Archiv


Eine Runde Kunst

Die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig gilt als Kaderschmiede. Vor allem die Malerei-Ausbildung ist unter dem Begriff "Leipziger Schule" weltweit berühmt. Doch die HGB bietet mehr als die Malerei, nämlich Fotografie, Buchkunst und die Medienkunst. Heute beginnt in Leipzig der jährliche Rundgang, zu dem alle Studenten ihre Arbeiten präsentieren.

Von Michael Naumann |
    Graue Hose, grünes T-Shirt. Ein junger Mann sitzt an einem Holztisch, ein Glas Wasser vor sich, sonst nichts. Er spricht in die Kamera:

    "Brotlose Kunst, mach was Solides..."

    Sieben Minuten lang argumentiert der junge Mann gegen das Kunststudium, redet alles schlecht. Dann steht er auf, dreht eine Runde um den Tisch, nimmt wieder Platz. Und plötzlich, alles anders:

    "In jedem Fall genau das Richtige für Dich..."

    Zwei unterschiedliche Perspektiven von ein- und derselben Person. In seiner Video-performance will Ronald Gerber die Vor- und Nachteile seines Kunststudiums aufzeigen. Dafür schlüpft er in die Rolle zweier fiktiver Freunde. Einer rät ihm, das Studium hinzuwerfen. Der Andere spricht ihm Mut zu.

    "Ich will einfach ausdrücken, dass es wie in vielen Lebensbereichen auch hier zwei Realitäten gibt, die sich gegenüberstehen und sich eigentlich ausschließen. Aber nichtsdestotrotz existieren sie augenscheinlich friedlich nebeneinander. Und das ist so ein Kampf, den ich in mir austrage jeden Tag, von dem ich nicht absehen kann, dass er sich jemals für eine dieser Wahrheiten entscheidet. Sondern es gibt keine Wahrheit dazwischen, ich pendle immer zwischen den Extremen täglich."

    Ronald Gerber ist einer von rund 530 Studenten an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig in Leipzig. Der 26-Jährige studiert im neunten Semester Medienkunst. Und weil er schon einige Rundgänge mitgemacht hat, sind ihm Stress und Hektik kurz davor sehr bekannt.

    "Weil auch die anderen Studenten ausstellen wollen, ist es schwer an Technik zu kommen. Es ist auch schwer in die Werkstätten zu kommen, um sich Rahmen zu bauen oder Bilder aufzuziehen, wenn man so was machen muss. Die Nerven liegen blank, weil immer die Sachen erst so auf den letzten Drücker fertig werden. Das ist zumindest meine Erfahrung."

    Christine Rink liebt diesen Stress seit 26 Jahren. Sie ist die Galeristin der Hochschule und ihr Mann der berühmte Malerei-Professor Arno Rink. Bei ihr laufen alle Rundgang-Fäden zusammen. Trotz Bronchitis gibt Christine Rink all ihre Kraft, denn sie weiß, wie wichtig diese Ausstellung für die Studenten ist.

    "Ja natürlich. Denn das ist ja wenn man so will neben dem Diplom oder Meisterausstellungen eigentlich das, was man ein Highlight nennen kann. Und da ist auch jeder sehr interessiert, sein vielleicht bestes Studienergebnis der letzten Zeit der Öffentlichkeit zu zeigen, Resonanzen zu erfahren und mit Publikum ins Gespräch zu kommen."

    Aufmerksamkeit soll beim diesjährigen Rundgang das brandneue Projekt 500 mal 21 mal 15 erregen. Das ist eine Kunstwand, zu der Lehrende und Studenten jeweils ein Einzelstück kreiert haben, und zwar anonym. Die Besucher können diese Stücke zu je 30 Euro kaufen. Und die Investition kann sich lohnen, wer weiß schon, welche dieser Arbeiten im Nachhinein nicht doch Berühmtheit erlangt. Immerhin genießt zum Beispiel die Malerei-Ausbildung der HGB unter dem Label "Leipziger Schule" schon weltweit Beachtung. Dieser Ruf sorgt mit dafür, dass sich immer mehr junge Künstler an der Hochschule bewerben.

    "Sicher spielt das auch eine Rolle. Wer erfolgreich ist, der wird bewundert. Da möchte man gern dabei sein. Aber ich denke, es ist auch der weltweite Trend, dass künstlerische Berufe gerade sehr en vogue sind. "

    Für Kunststudenten wie Ronald Gerber, der kurz vor seinem Abschluss steht, kann es durchaus hilfreich sein, in Leipzig studiert zu haben.
    "Einmal im Leben hat es mir schon etwas genutzt. Da bin ich zu einer Ausstellung nach Paris eingeladen worden, wo ich ganz direkt als "Leipziger" angesprochen wurde."

    Das wird ihm beim jetzigen Rundgang sicher nicht passieren, aber ins Gespräch kommen will Gerber allemal. Vielleicht ja sogar mit einem Galeristen.

    "Das wäre natürlich der Idealfall. Aber für mich ist es immer schon sehr viel wert, wenn ich nach dem Rundgang angesprochen werde auf meine Arbeit, und ich dann spüre, dass es Leute gibt, die sie sich gemerkt haben. Das ist gerade bei der Masse der Arbeiten, die hier gezeigt werden, schon eine große Auszeichnung."

    Damit den geschätzten zehntausend Besuchern genügend Zeit bleibt, wirklich alle Arbeiten kennen zu lernen, dauert der Rundgang diesmal übrigens bis Sonntag, also einen Tag länger als in den Jahren zuvor.