Freitag, 19. April 2024

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Eine Schauergeschichte des Terrorismus

Die Bundesrepublik Deutschland in den 70-er Jahren, das war die Zeit des deutschen Terrors, in der die Rote Armee Fraktion gegen den deutschen Staat gekämpft hat. Dramatischer Höhepunkt war das Jahr 1977, der so genannte "Deutsche Herbst". Einer der maßgeblichen Chronisten ist der Journalist Stefan Aust, sein Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex" gilt als Standardwerk. Hubert Maessen:

04.08.2008
    "Ein Mord, bei dem behauptet wird, er diene einem politischen Zweck, bleibt nichtsdestoweniger ein Mord."
    (Aust:) Helmut Schmidt, Bundeskanzler.

    "Den bewaffneten Widerstand organisieren, die Klassenkämpfe entfalten, die Rote Armee aufbauen. Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen."
    (Aust:) Ulrike Meinhof, Terroristin.

    "0 Uhr 38, hier ist der Deutschlandfunk mit einer wichtigen Nachricht: Die von Terroristen in einer Lufthansa-Boeing entführten 86 Geiseln sind alle glücklich befreit worden."
    (Aust:) "Deutschlandfunk, 19. Oktober 1977. Um 0 Uhr 38 ging die Nachricht um die Welt und erreichte auch die Gefangenen im Hochsicherheitstrakt Stuttgart-Stammheim. Der Versuch, sie aus der Haft freizupressen war gescheitert. Zwei Jahre hatte der Untergrundkampf der RAF-Gründer gedauert, fünf Jahre hatten sie im Gefängnis zugebracht, zwei davon in Stammheim."

    Dieses Hörbuch über die Geschichte der Baader-Meinhof-Bande vom Anfang bis zum Ende ist gar kein Hörbuch. Es ist ein Feature auf vier Compact Discs, Länge also gut fünf Stunden, die Laufzeit ist nirgendwo vermerkt, vielleicht weil sie abschreckend wirken könnte. Denn es ist natürlich kein Vergnügen, der Geschichte des Terrors der Baader-Meinhof-Bande zuzuhören, soll es ja wohl auch nicht sein.
    Oder doch?

    Warum sind Hörbücher erfunden worden und ein so großer Erfolg? Das liegt auf der Hand und unter anderem daran: Regression auf Knopfdruck. Es versetzt in die Kindheit, als uns in kuscheligen Kissen von Eltern und Großeltern vorgelesen wurde, noch am liebsten waren die Schauergeschichten, die man von guten Mächten wunderbar geborgen besonders genießen kann.

    Eine Schauergeschichte erzählt uns auch Stefan Aust mit seinem "Baader-Meinhof-Komplex". Es ist seine unendliche Geschichte, die er immer und immer wieder erzählt, und mit leicht übertriebener Boshaftigkeit könnte man sagen, dass dieser Komplex sein eigener geworden ist. Aust hat Protagonisten und Anfänge des Terrors selber erlebt, er war nach 1966 Mitarbeiter der linken Zeitschrift "konkret", deren avantgardistische Chefredakteurin und immer wieder auch brillante Kolumnistin Ulrike Marie Meinhof hieß. Er war also in der Nähe einer der Mütter des deutschen Terrorismus und ist in die Geschichte auch selber ruhmreich verstrickt: 1970, als Meinhof untertauchte und der Frühling des Terrorismus begann, befreite er die Töchter der Meinhof, die von Mitgliedern der "Rote Armee Fraktion" verschleppt worden waren.

    Aust ist zum Chronisten des Terrors der RAF geworden. Nach enormer journalistischer Recherche-Arbeit legte er 1985 das Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex" vor, das seitdem in jedem Jahrzehnt erneuert wird. Denn die Geschichte ist noch nicht abgeschlossen; neue Dokumente tauchen auf, zumal nach der Wende, Zeitzeugen sind erst mit Abstand bereit zu sprechen. 1997 erschien eine erweiterte Neuausgabe und noch in diesem Jahr kommt die voluminöse dritte Ausgabe, erstmals bebildert.

    30 bis 40 Jahre nach den Ereignissen wird Austs "Baader-Meinhof-Komplex" nun zum komplexen Multimedia-Projekt. Zum hier vorgestellten Hörbuch gesellt sich in vier Wochen ein weiteres mit dem Soundtrack des Spielfilms, der nach Austs Buch gedreht wird und Ende September in die Kinos kommt.

