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Eine Sache von Gegenseitigkeit

Die Idee des Assessment Center ist bereits über 5000 Jahre alt, wenn auch unter anderem Namen. Personalplaner in Deutschland entwickeln und optimieren Assessment Center seit den 70er Jahren und machen sich auch heute noch Gedanken um die zum jeweiligen Unternehmen passende Form. Bewerber zu quälen, ist jedenfalls nicht dabei.

Von Thomas Wagner |
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    Eine typische Situation in einem Assessment-Center, wo sich frischgebackene Hochschulabgänger vor einem Beobachtergremium eines Unternehmens bewähren müssen: Ein Bewerber präsentiert das Thema seiner Abschlussarbeit auf Englisch, eine von mehreren Aufgaben, die teils in der Gruppe, teils im Alleingang zu lösen sind. In diesem Fall, bei der Selbstpräsentation auf Englisch, geht es um Sprachkompetenz und um Präsentationsfähigkeit, aber auch um so kleine Dinge wie Gestik und Mimik. Dass hierbei verborgene Fähigkeiten und Schwächen aufgedeckt werden sollen, ist allerdings nichts Neues. Das war schon vor Jahrtausenden so, als die ersten Assessment Center durchgeführt wurden.

    "Viele denken, das ist eine Entdeckung der Neuzeit, von Personalern erfunden, um Bewerber zu quälen. Dabei hat das eine jahrtausendlange Historie. Also die Anfänge sind wirklich auf 3000 vor Christi zurück zu führen, als Staatsdiener unter anderem in der Kunst des Bogenschießens und des Reitens gestestet worden sind. Und das ganze hat sich fortgesetzt auch im militärischen Bereich, auch im Zweiten Weltkrieg, und ist eben in den 70er Jahren hier in den ersten deutschen Unternehmen eingeführt worden."

    Regina Siemann arbeitete als Personalplanerin unter anderem für den Unilever-Konzern und für die Technische Universität München. Seit Oktober vergangenen Jahres ist sie für das Personalmarketing der vor eineinhalb Jahren gegründeten Tognum AG in Friedrichshafen zuständig, einer der größten Dieselmotorenhersteller Deutschlands. Im Sommer will das Unternehmen ein Trainee-Programm für Nachwuchs-Führungskräfte starten. Von Anfang an war für Regina Siemann klar, wie die Bewerber ausgewählt werden:

    "Ich persönlich bin eine große Befürworterin von Assessment Centern, wenn wir über die Zielgruppe Studierende bzw. Absolventen reden. Wenn wir jetzt einen Professional haben, also jemand mit Berufserfahrung, der verschiedene Stationen schon hinter sich hat, können sie daraus, wie er seine Aufgaben in der Vergangenheit gelöst hat, eigentlich gute Rückschlüsse ziehen, wie er zukünftig Aufgaben meistern wird. Bei einem Hochschulabsolventen haben sie natürlich auch die entsprechende Vorauswahl und Unterlage. Dann geht es einmal darum, anhand der konkreten Unternehmensanforderungsprofile diese im Rahmen eines Assessment Centers nochmals zu prüfen. Und ich bin insofern eine große Befürworterin, weil im Interview, wo Sie ein Vier-Augen-Gespräch führen können, der Gegenüber doch nicht so intensiv beobachtet werden kann, wie wenn Sie jemanden haben an einem, zwei oder drei Tagen in verschiedenen Übungen, wo auch mehrere Personen als Beobachter eingebunden sind."

    Dem stimmt auch Eberhardt Hofmann, Personalexperte beim Auto-Zulieferer ZF, zu. Er gestaltet, im Auftrag verschiedener Firmen, schon seit 20 Jahren Assessment Center. Aus seiner Sicht ist es dabei wichtig, dass diese Tests stets mit mehreren Bewerbern veranstaltet werden, die in einer Gruppe zusammen arbeiten. Ebenso wichtig ist eine Abfolge von mehreren Aufgabenstellungen. Und schließlich gehören ebenso mindestens drei oder vier Beobachter dazu. Sie müssen die Leistungen in standardisierten Formularen beurteilen, um möglichst vergleichbare Ergebnisse zu erzielen.

    "Das andere ist, dass im Assessment Center eine starke kognitive Komponente drin sein muss. Das heißt, das geht nicht nur um Interaktion, sondern es geht darum, kognitive Fertigkeiten abzubilden. Und das dritte Kriterium, was ich für sehr relevant halte, ist, dass ich wirklich differenzierte Aufgaben in Form einer Fallstudie anbiete, um das relevante Verhalten tatsächlich zu provozieren. Die ganzen Übungen sind ja wirklich nur Hilfsmittel, um das relevante Verhalten zu provozieren."

