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Eine Space-Oddity am Lido

Sandra Bullock und George Clooney einsam im Weltraum - so beginnen die diesjährigen Filmfestspiele in Venedig. Das sorgt für Glamour auf dem roten Teppich, jedoch nicht für eine überzeugende Geschichte auf der Leinwand.

Von Josef Schnelle | 28.08.2013
    Es war einmal in Venedig. Seit 1893 beherbergten die Giardini, die Gärten Venedigs, alle zwei Jahre die größte Kunstausstellung der Welt: die Biennale. Doch dann, 1932, befand der Industrielle und Politiker Conte Guiseppe Volpi di Misurata, eben neuer Präsident der Biennale geworden, es sei an der Zeit, sich etwas Neues auszudenken. Die siebte Kunst, hochgeschätzt gerade von den faschistischen Machthabern, der Film, sollte seine eigene Kunstausstellung bekommen: die "Biennale d´Arte Cinematografica". Da passte es gut, dass er gerade auf dem Lido von Venedig ein neues Luxushotel gebaut hatte. Noch dessen Besucher eher spärlich. Aber nach der ersten Filmbiennale auf der Terrasse des Excelsiors änderte sich das schlagartig. Der Eröffnungsfilm war am 6. August 1932 "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" von Rouben Mamoulian.

    Venezianischer Adel in Abendgarderobe und faschistische Funktionsträger in weißer Paradeuniform gaben sich in den 30er-Jahren auf der Hotelterrasse ein Stelldichein. Im 81. Jahr feiert das älteste Festival der Welt nun seine 70. Ausgabe. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der 68er-Revolte pausierte das Festival einige Jahre, weswegen die Zählung durcheinandergeriet. Der Vorteil ist: Das Festival kann mehrfach Jubiläen feiern. Letztes Jahr den 80. Geburtstag. In diesem Jahr die 70. Ausgabe. Mit einem Kompilationsfilm, zu dem die wichtigsten Autoren der letzten Jahre mehr oder weniger witzige Sekundenfilme beigetragen haben. Das Filmfestival von Venedig feiert seine ruhmreiche Geschichte, während die Autoren der Kurzfilme vom Ende des Kinos berichten, das immer häufiger nur noch auf kleinen Smartphone-Bildschirmen stattfindet. In die Klamottenkiste der Spezialeffekte greift der Eröffnungsfilm von Alfonso Cuaròn.

    "Ich hab keine Kontrolle. Was soll ich tun? Nein, nein, nein."

    Die eben gehörte Katastrophe im All zerstört eine Raumstation samt Shuttle. Dr. Ryan Stone und der Astronauten-Veteran Matt Kowalski finden sich ganz allein in ihren Raumanzügen wieder mit wenig Hoffnung auf ein Überleben. Aus dieser Anfangssituation macht Cuaròn in bestechendem 3-D bemerkenswert viel: Viel Handlung, jede Menge im Vorbeigehen zerstörte Raumstationen und vor allem ganz viel Überlebenswillen der Hauptfigur Dr. Ryan, die, gespielt von Sandra Bullock, gegen alle Wahrscheinlichkeit immer wieder neue Hilfskonstruktionen erfindet, um schließlich mit einer chinesischen Raumkapsel doch noch ein Happy End auf der Erde zu feiern. George Clooney als milde lächelnder Weltraumveteran, ohnehin auf seiner letzten Reise, steuert, noch als Gespenst stets gut gelaunt, jede Menge Überlebensideen bei, auch wenn der Weltraumschrott an jeder Ecke darauf lauert, sein böses Zerstörungswerk auf die Spitze zu treiben.

    Trotz aller Virtuosität der Regie bleibt die Frage, warum man die Geschichte von der Einsamkeit im Weltall noch einmal neu erzählen muss, die doch David Bowie schon 1968 in seinem Song "Space Oddity" abschließend behandelt hat. Mit der berühmten Zeile "Ground Control to Major Tom" ging diese Geschichte wenigstens überzeugend schlecht aus. Vielleicht haben wir ja im Weltraum wirklich nichts zu suchen. Für Eröffnungsfilme von Filmfestivals gelten eigene Gesetze. Und Sandra Bullock und George Clooney auf dem roten Teppich - das ist doch schon einmal ein schöner Knalleffekt zur feierlichen Eröffnung heute Abend. Gänzlich unangebracht Staunen über das Naturschöne im Weltraum kann keiner so gut wie er:
    "Wunderschön, nicht wahr?" – "Was?" – "Der Sonnenaufgang. Phantastisch."

    Bernardo Bertolucci ist Jurypräsident in diesem Jahr. In einem Bildband zur Geschichte des Festivals sieht man ihn noch in den 60er-Jahren als jugendlicher Filmfan mit der unvermeidlichen Jutetasche im Gespräch mit Freunden von damals. So schließt sich der Kreis. Kein Filmfestival auf der Welt ist so selbstreferenziell wie die Mostra del Cinema und deswegen ist sie auch nicht kleinzukriegen. Das große Loch, die Baustelle neben dem Palazzo de Cinema, ist zwar mit neuer Sichtblende verkleidet. Aber getan hat sich nichts. Die großen Pläne sind längst begraben. Auf einem Schaubild wird für dezente neue Begrünungspläne an dieser Stelle geworben, aus denen vielleicht auch nichts wird. Jetzt müssen nur noch die Botschaften ankommen, die die Filme des Programms in diesem Jahr erzählen:

    "Hört mich jemand? Bitte Bitte."