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Eine Sache um ihrer selbst willen gut machen

Das gerade erschienene Buch des amerikanischen Soziologen Richard Sennett mit dem schlichten Titel "Handwerk" kündigt sich als erster Teil einer Trilogie an, in der der Autor die Grundlagen der materiellen Kultur und ihrer Akteure neu bedenken möchte. Auf die Beschäftigung mit dem Handwerker soll eine Auseinandersetzung mit dem Priester und dem Krieger folgen. Der neue Sennett wurde von der Kritik schnell, interessiert und kontrovers aufgenommen.

Von Holger Noltze | 31.03.2008
    Es ist so: Einen neuen "Sennett" liest man immer "gern" (um mit einer Banalität zu beginnen), aber hinterher weiß man nicht, wo genau im Regal man das Werk denn nun einsortieren soll. Soziologie, Philosophie, Kultur-, Mentalitätsgeschichte, Theorie der Stadt, - am Ende, wegen seiner sprachlich-essayistischen Qualitäten, gar unter Literatur?

    Es gibt Leser, Systematiker, die solche Unordnung nervös macht. Es gab schon schnelle Kritiker, die dem Soziologen das Fehlen einer Perspektive aufs Gesellschaftliche, ja des Politischen überhaupt vorwarfen, einen allzu naiven Blick auf die Verbesserbarkeit des Menschen. Letzteres stimmt vielleicht, aber doch nur halb, und ist vielleicht ein Missverständnis über die ganz eigene Fasson von Sennetts Denken, das eher systematisch unsystematisch ist, keine Theorie-Wolkenkratzer aufrichtet, in die dann nur eine winzige Zugangstür einlässt. Sennett führt einen sacht und beharrlich durch Gedankenlandschaften, in denen man, den Blick ins Offene gerichtet, gelegentlich über Dinge stolpert, die auf einmal auf dem Wege liegen. Ist zum Beispiel der Problembezirk des Handwerks nicht vor allem einer, wo es um Pfusch, Unpünktlichkeit und überhöhte Rechnungen geht, haben wir nicht andere Sorgen?

    Ausdrücke wie "handwerkliche Fähigkeiten" oder "handwerkliche Orientierung" lassen vielleicht an eine Lebensweise denken, die mit der Entstehung der Industriegesellschaft verschwunden ist. Doch das wäre falsch. Sie verweisen auf ein dauerhaftes menschliches Grundbestreben: den Wunsch, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen. Und sie beschränken sich keineswegs auf den Bereich qualifizierter manueller Tätigkeiten. Fertigkeiten und Orientierungen dieser Art finden sich auch bei Programmierern, Ärzten und Künstlern. Selbst als Eltern und Staatsbürger können wir uns verbessern, wenn wir diese Tätigkeit mit handwerklichem Geschick ausüben.

    Eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen: Schon kommt es einem wie eine Erinnerung an ein spätestens mit dem beschleunigten Kapitalismus untergegangenes "Berufsethos" vor. Gute alte Zeit, in der ein Schreiner mit Bedacht Stühle baute, die ewig hielten. Wirklich führt uns der Geschichtenerzähler Sennett auch ausführlich in die mittelalterlichen Wohn-Werkstätten, wo Leben, Beten und Arbeiten noch zusammengehörten und der Meister noch eine Autorität war. Wir kommen bald auch in Benvenuto Cellinis, des genialen Künstler-Handwerkers (Draufgängers und Messerstechers) Atelier vorbei, und sehen uns in Stradivaris Geigenbaumanufaktur um. Betrübt, denn hier ist eine traurige Geschichte zu erzählen: die vom Tod einer Werkstatt, weil bei den Stradivaris die Weitergabe des Spezialwissens, die besten Geigen der Welt zu bauen, nicht funktioniert hat, neudeutsch: der Wissenstransfer. Das Know-how ist verschwunden, und alle Technik der Welt kann es nicht wiederbringen. Dann kommen die Maschinenträume (und später -alpträume) der Aufklärung, es kommt Diderots und d'Alemberts große Encyclopédie, und neugierig und begeistert beugen sich die gelehrten Herren über den Handwerker: Was machen sie eigentlich, die Glasbläser und Uhrmacher und Bäcker und Metzger. Und warum schauen sie, in den Abbildungen jedenfalls, immer so unverschämt gutgelaunt?

