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Eine Stadt zerbricht

Mit der Nutzung von Erdwärme wollten die Stadtväter von Staufen im Breisgau eine preisgünstige Energiequelle anzapfen. Doch durch die Bohrungen geriet Grundwasser in eine Gesteinsschicht aus Gips. Dieser Gips quillt nun auf und schiebt den Ort in die Höhe.

Von Uschi Götz |
    Gerade hat Michael Benitz, parteiloser Bürgermeister der Stadt Staufen im Breisgau, eine Kinderkrippe mit 60 Plätzen eingeweiht. Es ist die größte Einrichtung dieser Art im ländlichen Raum von Baden-Württemberg.

    "Das ist ein Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht in Staufen."

    Hoffnung und Zuversicht kann Staufen jetzt brauchen. Ein paar Kilometer von der Kinderkrippe entfernt sind die Folgen einer Geothermie-Bohrung vor genau drei Jahren deutlich zu sehen. Aus den Tiefen wollte man für das Rathaus eine günstige und umweltfreundliche Wärmequelle erschließen. Die Folge: Fast alle Häuser im Zentrum der historischen Fachwerkstadt treibt es wie einen Hefeteig in die Höhe. Überall klaffen in den Gebäuden Risse, vor allem in den alten Fachwerkhäusern.

    Zwischen Crêpes-, Suppen- und Wollmützenbuden steht auf dem Weihnachtsmarkt ein Stand der jüngst gegründeten "Stiftung zur Erhaltung der historischen Altstadt Staufen".

    Uhren gibt es am Stand zu kaufen, Sonderbriefmarken und einen Tonkrug für 68,- Euro:

    "Es gibt ja den wunderschönen Ausspruch: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Das soll symbolisieren, dass auch die Gefahr besteht, dass Staufen auch zerbricht, und das in kleinen, ganz, ganz langen Zeiträumen."
    Wolfgang Schuhmann war viele Jahre Feuerwehrkommandant in Staufen; er hat die Stiftung mitinitiiert. Deren Vorbild ist die Solidaritätsaktion für die Frauenkirche in Dresden. Staufen liegt am Fuße des Schwarzwalds, Frankreich und die Schweiz sind nicht weit:

    "Wir haben wahnsinnig viel Schweizer gerade da gehabt, auch Franzosen, die immer wieder nachfragen, was ist denn passiert. Und wo natürlich auch Solidarität zeigen und dann was kaufen."

    Eine Weile versuchten die Staufener die bis zu zehn Zentimeter großen Risse ihrer Häuser zu verstecken, indem sie die Brüche kitteten. So als handle es sich nur um einen vorübergehenden Spuk. Doch die Schäden wurden immer größer. Jetzt kleben plakativ übergroße rote Pflaster auf den Rissen. Klaffende sichtbare Wunden:

    "Da wo das Pflaster hängt, da sind zwei Häuser, die sich voneinander trennen wollen aufgrund der verschiedenen Hebungsbuckel, die aber eine gemeinsame, uralte Mauer haben und die deshalb auseinanderbrechen."

    Ein Bewohner der Rathausgasse zeigt auf seine Wohnung im zweiten Stock. Vom Fundament bis hoch zum dritten Stockwerk verläuft ein Riss. Wie hoch der Schaden ist, weiß der Mann nicht:

    "Das ist wahnsinnig schwer zu sagen, weil an diesen Rissen hängen keine Preisschilder. Es ist auch überhaupt sehr schwer, das wieder in Ordnung zu bringen, weil diese Risse und dieser Schaden ist an der Struktur, am Skelett des Hauses, da kommen sie hier eigentlich gar nicht dran zum Sanieren."

    Der Schaden in der Innenstadt wird - Stand heute - auf rund 50 Millionen Euro geschätzt. Eine Schlichtungsstelle wurde vor Kurzem eingerichtet; über der Stadt schwebt die Frage:

    Wer das alles bezahlen soll? Hausbesitzer haben die Stadt verklagt, die Stadt hat die ausführende Firma verklagt. Die Versicherungen der Stadt sind für derartige Schäden nicht zuständig. Die Zeit drängt, die Häuser sollen bewohnbar bleiben. Das Land Baden-Württemberg stellte jüngst zwei Millionen Euro Soforthilfe zur Verfügung. - ein Tropfen auf den heißen Stein:

    "Wir müssen ja jetzt auch schon reparieren. Ich habe täglich Rechnungen auf dem Tisch, wo es um Kleinstreparaturen geht. Aber auch um größere Reparaturen: Es müssen Fenster, die gesprungen sind, ausgetauscht werden. Da muss eine Ladentheke, eine Kühltheke, die gerissen ist, muss ausgetauscht werden. Es muss ja weiter gehen", "

    sagt Bürgermeister Benitz und ergänzt:

    " "Natürlich wollen wir nicht nur nach oben jammern und betteln, sondern wir wollen auch selber mit unseren eigenen Ideen, mit unserer eigenen Kraft dafür sorgen, dass Spendenmittel akquiriert werden. Und da ist unser Ziel, das sage ich auch immer öffentlich, einen siebenstelligen Betrag zusammen zubekommen."

    "Ob das gelingen wird, ist noch nicht abzusehen. Die Zahl der beschädigten Häuser steigt ständig. 268 betroffene Häuser wurden bis Mitte Dezember gezählt: Also ich sage, das ist die größte Naturkatastrophe, die sich jetzt hier in Baden-Württemberg abspielt. Nur ist das vielleicht in Berlin noch nicht angekommen, was sich hier unter unserer historischen Altstadt abspielt."

    Noch vor Weihnachten will der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Kappus die südbadische Stadt besuchen. Sein Parteifreund, Ex-Regierungschef Erwin Teufel ist Kuratoriumsmitglied der neuen Stiftung. Teufel sieht neben Stadt und Land auch den Bund in der Pflicht, der Stadt finanziell zu helfen:

    "Dieser Vorgang ist für die betroffenen Bürger fast noch schlimmer als eine Naturkatastrophe, die ein einmaliges Ereignis ist. Alles zieht sich hier über Monate und Jahre in die Länge."

    "Für Geologen sind die Ereignisse in Staufen keine Naturkatastrophe. Vielmehr gehen Experten davon aus, dass die möglichen geologischen Problempotenziale im Vorfeld bekannt waren. In der Planung seien die geologischen Verhältnisse zutreffend beschrieben worden, man haben möglicherweise nicht die richtigen Schlüsse gezogen, sagen mehrere Experten."

    Hinter dem Rathaus in der Kirchstraße steht ein großer Bohrturm. Die Gegend um das Bohrloch ist abgesperrt. Zurzeit läuft die zweite Brunnenbohrung. Der Zweck:Schadensbegrenzung.

    "Die konnte jetzt leider nicht- wie geplant- vor Weihnachten abgeschossen werden. Wir sind dort vor Weihnachten ungefähr in einer Bohrtiefe von 90 Metern, müssen aber 130- 140 Meter tief bohren. Das heißt, es wird wahrscheinlich Ende Januar werden. Dort soll dann weiter Wasser abgepumpt werden, sodass die zwei Brunnen, die wir dann haben dafür sorgen, dass das Grundwasser in einer bestimmten Tiefe gehalten wird, sodass es nicht mehr aufsteigen kann in diese quellfähige Schicht. Also das ist im Grunde ein Abwehrpumpbetrieb."

    Ein Abwehrpumpbetrieb mit offenem Ausgang. Hoffentlich ein weiteres Zeichen der Hoffnung und Zuversicht für die rund 8000 Einwohner in Staufen.