    Man kann verstehen, dass der medial gewiefte Aust die Frucht mühevoller Recherche nun auspresst bis es quietscht, aber es vermehren sich damit nicht sonderlich Aufklärung und Erkenntnis; man ahnt mit einigem Unbehagen, dass hier die Elemente verwendet und angehäuft werden, die den Terror zu einer Heldensaga machen können. Baader und Meinhof werden für ein gewaltgestähltes Publikum zu Bonnie und Clyde, begleitet von eiskalten Pistoleros, die im Dschungel der Stadt und in den Wäldern kämpfen und ihre Feinde hinrichten, zum Beispiel Hanns Martin Schleyer:

    "(Aust:) "Ein Waldweg in der Nähe der belgisch-französischen Grenze. Zwei Männer aus dem Entführungskommando bringen Hanns Martin Schleyer zu seiner Hinrichtungsstätte. Es sind Stefan Wisniewski und Rolf Heißler. Peter Jürgen Boock:" "Sie sind ausgestiegen, haben den Kofferraum geöffnet, haben Hanns Martin Schleyer herausgehoben und ins Gras gelegt und auf der Stelle erschossen. Das war 'ne Sache von weniger als einer Minute. Kofferraum auf, rausholen, Schuss, reinpacken, Kofferraum zu, zurückfahren.""
    Nun gut, warten wir den Multi-Media-Effekt im diesem deutschen Herbst ab, ob aus Tod gruselige Verklärungen werden.

    Aust und eine mitproduzierende Redakteurin haben in die vier CDs des Hörbuchs alles reingepackt, was an Originaltönen zum Baader-Meinhof-Komplex zu greifen ist und in den diversen Doku-Filmen Austs schon Verwendung fand. Wer also glaubt, er bekomme das inzwischen als Standardwerk geltende Buch Austs vom Autor vorgelesen, der täuscht sich. Er hört einen Film von Aust, was nicht immer klappt. Wo Film untertitelt werden kann, versteht man hier nur Bahnhof:

    "(Funkverkehr Mogadischu, Rauschen, Sprachfetzen:) "Immediately ... immediately ... es kommt auf jede Minute an ... ihr müsst weg ... verstanden ... Die Sonne geht unter 14 Uhr 50 hier in Mogadischu ..." - (Aust:) "Sprechfunkverkehr aus dem Cockpit der Maschine, in der die GSG 9 nach Mogadischu, Somalia, fliegt." (abermals Funkverkehr Mogadischu, Rauschen, Sprachfetzen:) ... einer schwer verletzt ... sterben ... im anderen Bereich tot ... drei Terroristen tot und einer schwer verletzt ...""

    Das O-Ton-Feature erschlägt einen mit Fülle der Sammlung und beeindruckt als tönende Terrorschau, ist aber für den, der sich informieren will, viel weniger wert als das Buch, kann es bestenfalls medial ergänzen. Der Autor allerdings ist kein Vortragskünstler und er ist auch kein großer Hör-Autor. Wenn man schon ein Mammut-Radio-Feature produziert, dann sollte man auch die spezifischen Mittel beherrschen und nicht monoton Buchfragmente zu Stichwörtern für das stupende O-Ton-Material machen. Dann kann man nicht Personenlisten herunterleiern, die zum Ohr rein und sofort wieder rausgehen, dann muss man klarer strukturieren und per Redundanz für Einstiegs- und Haltepunkte sorgen. Dann sollte man auch professionelle Sprecher einsetzen, denn fünf Stunden, genauer gesagt und nachgerechnet: 4 Stunden, 56 Minuten und 27 Sekunden sind eine lange Zeit, so lang wie Wagners Meistersinger - und das will schon was heißen...

    Wie gesagt, das O-Ton-Material, das Aust zu Gehör bringen wollte, ist opulent und außerordentlich. Aber es gibt kein Verzeichnis im Booklet, kein einziger Original-Ton lässt sich gezielt finden. Das ist ein gravierender, ein ganz unverständlicher Mangel. Stattdessen gibt es eine Liste der Toten, der Opfer des Terrorismus, was einen peinlich berührt - man fühlt sich im Zusammenhang schon aufschimmernder Verklärung an Kerben im Gewehrkolben erinnert.

    Meine Empfehlung: Wer noch was vom Terrorismus in Deutschland wissen will, der lese das schon 300.000-fach verkaufte Aust-Buch, am besten in der bald erscheinenden Neu-Ausgabe. Das vorliegende Hörbuch ist kein Ersatz, es ist eine klingende Ergänzung, die in der Sache nichts bringt, aber den Voyeurismus des Ohres befriedigt und auch schöne Stellen hat, zum Beispiel mit Daniel Cohn-Bendit, dem ich gern das Schlusswort gebe.

    "Wenn ich von jemand, ich sag' das selten, von jemand sage, er ist vom ersten Moment an, wo man ihm begegnet, unsympathisch, dann ist es Andreas Baader. Es war ein arrogantes Arschloch."

    Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex, Hörbuch, Hoffman und Campe, € 19,95.