Dienstag, 21. Mai 2024

Archiv


Eine saubere Sache

Im Untergrund von Köln, 5 Meter unter dem Pflaster. Ein Abwasserkanal aus Beton, 2 Meter 60 mal 2 Meter 85. In hüfthohen Gummistiefeln waten Kontrolleure der Stadtentwässerungsbetriebe durch den Abwasserstrom, auf der Suche nach Bau-Schäden. Es ist stockdunkel, nur der Lichtkegel der Taschenlampe wandert über die grauen Kanalwände und die finsteren Löcher, wo Hausanschlüsse münden.

Von Matthias Hennies | 28.03.2004
    Zwei Leute braucht man für einen Kontrollgang: Der Eine misst die Entfernung vom Einstiegsschacht und gibt den laufenden Meter an. Der Andere tastet Fugen ab, inspiziert Anschlüsse in der Wand, klopft mit dem Stiefel im Abwasserstrom den Boden ab und spricht alle Beobachtungen auf ein Band. Eine mühsame Arbeit. Die beiden Inspekteure, die sich in Köln um die Instandhaltung kümmern, schaffen etwa 500 Meter pro Tag – wenn nicht zu viele Schäden zu protokollieren sind.

    Rund 400.000 Kilometer lang sind die öffentlichen Abwasserkanäle in Deutschland. Dazu kommen mindestens 800.000 Kilometer Hausanschlüsse. Diese kleinen Kanäle unter privaten Gebäuden und Industrieanlagen gehören laut Gesetz dem Eigentümer. Deshalb kennt niemand ihre genaue Gesamtlänge. Klar ist jedoch: Wenn man alle Rohre an einander anschlösse, könnte man drei Kanäle von Deutschland zum Mond bauen, mindestens.

    Dabei sind gar nicht alle unterirdischen Wasserleitungen mitgezählt: die Trinkwasserversorgung nicht und auch die Fernwärmekanäle nicht, in denen heißes Wasser für die Heizungen verteilt wird.

    Allerdings könnten die Kanäle den Abwasserstrom nicht zum Mond transportieren: Ein großer Teil der Rohre ist undicht, halb verstopft oder anders beschädigt. Fast ein Fünftel der öffentlichen Kanäle muss saniert werden – rund 70.000 Kilometer. Bei den privaten liegt die Quote noch weitaus höher: Experten schätzen den Reparaturbedarf auf 40 Prozent. Das ergibt in der Summe rund 400.000 Kilometer, also ein Mal die Strecke Erde - Mond.

    Von den privaten Kanälen weiß es niemand genau, aber der größte Teil der öffentlichen ist nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut worden. Nur etwa 5 Prozent stammen noch aus Wilhelminischer Zeit – diese hundertjährigen gemauerten Röhren sind aber der wertvollste Bestand.

    Ein gemauerter Kanal ist ein sehr edler Kanal, weil er erstens schon über Jahrzehnte das Abwasser gesammelt und abgeleitet hat und zum anderen eigentlich noch in der Lage wäre, weitere fünfzig oder hundert Jahre zu arbeiten. Und wenn ich dieses Mauerwerk erhalte, dann habe ich die Chance, dass es weiterhin zu uns spricht und mir Auskunft gibt, indem sich die Risse darin zeigen – die ich ansonsten nicht mehr sehen würde, wenn ich ein Rohr oder eine Auskleidung hineinziehen würde.

    Dietrich Stein ist Deutschlands erster Professor speziell für den Leitungsbau. Er hat als Ingenieur im Talsperren-Bau angefangen, ist dann an die Ruhr-Universität Bochum gekommen und hat sich auf Rohrleitungen spezialisiert. Seitdem entwickelt er neue Maschinen für die unterirdische Rohrverlegung und engagiert sich für "CargoCap", ein Projekt für den Güter-Transport im Boden unter dem Ruhrgebiet. Professor Stein möchte die alten gemauerten Kanäle erhalten - aber er weiß, dass Anderes heute wichtiger ist: Der hohe Reparaturbedarf verlangt neue, automatisierte Sanierungstechniken.

