Klabund
Berliner Weihnacht 1918
Am Kurfürstendamm da hocken zusamm
Die Leute von heute mit großem Tamtam.
Brillanten mit Tanten, ein Frack mit was drin,
Ein Nerzpelz, ein Steinherz, ein Doppelkinn.
Perlen perlen, es perlt der Champagner.
Kokotten spotten: Wer will, der kann ja
Fünf Braune für mich auf das Tischtuch zählen ...
Na, Schieber, mein Lieber? - Nee, uns kanns nich fehlen,
Und wenn Millionen vor Hunger krepieren:
Wir wolln uns mal wieder amüsieren
Isolde Josipovici, Pensionswirtin am Kudamm:
"Ich war noch ein kleines Mädchen, in der Schule und da gab es damals die Insulaner und ich hab die gehört und mir sind die Tränen runter gelaufen, weil ich gedacht habe, mein Gott, es muss eine so herrliche Stadt sein, wenn man so viele Sehnsuchtslieder singt, ich habe noch einen Koffer in Berlin, ich habe Heimweh nach dem Kurfürstendamm und ich war ganz verliebt in Berlin und habe Sehnsucht gehabt nach Berlin."
Brigitte Grothum Schauspielerin unter anderem am Kudamm:
"Als ich nach Berlin kam, war für mich das Erste an den Kudamm zu gehen und zu gucken. Da war an der Ecke noch der dicke Heinrich und dann hat man sich da mal ne Wurst geleistet."
Regina Stürickow Berliner Historikerin:
"Der Kudamm ist mein Spielplatz gewesen für mich und meine Freundin, das war unser Abenteuerspielplatz. Ich habe da Rad fahren gelernt, ich bin da Rollschuh gelaufen, wir sind mit dem Puppenwagen bis zum Europa Center gezogen und sind da eisgelaufen. Der Kudamm war immer meine Welt gewesen."
Ruth Haber, Modejournalistin:
"Die Schwester meiner Mutter, die ist nach Amerika ausgewandert, die wurde dann Amerikanerin, aber sie kam jedes Jahr nach Deutschland und natürlich ging sie mit ihrer kleinen Nichte am Kudamm spazieren, ging Schokolade trinken bei Kranzler, das war meine Welt ... das war hier der Mittelpunkt."
Werner Klemke, Geschäftsmann am Kudamm:
"In der Vergangenheit war der Kudamm die Seele von Berlin.
Wenn man nach Berlin kam, egal wer es war, auch im Kindl eben, da hat sich die Prominenz getroffen ... die ganzen Schauspieler, ob es Hans Moser war, wenn er in Berlin gedreht hat, hatte er einen kleinen Ecktisch hier ... selbst Ronald Reagan als Schauspieler, Sophia Loren – alle waren im Kindl oder im Festsaal nach einer Premierenfeier im Kino ... der Kudamm war der Mittelpunkt von Westberlin."
Volkmar Arnulf, Maßschneider am Kudamm:
"Ich habe eigentlich immer an den Kurfürstendamm geglaubt. Ich fand einfach, das ist die Stelle, wo man seine Tätigkeit am besten zeigen kann und wo sie dann gesehen und auch gewürdigt wird. Also das war mit ein wesentlicher Grund, warum ich immer hier war."
Jürgen Schitthelm, Schaubühnendirektor:
"In dem Moment, wenn Deutschland Fußball spielt und das Spiel gewinnt, kommen alle auf den Kudamm."
Miroslav Haradcic, Oberkellner im Kempinski:
"Am Kudamm gibt es zwei Gebäude, eine ist Gedächtniskirche, die Touristen in Berlin gern besuchen, auch die Geschichte und 2. ist Kempinski, ich habe immer gesagt, in Gedächtniskirche geht man zu beten und im Kempinski kommt man die interessante Leute zu sehen, dass ist auch eine Kathedrale."
Der Kurfürstendamm in Berlin.
3,5 Kilometer lang.
53 Meter breit.
Gebaut vom Kurfürsten Joachim dem II. als Reitweg vom Berliner Stadtschloss zum Jagdschloss Grunewald.
Umgewandelt 1875 von Otto von Bismarck in eine Prachtstraße nach dem Vorbild der Champs-Elysées. Die eigentliche Geburtsstunde des Kudamms wird mit der ersten Dampfstraßenbahn von Zoo bis Halensee am 5. Mai 1886 datiert.
Dann ging alles sehr schnell: Der Kudamm wurde von einer großbürgerlichen Wohnstraße zu einem kulturellen- und Vergnügungszentrum. Am Kudamm wimmelte es von Theatermachern, Filmregisseuren und Schriftstellern. Die Treffpunkte der intellektuellen Boheme waren das Café des Westens und das Romanische Café, an dessen Stelle sich heute das Europa-Center befindet. Berlin konnte den Schriftstellern über die Schulter gucken, wie Joseph Roth, der in Mampes guter Stube, Kurfürstendamm Nr. 15 schrieb und Erich Kästner im Café Leon am Lehniner Platz. Am Kudamm, da saß Kultur und Geld. Bis zum Zweiten Weltkrieg war der Kudamm der Treffpunkt des feinen Berliner Westens. Im Zweiten Weltkrieg fast völlig ausgebombt, wurde der Kudamm nach 45 der Mittelpunkt der Modestadt Berlin.
