Die Eingänge sind vernagelt, die Fensterscheiben zerbrochen. Dicke Risse ziehen sich quer über die Fassaden. Zwischen der kaputten Häuserzeile schlendert ein Sicherheitsmann. Aus einem Müllcontainer ragt ein Plastiktannenbaum vom letzten Jahr. Rot glitzert eine Christbaumkugel an der Spitze. Die Luft ist feucht und schwer, es riecht nach Kohleheizung.
"Haus Nummer 8 wird am Montag evakuiert", raunt eine junge Frau über die Straße. "Nr. 16 am Donnerstag". Dann verschwindet sie schnell in einem Hauseingang. Fünf dicke Holzstämme stemmen sich schräg gegen das Mauerwerk. Verhindern, dass ihr Eckhaus zur Seite rutscht. Und damit die gesamte Häuserzeile, die abgesackt ist. Denn unter den Häusern, tief in der Erde, liegt die Steinkohle. Und die wird seit Jahrhunderten abgebaut. Es kommt immer mal wieder zu kleineren Absenkungen, aber so schlimm war es noch nie.
Auf der anderen Straßenseite, im Haus Nummer 5, öffnet eine Rentnerin das Wohnzimmerfenster, beugt sich heraus.
"Seit mehr als 50 Jahren wohne ich hier", erzählt sie. Als sie auf dem Mikrofon den Schriftzug "Deutschlandradio" sieht, wechselt sie ins Deutsche. Die 80-Jährige kennt die Sprache noch aus der Schule. Acht Jahre hat sie Deutsch gelernt. Hier in Oberschlesien, als Bytom noch Beuthen hieß.
"Wollen sie meine Wohnung ansehen? Kommen sie mal, bitte kommen sie mal ... "
Die 80-Jährige öffnet die Haustür, sie hat sich schnell eine Kittelschürze übergeworfen, einige alte Stufen geht es hinauf in den ersten Stock.
"Hier sehen sie wie ist ..."
Dicke Risse ziehen sich quer über die Wände. Verlaufen schräg nach oben. Türen und Schwellen passen nicht mehr zusammen. Im Flur geht es leicht bergab.
"Hier, hier ham sie, überall, dass ist das schlimmste hier im Schlafzimmer. Und hier auch. Und hier ... "
Risse und Verwerfungen sind mittlerweile vermessen. Alles protokolliert. Von den Ingenieuren der Stadtverwaltung. Sie muss ausziehen, haben die Fachleute gesagt. Seitdem wartet die Rentnerin auf die Evakuierung ...
Im Rathaus von Bytom sitzt Katarzyna Krzeminska vor einem dicken Ordner. Und ringt um Fassung. Sie ist die Sprecherin der 180.000 Einwohnerstadt. Unter deren Straßen und Gebäuden die größten Steinkohlevorkommen Polens liegen:
"Ich kann mich nicht erinnern, dass so etwas in der Vergangenheit in Bytom schon einmal passiert ist. So etwas gab es noch nie. Es hat uns alle überrascht. Die Stadt genauso wie das Kohleunternehmen. Ihre Vertreter haben uns gesagt, dass sie so etwas noch nie zuvor erlebt haben."
Seit Jahrzehnten holt die Kompania Weglowa hier Steinkohle aus dem Untergrund. Das Staatsunternehmen ist der größte Kohlekonzern Europas. Der größte Arbeitgeber Oberschlesiens. Katarzyna Krzeminska blättert in ihrem Ordner. Protest- und Bittschreiben, Auflagen und Anträge. Absender: Die Stadt Bytom. Empfänger: Die Kompania Weglowa. Oder das zuständige Ministerium in Warschau.
"Das Hauptproblem mit dem Kohleunternehmen ist, dass es seine Zusagen nicht erfüllt, wenn es um die Entschädigungszahlung für Bergbauschäden geht. Wir haben seit Jahren gefordert, die Rückstellungen für solche Bergbau-Folgeschäden zu erhöhen."
400 Einwohner sind in den letzten Wochen evakuiert worden. Mindestens 250 werden folgen. Für die jetzt evakuierten Anwohner zahlt der Kohlemulti für ein Jahr die Folgekosten. Aber nur, wenn die Stadtverwaltung es schafft, binnen sechs Monaten ausreichend Wohnraum bereitzustellen. Sonst zahlt der Konzern nur ein halbes Jahr. Die Stadtsprecherin schüttelt den Kopf. Händeringend sucht die Stadt nun Wohnungen. Ein schwieriges Unterfangen. Am Ende, so fürchtet Katarzyna Krzeminska, wird sie auf den Kosten sitzen bleiben.
In ihrer kleinen Wohnung, im Haus Nummer 5, steht die Rentnerin am Fenster. Eine Leiter lehnt daneben, einige Umzugskartons liegen hinter dem Wäscheständer.
" Man will schon nichts mehr, nicht mal putzen, wissen sie. Das ist ganz - man kann schon in Kopf bekommen, langsam ..."
Die meisten Regale sind schon leer, eine dürre Grünpflanze steht noch in der Ecke. An der Wand hängt ein Foto. Im Goldrahmen.
"Das ist mein Urenkel-Kind. Von meiner Enkelin das Kind, nur ein goldener Junge, nun ist er schon neun Monate, da war er drei Monate alt, ein süßer Junge."
Vorsichtig nimmt sie das Bild ab. Legt es auf ein Stück altes Zeitungspapier.
"Die kommen dann: In einer Woche müssen sie raus. Oder zwei Wochen. Was kann man dann ... Die Bilder, Teppich, schon Karton hab ich mir zu recht gemacht, mit dem ganzen Einpacken, ja, so ist."