    Eine Vielfalt von Verfahren ist in den letzten Jahren entstanden, um schadhafte Kanäle zu erneuern – und zwar ohne dass die Straße aufgerissen wird, mit Robotern. Der größte Teil der Leitungen ist nämlich so niedrig, dass niemand hineinsteigen kann. Diese Rohre repariert man per Fernsteuerung, berichtet Professor Stein stolz, ähnlich wie Mediziner mit der mikro-invasiven Operationstechnik arbeiten:

    Wir haben sehr viele Parallelen zur Medizintechnik, ich glaube, wir haben von einander profitiert. Also Herzkatheter, das wäre dann unsere Satellitenkamera beispielsweise oder aber wir legen Innenmanschetten an, wie man es auch zur Stabilisierung von Venen macht, auch Endoskope verwenden wir genauso in unserer Technik und in der Inspektion, um in die kleinsten Hohlräume hineinzuschauen, um Dichtungen zu erkunden usw.

    Aber die Endoskope der Kanalsanierer stoßen an Grenzen, wenn die Leitungen sich immer wieder verzweigen: Durch das verschlungene Rohrnetz der Privatanschlüsse, mit kleinen Durchmessern und engen Kurven, konnte man bisher nicht einmal Inspektionsroboter steuern – geschweige denn Schäden ferngelenkt sanieren. Seit kurzem kriecht jedoch der "Göttinger Wurm" hindurch - und der kann um alle Ecken gucken. Was sein Kamera-Auge erkennt, sieht der Kontrolleur am Monitor.

    Am Stadtrand von Schwerte, auf dem Betriebshof eines Stahlverarbeiters. Im Servicewagen der Firma "ZK-Kanalprüftechnik" sitzt Thomas Winkler an der Fernsteuerung und starrt auf einen Bildschirm: Langsam ziehen die grau-schwarzen Wände der Abflussrohre unter der Fabrik vorbei. Winklers Kollege steht in der Fertigungshalle am Eingangsschacht und schiebt den "Göttinger Wurm" mit dem langen Verbindungsschlauch weiter und weiter in den Kanal hinein.

    Ruckweise geht es voran. Auf dem Monitor taucht links ein dunkles Loch auf: In der Öffnung hängt ein Spinnennetz, offenbar ein toter Seitenarm. Plötzlich sieht man es überall im Rohr krabbeln: Über Boden und Wände wimmeln winzige weiße Fliegen. Der Roboter rutscht weiter. Der Kanal ist vor der Inspektion gespült worden, damit grober Schmutz nicht die Schäden verdeckt. Aber jetzt taucht ein Hindernis auf, etwas undefinierbares Weißes auf der Kanalsohle: Winkler stößt den Joystick nach vorn, der Kopf des Roboters hebt sich, die Kamera zeigt die Kanaldecke, dann links die Wand - aber das Häufchen lässt sich nicht umfahren: Das Bild trübt sich, die Linse ist verschmutzt. Bevor es weiter geht, muss sie geputzt werden.

    Für die Stahl-Firma bedeutet die Kanal-Inspektion keinen Produktionsausfall: Die Arbeiter hämmern, die Maschinen laufen, die Bleche klirren. Die beiden Sanitär-Fachleute haben nicht den Fußboden der Fertigungshalle aufgerissen, denn sie müssen bloß an den Einstiegsschacht zum unterirdischen Rohrnetz. Dort ziehen sie jetzt den schwarzen Verbindungsschlauch zurück, bis ihr Roboter wieder aus dem Kanal herauskommt. Durch den dicken Schlauch werden die Videosignale von der Kamera zum Bildschirm im LKW übertragen, dazu kommen noch Leitungen für Strom und Druckluft.

    Das Gerät, das nun aus dem Untergrund auftaucht, kann man gar nicht anders nennen: Ein fetter grauer "Wurm" hängt an dem Schlauch, vielleicht einen halben Meter lang und so dick wie ein muskulöser Arm. Am Kopf sind Schweinwerfer und Kamera angebracht, unter der Gummihaut ist das Geheimnis dieses innovativen Roboters versteckt.

    Da drin sind dann halt die vier Muskeln mit einer kleinen Wirbelsäule, damit das ein bisschen beweglicher bleibt, und die werden dann halt über diese Magnetventile angesteuert jeweils. Und dann macht er halt diese Bewegungen: Links, rechts, kann er einzeln ausführen dann.