"Es war eine fantastische Mode, die Frauen haben die Mode getragen, mit Hut und Handschuhen und Taschen passend zu den Schuhen. Es war elegant. Da war die Haute Couture noch hier."
Isolde Josipovici ist heute Pensionsbesitzerin am Kudamm und war Mannequin für Betty Barclay auf der Berliner Durchreise.
"Die ganzen Häuser waren zerbombt und da haben sie Holzbretter rumgemacht, dass die Leute nicht reinfallen, das war eine Atmosphäre, das war sagenhaft. Ich wollte sofort hier bleiben. Heute gibt es gar nichts mehr, heute gibt es auch keine Mode mehr, heute gibt's nicht mehr das, was es früher gegeben hat, mal elegante Leute, die man auf dem Kudamm sieht, sieht man einfach nicht mehr, die gehen alle im Schlabberlook, T-Shirt und Jeans das ist der Modetrend."
"Und ab 48 war die erste Berliner Durchreise, die erste Modemesse der Welt überhaupt, die entstanden war mit dem Erfinden der Konfektion und die spielte sich dann am Kudamm ab."
Ruth Haber ist heute 87 Jahre alt und arbeitet seit den vierziger Jahren als Modejournalistin in Berlin.
"Zur Berliner Durchreise war alles zu finden am Kudamm und in den kleinen Straßen und hier war wahnsinnig viel los ... die Fotografen hatten die schönsten Mannequins zur Verfügung, fotografierten auf der Straße oder in den Hotelräumen – man nahm als Berliner daran Anteil und es entwickelten sich Burda Moden und so weiter. Die waren alle durch und in Berlin was geworden und das war mit der Mauer zu Ende."
"Am Kurfürstendamm waren eigentlich die Spitzenbetriebe tätig, die ein bisschen tonangebend waren."
Volkmar Arnulf betreibt seit 50 Jahren eine eigene Maßschneiderei am Kurfürstendamm.
"Man kannte damals den Begriff 'Berliner Schick' und da war etwas dran. Das setzte sich zusammen aus hervorragender handwerklicher Tätigkeit und durch ein großes Stilempfinden der Betreffenden, die da tätig waren."
Ruth Haber:
"Es war ein Riesenbetrieb und Berlin war stark im Kommen. Und danach, erst viel später, kam auch die Prêt-à-porter in Paris erst raus, die haben viel von Berlin gelernt, sie sind auch hergekommen. Rauf und runter wehten die Fahnen und waren in den Häusern die Salons zu besuchen von den Kunden, kamen hierher und mieteten sich ihre Hotelräume, da war das Hotel Kempinski sehr berühmt, aber auch in den Seitenstraßen, Bleibtreu und so weiter, und das war für mich eine große Zeit. Ich war ja noch sehr jung und das war für mich ein Erlebnis. In den 50er-Jahren hatte Berlin bereits wieder über 400 produzierende Modeunternehmen."
Brigitte Grothum:
"Aber ich habe natürlich von Anfang an, 56 habe ich das erste mal am Kudamm und natürlich sehr viel mit Günther Pfitzmann gespielt. Das war schon einer meiner liebsten Partner auf jeden Fall."
"Seit 1956 bis 1993 haben wir eine exzellente Restaurant gehabt, das heißt Grill Bar und das war das beste Restaurant in Stadt."
Miroslav Haradcic war Oberkellner im Kempi Grill, dem angesagtesten Restaurant der Stadt.
"Die Damen waren immer sehr elegant angezogen, das war besondere gute Atmosphäre, sehr gediegen, sehr elegant. Die einzigen Leute, die ohne Krawatte sitzen durften, war Herbert von Karajan und Curd Jürgens. Curd Jürgens hat getragen eine Kosakenhemd und es war seine Modenhit und Herr von Karajan hat seine Rollkragen wegen seine Krankheit getragen."
"Ich hatte seit dem 8. März 1958 ein Luxusgeschäft auf dem Kudamm 49, exquisit mit Handtaschen und zwei Jahre später eins der berühmtesten Babybekleidungsgeschäfte. Ich habe den Sohn von Romy Schneider, den jüngsten Sohn von Willy Brandt usw. eingekleidet."
Werner Klemke besaß ein Luxusgeschäft auf dem Kudamm und betreibt seit 1982 eine Weinhandlung in einer Nebenstraße des Boulevards.
"Willy Brandt hat bei mir selbst die Handtaschen gekauft für seine Frau, sehr nett und sehr zurückhaltend. Herbert von Karajan war ein sehr guter Kunde, ich habe extra Gläser für ihn anfertigen lassen, wir nannten sie die Karajan Gläser."