Das Bild wird sie auf jeden Fall mitnehmen. Wenn es losgeht. Irgendwann. Nur wohin, das weiß sie noch nicht ...
"Haus Nummer 8 wird am Montag evakuiert", raunt eine junge Frau über die Straße. "Nr. 16 am Donnerstag". Dann verschwindet sie schnell in einem Hauseingang. Fünf dicke Holzstämme stemmen sich schräg gegen das Mauerwerk. Verhindern, dass ihr Eckhaus zur Seite rutscht. Und damit die gesamte Häuserzeile, die abgesackt ist. Denn unter den Häusern, tief in der Erde, liegt die Steinkohle. Und die wird seit Jahrhunderten abgebaut. Es kommt immer mal wieder zu kleineren Absenkungen, aber so schlimm war es noch nie.
Auf der anderen Straßenseite, im Haus Nummer 5, öffnet eine Rentnerin das Wohnzimmerfenster, beugt sich heraus.
"Seit mehr als 50 Jahren wohne ich hier", erzählt sie. Als sie auf dem Mikrofon den Schriftzug "Deutschlandradio" sieht, wechselt sie ins Deutsche. Die 80-Jährige kennt die Sprache noch aus der Schule. Acht Jahre hat sie Deutsch gelernt. Hier in Oberschlesien, als Bytom noch Beuthen hieß.
"Wollen sie meine Wohnung ansehen? Kommen sie mal, bitte kommen sie mal ... "
Die 80-Jährige öffnet die Haustür, sie hat sich schnell eine Kittelschürze übergeworfen, einige alte Stufen geht es hinauf in den ersten Stock.
"Hier sehen sie wie ist ..."
Dicke Risse ziehen sich quer über die Wände. Verlaufen schräg nach oben. Türen und Schwellen passen nicht mehr zusammen. Im Flur geht es leicht bergab.
"Hier, hier ham sie, überall, dass ist das schlimmste hier im Schlafzimmer. Und hier auch. Und hier ... "
Risse und Verwerfungen sind mittlerweile vermessen. Alles protokolliert. Von den Ingenieuren der Stadtverwaltung. Sie muss ausziehen, haben die Fachleute gesagt. Seitdem wartet die Rentnerin auf die Evakuierung ...
Im Rathaus von Bytom sitzt Katarzyna Krzeminska vor einem dicken Ordner. Und ringt um Fassung. Sie ist die Sprecherin der 180.000 Einwohnerstadt. Unter deren Straßen und Gebäuden die größten Steinkohlevorkommen Polens liegen:
"Ich kann mich nicht erinnern, dass so etwas in der Vergangenheit in Bytom schon einmal passiert ist. So etwas gab es noch nie. Es hat uns alle überrascht. Die Stadt genauso wie das Kohleunternehmen. Ihre Vertreter haben uns gesagt, dass sie so etwas noch nie zuvor erlebt haben."
Seit Jahrzehnten holt die Kompania Weglowa hier Steinkohle aus dem Untergrund. Das Staatsunternehmen ist der größte Kohlekonzern Europas. Der größte Arbeitgeber Oberschlesiens. Katarzyna Krzeminska blättert in ihrem Ordner. Protest- und Bittschreiben, Auflagen und Anträge. Absender: Die Stadt Bytom. Empfänger: Die Kompania Weglowa. Oder das zuständige Ministerium in Warschau.
"Das Hauptproblem mit dem Kohleunternehmen ist, dass es seine Zusagen nicht erfüllt, wenn es um die Entschädigungszahlung für Bergbauschäden geht. Wir haben seit Jahren gefordert, die Rückstellungen für solche Bergbau-Folgeschäden zu erhöhen."
400 Einwohner sind in den letzten Wochen evakuiert worden. Mindestens 250 werden folgen. Für die jetzt evakuierten Anwohner zahlt der Kohlemulti für ein Jahr die Folgekosten. Aber nur, wenn die Stadtverwaltung es schafft, binnen sechs Monaten ausreichend Wohnraum bereitzustellen. Sonst zahlt der Konzern nur ein halbes Jahr. Die Stadtsprecherin schüttelt den Kopf. Händeringend sucht die Stadt nun Wohnungen. Ein schwieriges Unterfangen. Am Ende, so fürchtet Katarzyna Krzeminska, wird sie auf den Kosten sitzen bleiben.
In ihrer kleinen Wohnung, im Haus Nummer 5, steht die Rentnerin am Fenster. Eine Leiter lehnt daneben, einige Umzugskartons liegen hinter dem Wäscheständer.
" Man will schon nichts mehr, nicht mal putzen, wissen sie. Das ist ganz - man kann schon in Kopf bekommen, langsam ..."
Die meisten Regale sind schon leer, eine dürre Grünpflanze steht noch in der Ecke. An der Wand hängt ein Foto. Im Goldrahmen.
"Das ist mein Urenkel-Kind. Von meiner Enkelin das Kind, nur ein goldener Junge, nun ist er schon neun Monate, da war er drei Monate alt, ein süßer Junge."
Vorsichtig nimmt sie das Bild ab. Legt es auf ein Stück altes Zeitungspapier.
"Die kommen dann: In einer Woche müssen sie raus. Oder zwei Wochen. Was kann man dann ... Die Bilder, Teppich, schon Karton hab ich mir zu recht gemacht, mit dem ganzen Einpacken, ja, so ist."
Das Bild wird sie auf jeden Fall mitnehmen. Wenn es losgeht. Irgendwann. Nur wohin, das weiß sie noch nicht ...