MD Pallavi spricht kein Deutsch - aber das kann bei Smartphone Apps ja vorkommen. Die meisten Zuschauer verstehen trotzdem. Sie sagen "Demo", um die Vorführung zu starten. MD Pallavi ist eine traditionelle indische Sängerin, arbeitet aber auch als Schauspielerin und Playback-Sängerin im Fernsehen. Als Smartphone-App ist sie aber noch nicht aufgetreten:
"Vielleicht ist es so etwas im Theater noch nie gemacht worden. Wie bringt man eine Smartphone-App auf die Bühne? Was wird von einer Frau, die so etwas macht, erwartet?"
Zu allererst Spontaneität. Die Zuschauer dürfen die Texte vorgeben, die auf der Bühne gesungen werden - die Melodie, die Tonhöhe und Stimmfärbung. Auf einer Skala von 1 bis 10 kann sogar festgelegt werden, wie erotisch der Gesang klingen soll.
Auf der Bühne ist das ein großer Spaß. MD Pallavi setzt ein naives Lächeln auf und klimpert mit den Augen - mechanisch, denn sie spielt ja eine Smartphone-App. Und zugleich werden männliche Wunschbilder parodiert. Die Zuschauer werden aufgefordert, festzulegen, welche Kleider die Sängerin tragen soll. Gegen einen kleinen Aufpreis, heißt es, würde sie auch nackt singen. Sophia Stepf vom Kasseler Flinntheater hat das Stück inszeniert:
"Uns war es wichtig, einen Kommentar zu verfassen auf die Situation, der Frauen ausgeliefert sind auf der ganzen Welt. Es gibt überall Sexismus. Frauen werden auch in Deutschland schlechter bezahlt und kommen schwerer an Jobs - gleichzeitig ist es in Indien extremer."
Und auch davon berichtet das Stück. MD Pallavi spielt nicht nur die Smartphone-App, sondern auch eine Szene, die in einem Bollywood-Filmstudio spielt. Eine Vergewaltigung soll gedreht werden - nicht um brutale Gewalt zu zeigen, sondern als erotisches i-Tüpfelchen für einen Unterhaltungsfilm. Sophia Stepf:
"Die Vergewaltigungsszene kam von unserer Autorin, weil wir angefangen haben im Januar zu proben, nachdem das in Delhi passiert ist und uns klar geworden ist, dass die Filmindustrie, Bollywood, immer wieder Vergewaltigung zeigt, aber die sind extrem ästhetisiert und fast schon lächerlich."
Natürlich ist es leicht, wenn man aus Deutschland kommt, sexuelle Gewalt in Indien zu kritisieren. Daher weist M.D. Pallavi in ihrem Monolog auch auf deutsche Statistiken hin. 8000 Sexualdelikte werden jedes Jahr angezeigt, sagt sie. Die meisten Täter seien Familienmitglieder, Partner oder enge Freunde.
Doch das ist nicht das einzige Thema des Stücks. Sophia Stepf findet es interessant, menschliches Verhalten mit der Funktionsweise von Smartphone-Apps zu vergleichen:
"Soziale Konditionierung, sei es für Männer oder Frauen oder überhaupt wie wir uns verhalten, ist eine Form von Programmierung, die einer technischen Programmierung ähnelt. Nur dass die soziale Programmierung über Wiederholung läuft. Wenn ich immer wieder gesagt bekomme: Als Frau muss ich mich so und so verhalten, als Frau bin ich nicht stark genug und ich kann mich nicht verteidigen. Das sind Wiederholungsbehauptungen, die mich zu dem machen, wer ich bin oder was ich glaube, wer ich bin. Programmierung funktioniert natürlich anders. Ich programmiere eine Software und gebe einmal das ein und dann verhält sich die Software so. Ich habe früher viel Science-Fiction gekuckt. Da gibt es diesen Topos des Roboters, der intelligenter wird als der Mensch, weil er mehr Speicherkapazität hat und schneller prozessiert. Mit diesem Topos wollten wir arbeiten."