"Das Phänomen Kudamm bedeutete auch immer ein quirliges Nachtleben."
Regina Stürickow ist am Kudamm aufgewachsen und arbeitet heute als Berlin-Historikerin in Berlin und Paris.
"Schon in den 20er-Jahren kann man in den Erinnerungen nachlesen, die viele Prominente geschrieben haben, dass nach 23:00 Uhr die Autos Stoßstange an Stoßstange standen"
Joachim Ringelnatz – Berlin, 1933:
Da fährt die Hochbahn in ein Haus hinein
Und auf der andern Seite wieder raus.
Und blind und düster stemmt sich Haus an Haus.
Einmal — nicht lange — müßtest du hier sein.
Wo das aufregend gefährlich flutet und wimmelt
Und tutet und bimmelt
Am Kurfürstendamm und am Zoo.
Das Leben in Pelzen und Leder.
Es drängt einen so oder so
Leicht unter die Räder.
"Er war voll mit Menschen. Er war die Menschen strömten und liefen hin und her und saßen in den großen Kaffeehäusern, die ja alle weg sind."
Brigitte Grothum, seit 1956 Schauspielerin an der Komödie und dem Theater am Kurfürstendamm
"Es gab das Bristol gegenüber von der Komödie, da saßen die Künstler. Das war so eine richtige Stätte, wo die Schauspieler alle nach der Vorstellung saßen, auch wenn sie nicht spielten und dann saßen sie und hielten Hof."
Regina Stürickow:
"Sie dürfen nicht vergessen der Kudamm ist schick gewesen, man hat sich sonntags schick gemacht und ist mit den Eltern über den Kudamm gebummelt, aber der Kudamm ist nicht elitär gewesen. Es ist immer so gewesen, dass das normale Volk und die Prominenz, die haben die gleichen Cafés und Restaurants besucht."
Isolde Josipovic:
"Der Kudamm war bevölkerter als bei Tage in der Nacht. Man ist ja kaum über die Straße gekommen, so viele Menschen waren da, ein Lokal war neben dem anderen, Café und Bar, nicht so wie heute."
Regina Stürickow:
"Der Kudamm ist immer die Bühne Westberlins gewesen, er hieß auch Schaufenster des Westens, ja klar, das war er. Er war die repräsentative Meile, Kennedy auf dem Kudamm, da kann sich wohl jeder ältere Berliner erinnern, die Queen, jeder Politiker wurde über den Kudamm gekarrt."
Brigitte Grothum:
"Oder direkt neben der Komödie da war das Café Kopenhagen auch so ein ganz berühmtes Café. Ein langer Schlauch, wo man schnell ein kleines Essen einnehmen konnte. Auch das Publikum, was ins Theater ging vorher und hinterher da saß. Die Filmbühne Wien existierte als Café, konnte man draußen sitzen, die großen Kinos waren da. Das Asta an der Ecke vom Kudamm. Ich weiß nicht, wie die vorne hießen. Es war voll mit Menschen. Es war ein Leben."
Doch dieses Leben nahm ein jähes Ende. Am 13. August 1961 errichtete die DDR eine 1378 km lange Mauer um ihren Staat, die die Stadt Berlin in zwei Teile brach. Berlin - eben noch Nabel der Welt - wurde zur Insel, und der Kudamm wurde zum Zentrum dieser Inselstadt Berlin, im positiven wie im Negativen. Bis zum Mauerbau hatten täglich Hunderttausende Berliner und Menschen aus dem Brandenburger Umland die Sektorengrenze passiert, um in der anderen Stadthälfte zu arbeiten, einzukaufen, ins Kino oder ins Theater zu gehen. Rund 53.000 Menschen aus Ost-Berlin und dem Brandenburger Umland arbeiteten in West-Berlin, ca 13.000 Westberliner im Ostteil der Stadt. Die Mauer trennte von einem Tag auf den anderen ganze Familien. Am 23. August 1961 wurden die letzten für West- Berliner offenen Grenzübergänge geschlossen. Der Bürgermeister Westberlins, Willi Brandt, protestierte energisch gegen die Einmauerung. Sein Protest jedoch blieb erfolglos. Die erste Reaktion der Anwohner auf den Mauerbau: Angst und Verwirrung.
Isolde Josipovici:
"Nach dem Mauerbau ist Goldgräberstimmung hier gewesen, die meisten hatten ihre Häuser für einen Appel und ein Ei verkauft, die wollten nicht von den Russen überrannt werden, 1961 war ne komische Zeit, wo wir gedacht haben jetzt übernehmen sie ganz Westberlin. 1961 waren die Leute froh, wenn sie was vermietet haben, denn die Leute sind ja alle weg, die haben die Häuser verkauft, weil sie dachten, die Russen kommen."