    Mithilfe dieser "Muskeln" kriecht der "Göttinger Wurm" in jeden Abzweig, auf einer Strecke von maximal 40 Metern vom Einstiegsschacht. Ob links herum oder rechts herum, nach oben oder unten, mit einer Bewegung des Joysticks öffnet man das jeweilige Ventil und ein Muskel wird mit Druckluft aufgeblasen.

    Wie so eine Art Gummiball, so eine Art Blase, da gibt man Luft rein, und die dehnt sich aus.

    Folge: Der Wurm krümmt sich. Er schwenkt seinen Kopf in den Abzweig, der Helfer schiebt den Schlauch weiter und das Gerät verschwindet im Seitengang. Seine ersten Tests hat der wendige Roboter in Göttingen bestanden, daher hat er seinen Namen.

    Die Kameralinse ist geputzt, die Inspektion unter der Fabrikhalle in Schwerte geht weiter. Unter dem Zischen der Druckluft gleitet der Wurm wieder in den Kanal hinein.

    Thomas Winkler sitzt bereits wieder im LKW am Joystick.

    Wir fahren jetzt noch mal rein in den Abzweig, wo wir abgebrochen haben. Weiter bitte! Wo die Kamera dreckig geworden ist, da fahren wir halt noch mal rein, gucken, wie weit wir kommen. Stop, Mickey, Stop. Geräusch wechselt.

    Sobald ihm auf dem Monitor-Bild etwas auffällt, hält Winkler den Roboter an und macht eine Notiz: Wenn Bruchstellen auftauchen, durch die Abwasser im Erdreich versickert, ein Anschlussstutzen, der in das Rohr hineinragt oder ein längst vergessener Inspektionsschacht. Das Schadensprotokoll und das Video, das der Roboter aufgenommen hat, werden nach der Inspektion an die Firma weitergereicht, die dann die Sanierung durchführt.

    Diese Dateien liefern häufig die ersten verlässlichen Informationen über das private Rohrnetz. Nicht nur die Schäden sind unbekannt: Die gesamten Abflusssysteme unter Häusern und Fabriken, nach und nach ausgebaut, womöglich in Eigenarbeit der Besitzer, sind nur selten dokumentiert. Doch die privaten Eigentümer sind verantwortlich. In Nordrhein-Westfalen wurden sie sogar per Gesetz dazu verpflichtet, den Zustand ihrer Leitungen zu kontrollieren. Auf den "Göttinger Wurm" und seine Artgenossen kommt also viel Arbeit zu.

    Da oben ist er. Das ist ein Abzweig. Okay, Mickey weiter bitte. Und da haben wir schon wieder einen Schacht. Und stop Mickey, stop.

    Aber der "Wurm" steht nicht allein: Die "Lindauer Schere" macht ihm Konkurrenz. Bei diesem Kanalroboter, am Bodensee entwickelt, ist der Kopf mit der Kamera auf ein Scherengitter montiert, das lang auseinander gezogen und in Seitenarme hinein geschoben werden kann.

    Die labyrinthischen privaten Netze lassen sich also jetzt erforschen, ohne dass man die Grundplatte der Gebäude aufbrechen muss. Sanieren kann man sie mit "Wurm" und "Schere" bisher jedoch nicht – die Hersteller arbeiten noch daran, die neuen Roboter auch für diese Einsätze fit zu machen.

    Wohnblocks aus den sechziger Jahren, ein Kindergarten unter alten Bäumen: eine Seitenstraße in der Stadt Datteln, am Nordrand des Ruhrgebiets. Irgendwo unter dem Straßenpflaster versickert heißes Wasser aus einer Fernwärmeleitung im Boden – und Peter Schwerdt ist gekommen, um das Leck zu lokalisieren. Der Forscher hat eine durchsichtige Plastikmatte auf den Asphalt gelegt. Der Sensor in der Mitte der Matte spricht auf das Edelgas Helium an.

    Das zeigt, dass hier in der Nähe das Leck, also das Ausströmen des Fernheizwassers mit dem Helium, sein muss.