Und so wird die anfangs so dienstfertige Smartphone-App am Ende ein sich selbst programmierendes Cyberwesen, das die E-Mails und Bankkonten seiner User ausspioniert. Die Stimme der Sängerin wird durch technische Effekte derart verfremdet, dass man sie kaum wiedererkennt.
Der Sound-Programmierer Andi Otto steht mit auf der Bühne und kreiert immer neue Echos und Loops. MD Pallavi kann schnell die Rollen wechseln und jedes Mal mit einer anderen Stimme sprechen. Manchmal spricht sie sogar mit sich selbst. Auf einer deutschen Theaterbühne ist das allein nichts Besonderes, auf einer indischen hingegen schon. Nach den Aufführungen in Deutschland wird das Flinntheater das Stück auch nach Indien bringen. Sophia Stepf:
"Ich glaube, diese Form ist für sie neu und dieses Sound-Engineering, weil die Software ist Deutsch. Das wird hier in Berlin programmiert - Ableton live. Wir haben in Bangalore einen 21-jährigen Typen gefunden, der das konnte. Aber das hat noch keiner auf einer Theaterbühne gemacht."
Die Gastspiele des Flinntheaters sollen in Indien neue theatrale Erzählweisen bekannt machen. Deshalb wird die Gruppe seit einigen Jahren vom Goethe-Institut Bangalore immer wieder eingeladen. Sophia Stepf:
"Wir arbeiten international und kucken uns die Globalisierung an und was die für schräge neue Realitäten hervorbringt. Pallavi hat zum Beispiel vor zwei Jahren schon Musik gemacht für ein Stück von uns, mit Andi zusammen, obwohl die sich noch nie getroffen hatten. Wir waren letztes Jahr in Nigeria - also wir haben ein Stück gemacht, das in Kassel und in Lagos funktionieren musste. Das sind die Herausforderungen eines globalisierten Theatermachens. Kann man das schaffen, für zwei so unterschiedliche Publikumsgruppen das gleiche Stück zu machen."
Auch deshalb hat das Flinntheater für seine neue Produktion die "Indian Singer App" entworfen. Smarte Telefone und Sexismus gibt es schließlich überall.
"Vielleicht ist es so etwas im Theater noch nie gemacht worden. Wie bringt man eine Smartphone-App auf die Bühne? Was wird von einer Frau, die so etwas macht, erwartet?"
Zu allererst Spontaneität. Die Zuschauer dürfen die Texte vorgeben, die auf der Bühne gesungen werden - die Melodie, die Tonhöhe und Stimmfärbung. Auf einer Skala von 1 bis 10 kann sogar festgelegt werden, wie erotisch der Gesang klingen soll.
Auf der Bühne ist das ein großer Spaß. MD Pallavi setzt ein naives Lächeln auf und klimpert mit den Augen - mechanisch, denn sie spielt ja eine Smartphone-App. Und zugleich werden männliche Wunschbilder parodiert. Die Zuschauer werden aufgefordert, festzulegen, welche Kleider die Sängerin tragen soll. Gegen einen kleinen Aufpreis, heißt es, würde sie auch nackt singen. Sophia Stepf vom Kasseler Flinntheater hat das Stück inszeniert:
"Uns war es wichtig, einen Kommentar zu verfassen auf die Situation, der Frauen ausgeliefert sind auf der ganzen Welt. Es gibt überall Sexismus. Frauen werden auch in Deutschland schlechter bezahlt und kommen schwerer an Jobs - gleichzeitig ist es in Indien extremer."
Und auch davon berichtet das Stück. MD Pallavi spielt nicht nur die Smartphone-App, sondern auch eine Szene, die in einem Bollywood-Filmstudio spielt. Eine Vergewaltigung soll gedreht werden - nicht um brutale Gewalt zu zeigen, sondern als erotisches i-Tüpfelchen für einen Unterhaltungsfilm. Sophia Stepf:
"Die Vergewaltigungsszene kam von unserer Autorin, weil wir angefangen haben im Januar zu proben, nachdem das in Delhi passiert ist und uns klar geworden ist, dass die Filmindustrie, Bollywood, immer wieder Vergewaltigung zeigt, aber die sind extrem ästhetisiert und fast schon lächerlich."