Volkmar Arnulf:
"Also einmal wollte man unbedingt hier sein, und dass die Sache weitergeht, hat daran gearbeitet. Zum anderen hatte man auch natürlich Bedenken, dass das hier nichts wird, dass das alles verloren geht, dass das hier kommunistisch wird. Da haben viele Menschen, die es sich leisten konnten, Berlin verlassen. Und das war eigentlich der größte Aderlass, den der Kurfürstendamm und natürlich Westberlin erlitten hatte. Dieser psychische Druck, der da ständig bestand und dann, denken sie an Chruschtschow, Ultimatum und all diese Sachen. Das war schon sehr bedrückend, die Atmosphäre."
Regina Stürickow:
"Sie müssen mal in alte Modezeitschriften schauen, oft war der Kudamm der Hintergrund für die Modefotografie. Das ging mit dem Mauerbau bergab, denn die Zwischenmeister sind zum großen Teil in Ostberlin gewesen, der Weg nach Ostberlin war versperrt, aber es gab auch viele, die bereit waren, etwas zu machen. Der Durchhaltewille, der heute teilweise belächelt wird. Das sehen sie auch an meinen Eltern, die haben 1961 im Oktober ein ziemlich großes Geschäft auf dem Kudamm eröffnet, das war wenige Monate nach dem Mauerbau."
Doch nicht nur der Zweite Weltkrieg und die Teilung setzten der Großstadt Berlin zu, in den sechziger Jahren ging eine zweite Zerstörungswelle über den Kudamm hinweg. Man sprach abschätzig von der Kurfürstendamm-Architektur, von protzig überladenen Gründerzeitfassaden in den unterschiedlichen Stilen. Die sollten weg. Berlin wollte es Amerika gleichtun, eine moderne Autofahrerstadt ohne Stuck werden. Zwei Jahrzehnte begannen, die dem Kudamm nicht gerade gutgetan haben.
Edoardo Sanguinetti, italienischer Dichter, Vertreter der Neoavanguardia
1972
nach dem langen marsch auf dem Kudamm [ ... ] landeten wir im
Kranzler, mitten in der nacht,
etwas wie hinterlassene kundschaft, um eine kellnerin
aufzustören (die vorschriftsmäßige
rosa schleife, die ungeheuerliche, wippte über dem
hintern), [ ... ]
und hier haben wir mit drachenblicken
das trostlose verhältnis
eines graumelierten lebemanns mit einem ansehnlichen
großen mädchen verhindert (das gewiß
etwas besseres verdiente):
heute, danach, bleibt [ ... ] eine
hartnäckige migräne zurück
"Ich bin in Berlin geboren, die Gegend Gedächtniskirche bis Uhlandstraße hinaus war, bis in den 60er-Jahren viel schöner als sie heute ist."
Jürgen Schitthelm ist seit 1966 Direktor der Berliner Schaubühne, die 1981 vom Halleschen Ufer an den Kudamm umgezogen ist.
"Aus dem einfachen Grund, da standen viel mehr der sehr großen tollen alten Mietshäuser, die nach dem Krieg beschädigt waren, die alle restauriert wurden und die dann weitgehend in den 70er-Jahren abgerissen wurden und dann nicht Wohnbauten, sondern Geschäftsbauten hinzustellen, die heute teilweise ganz große Probleme haben, überhaupt noch zu existieren."
Ruth Haber:
"In den 60er-Jahren wurde ja Putz abgehauen, um möglichst alles glatt und mit Scheiben und steril zu halten und dafür gab es sogar Geld, wenn man die Fassaden davon befreite. Es war ein Trauerspiel, genauso die Schande mit Zerstören des Schlosses."
Regina Stürickow:
"In den 60er und 70er-Jahren hat man wahllos abgerissen. Man wollte mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. Sogar wertvolle Bausubstanz ist damals der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Damals war der Kudamm alles andere als schön."
Volkmar Arnulf:
"Wenn hier in Berlin gesellschaftliche Dinge geschehen, Veränderungen und so weiter, dann werden sie das hier am Kurfürstendamm immer spüren. Denken sie an die - was wir nun etwas negativ empfunden haben - die Studentenunruhen, die damals in den 60ern waren, wo der Kurfürstendamm hier schwarz war und wo systematisch die Schaufensterscheiben hier eingeschlagen wurden."
Regina Stürickow: "In den 70er-Jahren erlebte der Kudamm seine dunkelsten Jahre, er kam herunter zur Peepshow und Pornomeile. Immer mehr Westdeutsche kamen nach Berlin, Pauschaltouristen und Tagestouristen, die über den Kudamm gekarrt wurden oder mal eine Nacht auf dem Kudamm feiern konnten und an dieses Publikum hat sich Gastronomie und Geschäfte angepasst. In den 70ern machten immer mehr Billiggeschäfte auf, Billig-Restaurants, einfach Biersalons und das hat dem Boulevard nicht gut getan. Die Mieten sind enorm angestiegen und nur die Konzerne, die konnten das nur noch tragen, und die normalen Geschäftsleute mussten weichen. Das hat dem Kudamm um ein Haar sein Ende beschert."