    Wenn der Sensor auf dem Straßenpflaster piept, muss im Boden darunter heißes Wasser stehen, denn Schwerdt hat das gesamte Fernheizwasser in Datteln mit Heliumgas markiert.

    Für ein Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts für Umwelt- und Sicherheitstechnik testet der Wissenschaftler ein neues Verfahren zur Lecksuche. Helium hat er als Marker ausgewählt, denn es ist weder giftig noch gefährlich und kommt von Natur aus in einem einheitlichen, niedrigen Anteil in der Luft vor. Im Alltag tritt es praktisch nicht auf: Man verwendet Helium nur als Auftriebsmittel für Taucherflaschen, Heißluftballons und Zeppeline. Und der entscheidende Vorteil für die Suche nach unterirdischen Lecks:

    Helium mit seinen sehr kleinen Molekülen hat ein sehr hohes Diffusionsvermögen. Es geht also mit Leichtigkeit durch den Boden, durchdringt Erdschichten von mehreren Metern Dicke, geht aber auch durch Asphaltdecken durch, man kann ja viele Markierungsstoffe in Wasser einbringen, aber wenn die Moleküle größer werden, gehen die nicht mehr so leicht durch die verschiedenen Schichten des Erdbodens und deshalb haben wir Helium ausgewählt dafür.

    Schwerdt und seine Kollegen haben also dem Fernheizwasser im Kraftwerk einen kleinen Anteil Helium zugesetzt und dann einen Rundgang zu allen 600 Kanaldeckeln in Datteln gemacht. Mit einer Sonde haben sie die darunter liegenden Fernwärmeschächte überprüft – und in der Seitenstraße am Kindergarten gab der Sensor Alarm. Um die unterirdische Leckstelle genau zu orten, mussten sie dann Schritt für Schritt die Helium-Konzentration auf dem Asphalt messen.

    Wo die Teppichsonde am stärksten gepiept hat, reißt ein Bagger jetzt den Boden auf. Die Fernheizleitung liegt so dicht unter dem Pflaster, dass sie in einer herkömmlichen offenen Baustelle schnell repariert werden kann. Und siehe da, die Messung war präzise:

    Jetzt sieht man schon, es steht alles voll Wasser. Ich bin mal gespannt, ob man erkennen kann, wo das rauskommt, wo das Wasser ausströmt.

    Ein beschädigter Kanal kommt zum Vorschein. Wo der Beton-Deckel eingestürzt ist, sieht man die undichte Leitung: Die Isolierung aus Glaswolle ist durchweicht, dampfendes Wasser steht um das Rohr.

    Der Energiekonzern Eon hat das Helium-Verfahren in Datteln erprobt, weil man hoffte, die Instandhaltung der Fernheizleitungen damit zu vereinfachen. Auch bei der herkömmlichen Inspektion schreiten die Mitarbeiter die Schächte ab - aber sie müssen jeden einzelnen Kanaldeckel hochheben und nachsehen, ob unten Wasser steht:

    Im Prinzip machen wir folgendes, dass wir uns unsere Schächte angucken, ob da irgendwo Wasser in den Schächten ankommt. Weil die Leitungen alle so verlegt sind, dass, wenn Wasser irgendwo austritt, das in den Schächten ankommt. Das Fernwärmewasser ist normalerweise grün eingefärbt und dann können wir auch unterscheiden, ob wir da Regenwasser-, Oberflächenwasser-Anfall haben.

    Auf die Strecke zwischen zwei Schächten lässt sich ein Leck dann rasch eingrenzen, erklärt Thomas Döking, Leiter der Fernwärme-Instandhaltung bei Eon. Aber danach kommt die Feinarbeit: Wo genau soll die Straße aufgerissen werden? Die Bauarbeiten sind schließlich der entscheidende Kostenfaktor. Damit man wirklich an der richtigen Stelle gräbt, messen Inspekteure mit einer Wärmebildkamera, wo ausgetretenes Wasser das Straßenpflaster erwärmt hat. Oder sie setzen in den beiden Schächten Spezialmikrofone auf das Leitungsrohr und versuchen, das Geräusch des sprudelnden Wassers zu orten. Mit diesen Methoden ist die Trefferquote recht gut, meint der Manager. Aber das Verfahren versagt, wenn das Wasser gar nicht im nächsten Schacht angekommen ist.

