nur halten, dank schwarzer Arbeiter aus Angola, die, wie wir noch sehen werden, extrem schlechte Arbeitsbedingungen hatten. Sie hatten zwar einen Arbeitsvertrag, der jedoch höchst selten eingehalten wurde. Offiziell war die Sklaverei längst abgeschafft worden, zuletzt 1888 in Brasilien. Doch wen kümmerte das schon auf diesen Inseln fernab der portugiesischen Metropole! Soviel zum historischen Kontext.

    Der Roman beginnt in der portugiesischen Hauptstadt mit einer ungewöhnlichen Ernennung: Luís Bernardo, ein lediger Bonvivant aus Lissabon, wird vom portugiesischen König zum Gouverneur von Sao Tomé ernannt. Er soll vor Ort darauf achten, dass die Gesetze bezüglich der Abschaffung der Sklaverei eingehalten und die Anschuldigungen der Engländer entkräftet werden. Diese werfen nämlich den Portugiesen vor, die Sklaverei nur auf dem Papier abgeschafft zu haben. Dass sich ausgerechnet die Engländer im harten Kampf um Macht und Einfluss in den Kolonien als Humanisten gebärden, ist dem portugiesischen König suspekt, sieht er doch in England eher einen ernstzunehmenden Konkurrenten, der das portugiesische Handelsmonopol gefährden könnte.

    Luís Bernardo nimmt seinen Auftrag sehr ernst. Gleich nach seiner Ankunft besucht er reihum die Kakaoplantagen und ist entsetzt über die Arbeits- und Lebensbedingungen der schwarzen Arbeiter.

    Haben Sie sich je vorgestellt, Sie müssten zehn Stunden täglich auf der Plantage arbeiten, aufstehen, wenn die Glocke läutet, und schlafen, wenn die Glocke es befiehlt, und das alles für zwei Reis und fünfzig Centavos im Monat?

    fragt er einen weißen Plantagenbesitzer, der ihn daraufhin für einen weltfremden Spinner hält. Unerbittlich drängt Luís Bernardo auf die Einhaltung der Gesetze: Er will die Arbeitsverträge der angolanischen Arbeiter sehen, will herausfinden, warum keiner nach Vertragsablauf in die Heimat zurückkehrt. Als er sich dann noch im Gerichtssaal vehement für zwei misshandelte Schwarze einsetzt und deren Gleichbehandlung vor dem Gesetz fordert, hat er es sich endgültig mit den Plantagenbesitzern verdorben, ins politische und soziale Abseits manövriert und Miguel Sousa Tavares zufolge zwischen alle Stühle gesetzt.

    "Die portugiesischen Siedler wollen die Sklaverei beibehalten; andererseits versteht er sich nicht so gut mit den Schwarzen, da vor hundert Jahren die Beziehungen nicht so offen waren wie heute. Er ist weder in der Welt der Weißen, noch in der der Schwarzen. Er ist folglich allein und verliebt sich leidenschaftlich in die Frau des englischen Konsuls, so dass er zwischen seinem Auftrag und seiner leidenschaftlichen Liebe hin und her gerissen wird."

    David Lloyd Jameson, dessen steile Karriere in Indien infolge von Spielschulden ein jähes Ende fand, wurde mit seiner bildhübschen Ehefrau Ann als englischer Konsul nach Sao Tomé und Principe entsandt, um vor Ort zu überprüfen, ob die Portugiesen de facto die Sklaverei abgeschafft hatten. Luís Bernardo befreundet sich mit dem netten englischen Ehepaar, erliegt jedoch bald schon den Liebreizen der bildhübschen Ann. Diese Affäre wird dem Gouverneur zum Verhängnis, da der gehörnte Ehemann, einen für Portugal negativen Bericht an den englischen König einreicht, woraufhin der Kakaoimport aus Sao Tomé und Principe ins Britisch Empire boykottiert wird. Dem als Gouverneur und Liebhaber gescheiterten Luís Bernardo bleibt daraufhin nur noch der Selbstmord.

    Ist der Roman AM ÄQUATOR von Miguel Sousa Tavares eine gelungene Aufarbeitung der "Schmach der Sklaverei"? Teilweise schon und zwar in den Passagen, wo der Bonvivant Luís Bernardo, unerbittlich auf die Einhaltung der Gesetze drängt, sich mit den Plantagenbesitzern überwirft und klar wird, dass deren Reichtum auf der Ausbeutung schwarzer Sklaven beruht. Im Verlauf dieses schmerzlichen Erkenntnisprozesses gerät Luis Bernardo zusehends ins soziale Abseits, so dass er Weihnachten ausschließlich mit seinem schwarzen Dienstpersonal feiert und sie eher als Freunde, denn als Untergebene zu sehen geneigt ist. Wachsendes Unbehagen bereitete mir etwas anderes:

    Es gibt kein Gegengewicht zu dem alle Leidenschaften absorbierenden Dreiecksverhältnis britischer Konsul/ portugiesischer Gouverneur und unwiderstehliche Ann; erst recht nicht auf Seiten der Schwarzen, die ziemlich schematisch und zumeist in subalterner Position gezeigt werden, was Miguel Sousa Tavares so erklärt:

    "Ich habe keine Nachfahren von Sklaven kennen gelernt, ich halte mich an den Standpunkt, den ich am besten kenne, das ist der der weißen Siedler. Ich habe nicht das erfunden, was die Sklaven gefühlt haben könnten, das hätte ich zwar tun können, hatte jedoch darüber nicht so viel Kenntnis. Meines Wissens gibt es in Sao Tomé nicht ein einziges Buch, das von einem Schwarzen geschrieben wurde. Ich kann nun mal nicht so tun, als ob ich schwarz wäre, nur um eine bessere Geschichte zu schreiben. Ich bin nun mal weiß."