"In den Radaujahren in den 68er Jahren, da habe ich sogar mal fast eine Woche im Geschäft übernachtet, weil damals in Berlin die ganzen Schaufenster zertrümmert waren und es gab überhaupt keinen Glaser, der in kürzester Zeit reparieren konnte, und damit nicht noch in restlicher Zeit, dass nichts gestohlen wird, habe ich da übernachtet."
Jürgen Schitthelm:
"Es waren Westberliner Zeiten, die großen politischen Auseinandersetzungen spielten nicht nur hier, auch am Rathaus des Berliner Bürgermeisters in Schöneberg statt. Aber wenn es darum ging, Flagge zu zeigen, fand das in der Regel auf dem Kudamm statt. Und war im Westberlin das absolute Zentrum."
Isolde Josipovici:
"Ich wollte nicht zwischen die Leute kommen, die protestiert haben und Flaschen und Steine geschmissen haben und am nächsten Tag hat man gesehen was da passiert ist, das war nicht so schön. Es war ganz gut, was damals passiert ist, sonst würden wir heute anders leben. Die Hausbesetzer, die wurden verprügelt und rausgeschmissen und heute dankt man ihnen das sie die Häuser besetzt haben, das wären sonst alles Betonbunker gewesen, die haben zum Teil die Häuser saniert."
Miroslav Haradcic:
"In Mitte 80er kam Fassbinder mit seiner dreckigen und speckigen Lederjacke, Jeans, unrasiert, Künstler ist Künstler. Er bat mich um einen Platz und ich als Oberkellner habe ihm gesagt, Herr Fassbinder, ohne Krawatte darf ich sie nicht hereinlassen. Erste Tisch in der Nähe saß Prinz zu ... , der stand auf und sagte zu mir, sagen sie, seit wann dürfen die Hausbesetzer hier hereinkommen zu diese Lokal, Herr Fassbinder hat sich gedreht, ist in sein Zimmer gekommen, aber niemals mehr zu uns."
Bergauf ging es dann mit der 750-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1987, die auch dem Kudamm eine Rückbesinnung auf seine eigentliche Identität bescherte. Nach Mauerbau und Studentenkrawallen und Billigtourismus fand der Kudamm zu sich selbst zurück. Er war und blieb das Zentrum Westberlins, teuer, mondän, einzigartig. So schlängelte sich der Kudamm durch die siebziger und achtziger Jahre, um eine neue Identitätskrise zu erleben: den Fall der Berliner Mauer. Die Struktur der Stadt Berlin veränderte sich von Grund auf: Berlin Mitte wurde wieder Berlin Mitte und der Kudamm wurde vom Zentrum an den Rand Berlins und an den Rand des allgemeinen Interesses befördert.
Miroslav Haradcic:
"Es hat sich nach Mauerfall sehr viel verändert, Leute sind aus diese wunderschöne Boulevard in Mitte ausgewandert, Friedrichstraße, französische Straße, aber wir merken, dass das wieder zurückkehrt."
Volkmar Arnulf:
"Man wusste ja noch gar nicht, dass die Mauer fällt. Wo die aus Ostberlin das erste Mal rüber durften, das innerhalb von ganz kurzer Zeit hier, war der Kurfürstendamm schwarz vor Trabis. Wir wussten noch gar nicht, was geschehen ist. Aber es war dann so."
Werner Klemke:
"Alles strömte rüber, ich habe es in meinem neuen Geschäft erlebt, alle Büros, die Rechtsanwälte, alle eröffneten in Mitte große Praxen ... nach meinem Gefühl sind mindestens 50 Prozent wieder zurückgekommen und haben ihre Büros wiedereröffnet. Der Kudamm ist seit einigen Jahren wieder, dass was Berlin auszeichnet."
Mascha Kaléko, Österreicherin, Dichterin, neue Sachlichkeit
Julinacht an der Gedächtniskirche,1933
Die Dächer glühn, als lägen sie im Fieber.
Es schlägt der vielgerühmte Puls der Stadt.
Grell sticht Fassadenlicht. Und hoch darüber
Erscheint der Vollmond schlechtrasiert und matt.
Ein Kinoliebling lächelt auf Reklamen
Für Chlorodont und sieht hygienisch aus.
Ein paar sehr heftig retuschierte Damen
Blühn bunt am Hauptportal vom Lichtspielhaus.
Hell glitzern Fenster auf der Tauentziehn.
Man kann sich herrlich ziellos treiben lassen.
Da protzen Cafés mit dem bißchen Grün
Und geben sie nebst Efeu als Terrassen.
Und heute - 2011 - wie geht es dem Kudamm heute?
Ruth Haber:
"Und Gott sei Dank hat er sich wieder ein bisschen erholt von der Phase, wo hier so Peepshows und all diese dubiosen Geschäfte und auch Fast-Food-Ketten waren. Leider gibt es viel zu viele H&Ms, aber wir kriegen Neues hinzu. Aber wir haben alle internationalen Modemarken und vor allen Dingen Juweliermarken am Kudamm wieder präsent. Ich könnte mir vorstellen, dass das weitergeht, denn allgemein spricht man jetzt von, dass der alte Westen kommt wieder."