    Ausgerechnet bei dem romantischen Zivilisationsskeptiker John Ruskin und seinen "Seven Lamps of Architecture" findet Sennett ein paar Leitgedanken über den guten (und gutgelaunten) Handwerker: Hingabe. Produktiver Umgang mit "Widerstand und Mehrdeutigkeiten". Liebe zum Detail. Gehorsam gegenüber dem Beispiel. Derlei Erleuchtungen klingen herüber wie aus einer fern vergangenen Welt. Sennetts Pointe liegt darin, seine Ehrenrettung des guten Handwerks und des guten Handwerkers aber auf die Verhältnisse des gegenwärtigen rasenden Kapitalismus zu projizieren. Sein Held ist der vom Geist des Bessermachens beseelte Linux-Programmierer, der unabhängig vom übermächtigen Microsoft-Imperium sein Wissen in ein offenes, lernendes System einbringt. Dass dieser Geist auch wirtschaftlich überlegen sein kann, zeigt der Vergleich der Mobilfunk-Entwicklung bei Nokia und Ericsson: Die "offenere", weniger straff organisierte, weniger auf Binnenkonkurrenz setzende Nokia-Arbeitsweise setzte sich durch; dass "Nokia" inzwischen ein Signalwort für eine heuschreckenhafte Standortstrategie geworden ist, wird den Pragmatiker Sennett betrüben, aber es wird ihn nicht irre werden lassen.

    Deutlich wird, wie weit der Glaube ans gute Handwerk zielt, und wie sehr Richard Sennett dabei auch seine eigene Denkerwerkstatt öffnet. Wie das Manuelle und das Künstlerische, Hand und Kopf, Konzeption und Ausführung zusammenspielen, erklärt er immer wieder aus der Perspektive des offenbar ambitionierten Cellospielers. Die Entstehung eines Tons auf einem Streichinstrument ist ein hochkomplexer Vorgang zwischen Hand und Hirn, und nebenbei fallen hier ein paar höchst erleuchtete Seiten über das richtige "Üben", über Konzentration und Wiederholung ab.

    Das Üben beim Wiederholen einer musikalischen Phrase, beim Schneiden von Fleisch oder beim Blasen eines Weinglases [hat] etwas von einem Ritual an sich. Wir haben unsere Hand durch das Wiederholen trainiert. Wir sind aufmerksam statt gelangweilt, weil wir die Fähigkeit der Antizipation entwickelt haben. Doch auch wer gelernt hat, einer Pflicht immer wieder nachzukommen, hat eine technische Fertigkeit erworben, das rhythmische Vermögen des Handwerkers, ganz gleich an welchen Gott oder an welche Götter er glauben mag.

    Vom Cellospielen zum Fleisch-Schneiden, von der Glasbläserei zu Gott, von der Geschichte der Töpferei zum Chrysler PT Cruiser (ein Auto mit der Technik des 21. Jahrhunderts in einer Karosserie der 1950er Jahre) - flink funktioniert Sennetts Greif- und Begreifreflex über die Epochen und Fachgebiete hinweg, bisweilen mit einer ans Taschenspielerhafte grenzenden Geschwindigkeit. Das Nachdenken über die Hand aber führt zu Erkenntnissen über das Hirn. Dessen Möglichkeiten, anders zu denken, man will es Sennett gerne glauben, noch lange nicht ausgeschöpft sind. So ist das geheime Thema dieses Buchs das Geheimnis der Kreativität, doch der Begriff wird bewusst gemieden:

    Er führt allzu viel romantisches Gepäck mit sich - das Mysterium der Inspiration, den Anspruch auf Genialität. Ich habe versucht, dieses Geheimnis ein wenig zu lüften, indem ich gezeigt habe, wie es beim Nachdenken über die Aktivität der eigenen Hand oder beim Gebrauch von Werkzeugen zu Intuitionssprüngen kommt. Ich habe auch versucht, Handwerk und Kunst einander näher zu bringen, da Techniken stets auch Bedeutung für den Ausdruck besitzen. Das gilt für die Herstellung eines Topfes geradeso wie für die Erziehung eines Kindes.

    Vom Topf zum Kind, im Handumdrehen: Das Schöne, nachhaltig Anregende an diesem Buch macht aus, dass seine Flinkheit aus lang geübter Langsamkeit kommt, und Sennetts Verknüpfungstechnik mehr etwas von einem schönen Teppich als von einer Welterklärungsformel hat. Nur wer es dafür nimmt, muss sich ärgern. Aber eigentlich macht es gute Laune.

    Richard Sennett: Handwerk.
    Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Berlin Verlag. Berlin 2008