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Eine Stadt hat Angst um ihre Uni

Noch studiert Lennart Armbruster Sportwissenschaften an der Martin-Luther Universität in Halle.

Von Verena Kemna | 11.06.2004
    Ich bin jetzt im zweiten Semester, also seit gut einem Jahr hier. Ich hatte eigentlich vor, hier mein Sportstudium fürs Lehramt und Biologie zu absolvieren. Das heißt, ich würde hier noch einige Jahre verbringen. Wenn das Institut für Sportwissenschaften geschlossen werden sollte, wie es im Moment angedacht ist, ich wüsste nicht, wie dann eine Lehramtsausbildung vernünftig von statten gehen sollte.

    Die Universität Halle muss ab 2006 fast 15 Millionen Euro einsparen. Da reicht es nicht, mit dem Rotstift das ein oder andere weg zu streichen, da müssen ganze Fachbereiche geschlossen werden. Nicht nur die Sportstudenten, auch die angehenden Ingenieure, Psychologen und Musiker werden wahrscheinlich weggespart. Wenn alles so kommt, dann ist der Sportstudent Lennart Armbruster aus Berlin nur einer von vielen, die der Stadt Halle an der Saale, kaum angekommen, wieder den Rücken kehren müssen.

    Da ich unter den Bedingungen im Moment an keiner anderen Universität angenommen werden würde, besonders auch in Leipzig und Magdeburg, die keinen Platz haben, Studenten aufzunehmen, würde ich mir wahrscheinlich ein anderes Fach suchen müssen und wieder nach Berlin zurückgehen.

    Dabei ist Halle für ihn längst zur zweiten Heimat geworden. Wie viele andere der fast 700 Sportstudenten betreut er in seiner Freizeit Vereinssportgruppen für Jugendliche und Senioren, unentgeltlich. In Halle ist fast jeder Fünfte ohne Arbeit. Mit dem endgültigen Aus für das Waggonbauwerk Ammendorf ist auch der Untergang des letzten Industriestandortes besiegelt. Da suchen viele Hallenser Ausgleich im Vereinssport. Wenn die Sportstudenten weggehen, dann werden solche wie Lennart fehlen. Er wird außerdem nicht mehr in den Altstadtkneipen sitzen. Er wird seine Wohnung kündigen und ganz sicher nicht mehr zum "Tatort Kommissar" Peter Sodann ins neue Theater gehen. Für den theaterbesessenen Schauspieler und leidenschaftlichen Hallenser ist es selbstverständlich, dass er die Studenten bei ihren Protesten unterstützt.

    Die Jugend, die brauchen ihren Goethe, Schiller und Lessing. Also die Jugend soll sich weiter bilden, die können nicht nur was für die Muskeln tun, die brauchen auch was für ihren Kopf. Unser Theater würde eingehen, wenn wir keine Studenten mehr haben. Ganz normal...

    Während die Sportstudenten auf dem Universitätsplatz demonstrieren, warnt Halles SPD-Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler vor dem drohenden Aderlass. Sie wird nicht müde zu wiederholen, dass die Martin-Luther Universität für die Stadt ein wichtiges Standbein ist.

    Auch für die Motivation und die Stimmung in der Stadt ist die Universität immer ein Motor gewesen. Wir sehen ja, dass es nicht einfach ist, ein solches Unternehmen wie Ammendorf zu halten, da kann ein Land nicht entscheiden, aber die Unterstützung der Uni ist unsere Entscheidung. An dieser Stelle ist doch die Verantwortung der Landesregierung da, damit wieder Motivation kommt. Denn ohne, werden wir den Kampf nicht gewinnen können.

    Dabei müssen sich alle ostdeutschen Hochschulen wegen des Geburtenrückgangs in Zukunft auf weniger Studenten einstellen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat eine Prognose errechnet. Demnach werden sich in den nächsten 15 Jahren allein in Sachsen-Anhalt ein Drittel weniger Erstsemester immatrikulieren. Schon jetzt, so heißt es in Halle, werden im Zuge der anstehenden Sparmaßnahmen allein an der Martin-Luther Universität etwa 50 Professoren-Stellen wegfallen. Das könnte bedeuten: 5000 Studenten weniger. Diese Zahl geistert wie ein Menetekel durch die Stadt. Kein Hallenser, der sich so etwas auch nur vorstellen kann.

    Die Studenten, die bezahlen doch auch ihre Steuern und 5000 Studenten weniger wo in der Stadt Halle die Abwanderung sowieso so hoch ist. Könnt ich mir nicht vorstellen. Also weniger Studenten, weniger Gäste in der Gastronomie und dann wundert man sich wenn das ein oder andere Objekt dicht gemacht wird. - Ich habe viele Freunde, die jetzt wechseln müssen, weil es ihr Studienfach nicht mehr gibt. Also ich finde es nicht in Ordnung. Wenn man im Sommer hier in den Biergärten lang gelaufen ist, es war mehr Trubel und Heiterkeit, weil eben die Studenten da waren. Und so wird Halle einfach immer öder.