Volkmar Arnulf:
"Und viele merken nun, ja der Kurfürstendamm ist im Grund genommen immer noch angesagt oder wieder angesagt, also muss man da hin."
Jürgen Schitthelm:
"Die Stadt ist sehr groß, dreieinhalb Millionen Menschen leben verteilt über die Stadt, und wenn wir im Jahr über 20 Millionen Touristen haben, die müssen irgendwo bleiben. Ich merke das, wenn ich morgens zur Arbeit gehe. Ich sehe, wie die Menschen hier mit Karte in der Hand nach dem Weg fragen. Ich sehe eine positive Entwicklung."
Brigitte Grothum:
"Ich wünsche, dass er sich ganz normal entwickelt wie jede Straße, dass wieder ein paar Cafés hinkommen, das es ein schönes Theater geben wird oder bleiben wird und das er lebendig bleibt durch Menschen die nicht Ost und West vergleichen, sondern sagen, wir sind beides, wo alles Leute hinkommen, wo Ausländer herkommen, dass wir für jeden aufnahmebereit sind und allen zeigen, wie schön Berlin ist und wie schön sein Aushängeschild: der Kudamm."
Berliner Weihnacht 1918
Am Kurfürstendamm da hocken zusamm
Die Leute von heute mit großem Tamtam.
Brillanten mit Tanten, ein Frack mit was drin,
Ein Nerzpelz, ein Steinherz, ein Doppelkinn.
Perlen perlen, es perlt der Champagner.
Kokotten spotten: Wer will, der kann ja
Fünf Braune für mich auf das Tischtuch zählen ...
Na, Schieber, mein Lieber? - Nee, uns kanns nich fehlen,
Und wenn Millionen vor Hunger krepieren:
Wir wolln uns mal wieder amüsieren
Isolde Josipovici, Pensionswirtin am Kudamm:
"Ich war noch ein kleines Mädchen, in der Schule und da gab es damals die Insulaner und ich hab die gehört und mir sind die Tränen runter gelaufen, weil ich gedacht habe, mein Gott, es muss eine so herrliche Stadt sein, wenn man so viele Sehnsuchtslieder singt, ich habe noch einen Koffer in Berlin, ich habe Heimweh nach dem Kurfürstendamm und ich war ganz verliebt in Berlin und habe Sehnsucht gehabt nach Berlin."
Brigitte Grothum Schauspielerin unter anderem am Kudamm:
"Als ich nach Berlin kam, war für mich das Erste an den Kudamm zu gehen und zu gucken. Da war an der Ecke noch der dicke Heinrich und dann hat man sich da mal ne Wurst geleistet."
Regina Stürickow Berliner Historikerin:
"Der Kudamm ist mein Spielplatz gewesen für mich und meine Freundin, das war unser Abenteuerspielplatz. Ich habe da Rad fahren gelernt, ich bin da Rollschuh gelaufen, wir sind mit dem Puppenwagen bis zum Europa Center gezogen und sind da eisgelaufen. Der Kudamm war immer meine Welt gewesen."
Ruth Haber, Modejournalistin:
"Die Schwester meiner Mutter, die ist nach Amerika ausgewandert, die wurde dann Amerikanerin, aber sie kam jedes Jahr nach Deutschland und natürlich ging sie mit ihrer kleinen Nichte am Kudamm spazieren, ging Schokolade trinken bei Kranzler, das war meine Welt ... das war hier der Mittelpunkt."
Werner Klemke, Geschäftsmann am Kudamm:
"In der Vergangenheit war der Kudamm die Seele von Berlin.
Wenn man nach Berlin kam, egal wer es war, auch im Kindl eben, da hat sich die Prominenz getroffen ... die ganzen Schauspieler, ob es Hans Moser war, wenn er in Berlin gedreht hat, hatte er einen kleinen Ecktisch hier ... selbst Ronald Reagan als Schauspieler, Sophia Loren – alle waren im Kindl oder im Festsaal nach einer Premierenfeier im Kino ... der Kudamm war der Mittelpunkt von Westberlin."
Volkmar Arnulf, Maßschneider am Kudamm:
"Ich habe eigentlich immer an den Kurfürstendamm geglaubt. Ich fand einfach, das ist die Stelle, wo man seine Tätigkeit am besten zeigen kann und wo sie dann gesehen und auch gewürdigt wird. Also das war mit ein wesentlicher Grund, warum ich immer hier war."
Jürgen Schitthelm, Schaubühnendirektor:
"In dem Moment, wenn Deutschland Fußball spielt und das Spiel gewinnt, kommen alle auf den Kudamm."