Natürlich ist es leicht, wenn man aus Deutschland kommt, sexuelle Gewalt in Indien zu kritisieren. Daher weist M.D. Pallavi in ihrem Monolog auch auf deutsche Statistiken hin. 8000 Sexualdelikte werden jedes Jahr angezeigt, sagt sie. Die meisten Täter seien Familienmitglieder, Partner oder enge Freunde.
Doch das ist nicht das einzige Thema des Stücks. Sophia Stepf findet es interessant, menschliches Verhalten mit der Funktionsweise von Smartphone-Apps zu vergleichen:
"Soziale Konditionierung, sei es für Männer oder Frauen oder überhaupt wie wir uns verhalten, ist eine Form von Programmierung, die einer technischen Programmierung ähnelt. Nur dass die soziale Programmierung über Wiederholung läuft. Wenn ich immer wieder gesagt bekomme: Als Frau muss ich mich so und so verhalten, als Frau bin ich nicht stark genug und ich kann mich nicht verteidigen. Das sind Wiederholungsbehauptungen, die mich zu dem machen, wer ich bin oder was ich glaube, wer ich bin. Programmierung funktioniert natürlich anders. Ich programmiere eine Software und gebe einmal das ein und dann verhält sich die Software so. Ich habe früher viel Science-Fiction gekuckt. Da gibt es diesen Topos des Roboters, der intelligenter wird als der Mensch, weil er mehr Speicherkapazität hat und schneller prozessiert. Mit diesem Topos wollten wir arbeiten."
Und so wird die anfangs so dienstfertige Smartphone-App am Ende ein sich selbst programmierendes Cyberwesen, das die E-Mails und Bankkonten seiner User ausspioniert. Die Stimme der Sängerin wird durch technische Effekte derart verfremdet, dass man sie kaum wiedererkennt.
Der Sound-Programmierer Andi Otto steht mit auf der Bühne und kreiert immer neue Echos und Loops. MD Pallavi kann schnell die Rollen wechseln und jedes Mal mit einer anderen Stimme sprechen. Manchmal spricht sie sogar mit sich selbst. Auf einer deutschen Theaterbühne ist das allein nichts Besonderes, auf einer indischen hingegen schon. Nach den Aufführungen in Deutschland wird das Flinntheater das Stück auch nach Indien bringen. Sophia Stepf:
"Ich glaube, diese Form ist für sie neu und dieses Sound-Engineering, weil die Software ist Deutsch. Das wird hier in Berlin programmiert - Ableton live. Wir haben in Bangalore einen 21-jährigen Typen gefunden, der das konnte. Aber das hat noch keiner auf einer Theaterbühne gemacht."
Die Gastspiele des Flinntheaters sollen in Indien neue theatrale Erzählweisen bekannt machen. Deshalb wird die Gruppe seit einigen Jahren vom Goethe-Institut Bangalore immer wieder eingeladen. Sophia Stepf:
"Wir arbeiten international und kucken uns die Globalisierung an und was die für schräge neue Realitäten hervorbringt. Pallavi hat zum Beispiel vor zwei Jahren schon Musik gemacht für ein Stück von uns, mit Andi zusammen, obwohl die sich noch nie getroffen hatten. Wir waren letztes Jahr in Nigeria - also wir haben ein Stück gemacht, das in Kassel und in Lagos funktionieren musste. Das sind die Herausforderungen eines globalisierten Theatermachens. Kann man das schaffen, für zwei so unterschiedliche Publikumsgruppen das gleiche Stück zu machen."
Auch deshalb hat das Flinntheater für seine neue Produktion die "Indian Singer App" entworfen. Smarte Telefone und Sexismus gibt es schließlich überall.