    Diejenigen, die bei diesen Aufgaben durchkommen, machen in der Regel tatsächlich Karriere im Unternehmen. Diese spreche für die richtige Konzeption des Auswahlverfahrens, meint Eberhardt Hofmann:

    "Ein wichtiger Punkt ist, dass diese Leute später mal die Führungskräftereserve bilden. Da ist es dann wichtig, dass sie das entsprechende Durchsetzungsverhalten haben, das Verhalten im Team, auch die entsprechenden kommunikativen Fähigkeiten, die wir da versuchen abzubilden im Assessment Center."

    "Teamfähigkeit" und "kommunikatives Verhalten" sind allerdings allgemeine Begriffe. Sie müssen, und da sind sich die Personalexperten Regina Siemann und Eberhardt Hofmann einig, auf die Anforderungen des jeweiligen Unternehmens zugeschnitten werden. Die Erfahrung zeigt: Nur wenn die Aufgaben zu dieser unternehmensspezifischen Art von Teamfähigkeit passen, führen Assessment Center zu guten Auswahlergebnissen.

    "Also jedes Unternehmen sucht teamorientierte Mitarbeiter. In den Anfängen geht es jetzt darum, wirklich genau zu definieren: Was bedeutet jetzt bei uns Teamorientierung? Das kann bei uns jetzt etwas ganz anderes als bei anderen Unternehmen bedeuten. Und entsprechend dieser Anforderung muss man eine Übung entwickeln und die Beobachtungskriterien festlegen, um eine Aussage treffen zu können, inwieweit jemand bei uns wirklich teamorientiert später arbeiten kann und wird. Um das noch ein bisschen auf den Punkt zu bringen: Es gibt eine Teamorientierung, wo man sagt, man ist sehr harmlos, sehr kuschelig miteinander im Umgang. Und es gibt dann die Teamorientierung, wo man sagt: Ja, wir wollen auch dann jemand, der sich in der Gruppe durchsetzt. Also es ist ein Riesenspektrum von Teamorientierung einfach da!"

    Das bedeutet aber auch: Assessment Center von der Stange, wieder zu finden in diversen Handbüchern, helfen den Unternehmen bei der Suche nach geeigneten Führungsnachwuchskräften nicht wirklich weiter. Und noch eines erscheint aus Sicht von Personalexpertin Regina Siemann wichtig:

    "Ich selbst bin auch keine Befürworterin von sogenannten "Stress-Assessment-Centern". Ich finde nicht, dass man über jemanden zum Beispiel mehr herausfindet, indem man ihn unter Druck setzt, künstlich auch noch. So ein Assessment Center ist stressig genug für den Bewerber. Dass die Bewerber hinterher ein ausführliches Feedback bekommen, warum sie kein Angebot bekommen haben, woran es gelegen hat, dass wir aber auch begründen können, warum wir jemandem ein Angebot gemacht haben. Das finde ich auch eben sehr wichtig, dass die Bewerber danach ihre Unterlagen nicht nur mit einem Standard-Anschreiben nach Hause geschickt bekommen."

    Auch über zukünftige Formen des Assessment Centers machen sich die Personalplaner Regina Siemann und Eberhardt Hofmann Gedanken. Von Assessment Center unter freiem Himmel, wo sich die Bewerber als Führer einer Bergsteigergruppe bewähren oder Durchhaltevermögen bei einer langen Wanderung unter Beweis stellen müssen, halten sie innerhalb ihrer Unternehmen nicht viel: Zu weit entfernt von der betrieblichen Praxis, heißt es. Der Idee, einen Teil der Aufgaben aufs Internet zu verlegen, beispielsweise in Form von Audio- oder Video-Konferenzen, können sie ebenso nichts abgewinnen.

    "Ich bin immer für den persönlichen Kontakt. Ich bin immer dafür, dass auch live durchzuführen mit den beteiligten Menschen. Ich finde auch, Bewerbungsprozesse und Assessment Center sind immer eine Sache der Gegenseitigkeit. Auch die Bewerber sollen die richtige Entscheidung treffen für den richtigen Einstieg, für das richtige Unternehmen. Und dafür halte ich einfach den persönlichen Kontakt für sehr wichtig."

    "Das Grundprinzip lässt sich kaum verändern: Es kommt auf reale Interaktion unter real existierenden Menschen drauf an. Und ich denke, wenn die Elektronik da hilfreich sein kann, was in Einzelfällen durchaus möglich ist, ist es sinnvoll. Aber die Elektronik und die Technik werden niemals den direkten Kontakt und die direkte Interaktion im Assessment Center ersetzen können. Da bin ich fest davon überzeugt."