    Das ist jetzt nämlich hier passiert: Diesen Schaden haben wir jetzt nicht gesehen, weil das Wasser gar nicht bis hinten in den Schacht reingelaufen ist, sondern irgendwo hier versickert und diesen Schaden hier hätten wir ohne diese Helium-Messmethode nicht festgestellt.

    Mit dem Edelgas lassen sich Lecks sicherer finden. Döking überlegt, das neue Verfahren flächendeckend einzuführen. Er weiß aber: Für die präzise Ortung des Lecks, bevor der Bagger anrollt, kann man sich auf die Gas-Messung nicht verlassen. Wo neue Fernheiz-Rohre verlegt sind, dringt das Helium nicht durch ihren hochdichten Stahl- oder Kunststoff-Mantel hindurch.

    Dem stimmt Peter Schwerdt zu: In solchen Fällen gelangt das Gas nur in den Schachtöffnungen an die Oberfläche. Um einen Schaden exakt zu lokalisieren, wird man manchmal um zusätzliche Wärme- und Akustik-Messungen nicht herumkommen – obwohl sich das Helium in vielen Fällen bewährt.

    Die Bauarbeiter in Datteln haben das Loch in der Leitung jetzt freigelegt und einer dreht den Wasserzulauf ab. Gleich werden sie eine Metallschelle um das Rohr legen - die hält dicht, bis der gesamte Kanal saniert wird.

    Früher Morgen in der Kleinstadt Bergheim im Rheinland. In einer schmalen Nebenstraße stehen zwei grüne Laster der Firma "Kanal-Müller". Drei Mann sind angerückt, um den maroden Abwasserkanal unter der Straße zu sanieren. Ihre LKWs werden nur einen Tag lang hier stehen, denn die Arbeiter reißen nicht das Pflaster auf – sie heben bloß zwei Kanaldeckel hoch. Durch die beiden Zugangs-Schächte am Anfang und am Ende der Straße ziehen sie ein komplettes neues Kanalrohr ein: einen Kunststoffschlauch.

    Das ist ein kunstharz-getränkter Nadelfilzschlauch. Größe 300/450, Wandstärke 6 Millimeter, Länge 60 Meter. Der wird jetzt kalt bei minus acht Grad in den Kanal eingezogen.

    Was einmal ein Abwasserrohr von 35 Zentimetern Durchmesser werden soll, sieht bisher aus wie ein Streifen gelber Teppichboden. Der platte Schlauch ist jetzt eiskalt, erklärt Wolfgang Laege, Ingenieur bei der Kanal-Müller-Gruppe: Sobald die Harz-Beschichtung sich erwärmt, beginnt sie zu erhärten – aber das darf erst unten im Kanal geschehen, darum müssen die Schläuche gekühlt angeliefert werden.

    Der dicke, steife Kunststoffstreifen wird durch einen Schacht in das alte Kanalrohr eingefädelt und mit der Motorwinde bis zum anderen Schacht am Ende der Straße gezogen. In der Branche spricht man von "Inlinern", wenn ein neuer Schlauch in eine alte Kanal-"Linie" eingebracht wird.

    Jetzt liegt er richtig. Ein Arbeiter steigt in den Schacht und schneidet den Inliner so ab, dass er genau an das nächste Rohr anschließt.

    Gleich werden die Männer den Kunststoff-Schlauch mit Wasser füllen, damit er sich zum Rohr aufbläht. Dabei wird zugleich ein dünner Innenschlauch eingezogen.

    Das ist nach unserem Verfahren die innere Folie, damit ich eine glatte Oberfläche im neuen sanierten Kanal habe. Die beiden Schläuche reagieren nachher durch den Wärmeeintrag und werden ein fester Schlauch.

    Das Wasser muss unter Druck in den Schlauch einströmen: Es presst ihn so weit auseinander, dass er eng an der Wand des alten Rohrs anliegt. Der Druck wird über eine Wassersäule erzeugt: Die Arbeiter bauen ein Gerüst und hängen oben einen Wasserschlauch hinein, der unten in den Anfang des "Inliners" eingesteckt ist. Sobald sie den Hahn aufdrehen, drückt das Wasser von oben in den platten Schlauch hinein und er bläht sich auf, Meter für Meter, bis zum Ende, das fest zugebunden ist. Zur Sicherheit hockt dort ein Arbeiter im Schacht und passt auf.