Miroslav Haradcic, Oberkellner im Kempinski:
"Am Kudamm gibt es zwei Gebäude, eine ist Gedächtniskirche, die Touristen in Berlin gern besuchen, auch die Geschichte und 2. ist Kempinski, ich habe immer gesagt, in Gedächtniskirche geht man zu beten und im Kempinski kommt man die interessante Leute zu sehen, dass ist auch eine Kathedrale."
Der Kurfürstendamm in Berlin.
3,5 Kilometer lang.
53 Meter breit.
Gebaut vom Kurfürsten Joachim dem II. als Reitweg vom Berliner Stadtschloss zum Jagdschloss Grunewald.
Umgewandelt 1875 von Otto von Bismarck in eine Prachtstraße nach dem Vorbild der Champs-Elysées. Die eigentliche Geburtsstunde des Kudamms wird mit der ersten Dampfstraßenbahn von Zoo bis Halensee am 5. Mai 1886 datiert.
Dann ging alles sehr schnell: Der Kudamm wurde von einer großbürgerlichen Wohnstraße zu einem kulturellen- und Vergnügungszentrum. Am Kudamm wimmelte es von Theatermachern, Filmregisseuren und Schriftstellern. Die Treffpunkte der intellektuellen Boheme waren das Café des Westens und das Romanische Café, an dessen Stelle sich heute das Europa-Center befindet. Berlin konnte den Schriftstellern über die Schulter gucken, wie Joseph Roth, der in Mampes guter Stube, Kurfürstendamm Nr. 15 schrieb und Erich Kästner im Café Leon am Lehniner Platz. Am Kudamm, da saß Kultur und Geld. Bis zum Zweiten Weltkrieg war der Kudamm der Treffpunkt des feinen Berliner Westens. Im Zweiten Weltkrieg fast völlig ausgebombt, wurde der Kudamm nach 45 der Mittelpunkt der Modestadt Berlin.
"Es war eine fantastische Mode, die Frauen haben die Mode getragen, mit Hut und Handschuhen und Taschen passend zu den Schuhen. Es war elegant. Da war die Haute Couture noch hier."
Isolde Josipovici ist heute Pensionsbesitzerin am Kudamm und war Mannequin für Betty Barclay auf der Berliner Durchreise.
"Die ganzen Häuser waren zerbombt und da haben sie Holzbretter rumgemacht, dass die Leute nicht reinfallen, das war eine Atmosphäre, das war sagenhaft. Ich wollte sofort hier bleiben. Heute gibt es gar nichts mehr, heute gibt es auch keine Mode mehr, heute gibt's nicht mehr das, was es früher gegeben hat, mal elegante Leute, die man auf dem Kudamm sieht, sieht man einfach nicht mehr, die gehen alle im Schlabberlook, T-Shirt und Jeans das ist der Modetrend."
"Und ab 48 war die erste Berliner Durchreise, die erste Modemesse der Welt überhaupt, die entstanden war mit dem Erfinden der Konfektion und die spielte sich dann am Kudamm ab."
Ruth Haber ist heute 87 Jahre alt und arbeitet seit den vierziger Jahren als Modejournalistin in Berlin.
"Zur Berliner Durchreise war alles zu finden am Kudamm und in den kleinen Straßen und hier war wahnsinnig viel los ... die Fotografen hatten die schönsten Mannequins zur Verfügung, fotografierten auf der Straße oder in den Hotelräumen – man nahm als Berliner daran Anteil und es entwickelten sich Burda Moden und so weiter. Die waren alle durch und in Berlin was geworden und das war mit der Mauer zu Ende."
"Am Kurfürstendamm waren eigentlich die Spitzenbetriebe tätig, die ein bisschen tonangebend waren."
Volkmar Arnulf betreibt seit 50 Jahren eine eigene Maßschneiderei am Kurfürstendamm.
"Man kannte damals den Begriff 'Berliner Schick' und da war etwas dran. Das setzte sich zusammen aus hervorragender handwerklicher Tätigkeit und durch ein großes Stilempfinden der Betreffenden, die da tätig waren."
Ruth Haber:
"Es war ein Riesenbetrieb und Berlin war stark im Kommen. Und danach, erst viel später, kam auch die Prêt-à-porter in Paris erst raus, die haben viel von Berlin gelernt, sie sind auch hergekommen. Rauf und runter wehten die Fahnen und waren in den Häusern die Salons zu besuchen von den Kunden, kamen hierher und mieteten sich ihre Hotelräume, da war das Hotel Kempinski sehr berühmt, aber auch in den Seitenstraßen, Bleibtreu und so weiter, und das war für mich eine große Zeit. Ich war ja noch sehr jung und das war für mich ein Erlebnis. In den 50er-Jahren hatte Berlin bereits wieder über 400 produzierende Modeunternehmen."
Brigitte Grothum:
"Aber ich habe natürlich von Anfang an, 56 habe ich das erste mal am Kudamm und natürlich sehr viel mit Günther Pfitzmann gespielt. Das war schon einer meiner liebsten Partner auf jeden Fall."