    Man kann es nicht sehen, sondern nur hören: Stück für Stück drängt das Wasser vorwärts, knisternd wölbt sich der Schlauch zum Rohr.

    Das flexible Material schmiegt sich glatt an die Wände des alten Kanals an - das ist die Stärke dieser Sanierungstechnik. Wenn man dagegen feste Kunststoffrohre in einen defekten Kanal einsetzt, bleibt immer ein Abstand zur alten Wand. Das ist unpraktisch, denn dieser Hohlraum muss verfüllt werden, außerdem verringert sich der Durchmesser der Leitung. Dafür muss der flexible "Inliner" aber noch aushärten – und das kostet zusätzliche Heizenergie.

    In einem der grünen LKWs ist das Heizaggregat in Betrieb gegangen. Die Arbeiter pumpen heißes Wasser in das neue Rohr. Sie müssen es stufenweise auf 90° Celsius aufheizen und diese Temperatur mehrere Stunden halten. Dann ist die Harzbeschichtung ausgehärtet, und aus dem flachen "Teppichboden" ist eine stabile selbst tragende Leitung geworden: Man könnte das alte Rohr entfernen, ohne dass sie zusammenknickte. Danach müssen nur noch die Anschlüsse aufgefräst werden, sagt Wolfgang Laege, an denen die Leitungen der Anwohner münden – ferngesteuert natürlich.

    Gegen Abend irgendwann wird der Roboter kommen, die Abzweige wieder öffnen, so dass spätestens 18, 20 Uhr die ganze Geschichte für die Anwohner hier erledigt ist. Dann können sie alles wieder ganz normal benutzen und es ist alles erledigt. Der große Vorteil gegenüber der offenen Bauweise ist, dass wir das alles an einem Tag schaffen, diesen Abschnitt in offener Bauweise würde mindestens eine Woche dauern.

    Der erste Roboter ist im neuen Kanal aktiv: Er fräst die Abzweige auf. Am Monitor im Service-Wagen sieht man, wie der Fräskopf der Maschine allmählich die Anschlussöffnung vergrößert.

    Später wird ein zweiter Roboter in den Kanal eingesetzt, der die Anschlüsse verputzt. Von den Arbeitern im Wagen ferngesteuert, presst er Beton in die Hohlräume, bis die Seitenkanäle sauber an die neue Leitung anschließen und nirgendwo Schmutzwasser versickern kann.

    Am Ende ist der gesamte Kanal saniert worden, ohne dass das Straßenpflaster beschädigt wurde. Der technische Aufwand war höher als auf einer herkömmlichen Baustelle – aber wie viel kostet eine Baustelle, wenn man nicht nur Arbeitskräfte, Maschinen und Material rechnet, sondern auch die "externen Kosten"? Die volkswirtschaftlichen Verluste durch eine Straßensperrung, das Fällen von Bäumen und Umsatzrückgänge in benachbarten Geschäften gehen bisher bloß als Überschlagswert in den Kostenvergleich ein. Dietrich Stein, der Professor für Leitungsbau, lässt gerade eine Doktorarbeit dazu schreiben, damit man künftig präzise Zahlen vorweisen kann.

    Letztlich wird es nicht ohne neue, automatisierte Technik gehen. Auch die Inspektion der großen begehbaren Leitungen in Köln soll sich demnächst verändern: Nicht mehr zwei Inspekteure werden unterwegs sein, sondern Einer geht allein mit einer Kamera durch den Abwasserstrom, und die Bilder werden auf einen Monitor im Servicewagen übertragen. Ein Mitarbeiter kann also aus dem Kanal aussteigen - und der Andere wird ihm vielleicht bald folgen.

    In der Zukunft rollt womöglich ein unbemannter Kamera-Wagen durch die dunklen großen Rohre – denn nur mit hochautomatischen Verfahren lassen sich die vielen defekten Abwasserleitungen in Deutschland sanieren, die von der Erde bis zum Mond reichen.