"Seit 1956 bis 1993 haben wir eine exzellente Restaurant gehabt, das heißt Grill Bar und das war das beste Restaurant in Stadt."
Miroslav Haradcic war Oberkellner im Kempi Grill, dem angesagtesten Restaurant der Stadt.
"Die Damen waren immer sehr elegant angezogen, das war besondere gute Atmosphäre, sehr gediegen, sehr elegant. Die einzigen Leute, die ohne Krawatte sitzen durften, war Herbert von Karajan und Curd Jürgens. Curd Jürgens hat getragen eine Kosakenhemd und es war seine Modenhit und Herr von Karajan hat seine Rollkragen wegen seine Krankheit getragen."
"Ich hatte seit dem 8. März 1958 ein Luxusgeschäft auf dem Kudamm 49, exquisit mit Handtaschen und zwei Jahre später eins der berühmtesten Babybekleidungsgeschäfte. Ich habe den Sohn von Romy Schneider, den jüngsten Sohn von Willy Brandt usw. eingekleidet."
Werner Klemke besaß ein Luxusgeschäft auf dem Kudamm und betreibt seit 1982 eine Weinhandlung in einer Nebenstraße des Boulevards.
"Willy Brandt hat bei mir selbst die Handtaschen gekauft für seine Frau, sehr nett und sehr zurückhaltend. Herbert von Karajan war ein sehr guter Kunde, ich habe extra Gläser für ihn anfertigen lassen, wir nannten sie die Karajan Gläser."
"Das Phänomen Kudamm bedeutete auch immer ein quirliges Nachtleben."
Regina Stürickow ist am Kudamm aufgewachsen und arbeitet heute als Berlin-Historikerin in Berlin und Paris.
"Schon in den 20er-Jahren kann man in den Erinnerungen nachlesen, die viele Prominente geschrieben haben, dass nach 23:00 Uhr die Autos Stoßstange an Stoßstange standen"
Joachim Ringelnatz – Berlin, 1933:
Da fährt die Hochbahn in ein Haus hinein
Und auf der andern Seite wieder raus.
Und blind und düster stemmt sich Haus an Haus.
Einmal — nicht lange — müßtest du hier sein.
Wo das aufregend gefährlich flutet und wimmelt
Und tutet und bimmelt
Am Kurfürstendamm und am Zoo.
Das Leben in Pelzen und Leder.
Es drängt einen so oder so
Leicht unter die Räder.
"Er war voll mit Menschen. Er war die Menschen strömten und liefen hin und her und saßen in den großen Kaffeehäusern, die ja alle weg sind."
Brigitte Grothum, seit 1956 Schauspielerin an der Komödie und dem Theater am Kurfürstendamm
"Es gab das Bristol gegenüber von der Komödie, da saßen die Künstler. Das war so eine richtige Stätte, wo die Schauspieler alle nach der Vorstellung saßen, auch wenn sie nicht spielten und dann saßen sie und hielten Hof."
Regina Stürickow:
"Sie dürfen nicht vergessen der Kudamm ist schick gewesen, man hat sich sonntags schick gemacht und ist mit den Eltern über den Kudamm gebummelt, aber der Kudamm ist nicht elitär gewesen. Es ist immer so gewesen, dass das normale Volk und die Prominenz, die haben die gleichen Cafés und Restaurants besucht."
Isolde Josipovic:
"Der Kudamm war bevölkerter als bei Tage in der Nacht. Man ist ja kaum über die Straße gekommen, so viele Menschen waren da, ein Lokal war neben dem anderen, Café und Bar, nicht so wie heute."
Regina Stürickow:
"Der Kudamm ist immer die Bühne Westberlins gewesen, er hieß auch Schaufenster des Westens, ja klar, das war er. Er war die repräsentative Meile, Kennedy auf dem Kudamm, da kann sich wohl jeder ältere Berliner erinnern, die Queen, jeder Politiker wurde über den Kudamm gekarrt."
Brigitte Grothum:
"Oder direkt neben der Komödie da war das Café Kopenhagen auch so ein ganz berühmtes Café. Ein langer Schlauch, wo man schnell ein kleines Essen einnehmen konnte. Auch das Publikum, was ins Theater ging vorher und hinterher da saß. Die Filmbühne Wien existierte als Café, konnte man draußen sitzen, die großen Kinos waren da. Das Asta an der Ecke vom Kudamm. Ich weiß nicht, wie die vorne hießen. Es war voll mit Menschen. Es war ein Leben."
Doch dieses Leben nahm ein jähes Ende. Am 13. August 1961 errichtete die DDR eine 1378 km lange Mauer um ihren Staat, die die Stadt Berlin in zwei Teile brach. Berlin - eben noch Nabel der Welt - wurde zur Insel, und der Kudamm wurde zum Zentrum dieser Inselstadt Berlin, im positiven wie im Negativen. Bis zum Mauerbau hatten täglich Hunderttausende Berliner und Menschen aus dem Brandenburger Umland die Sektorengrenze passiert, um in der anderen Stadthälfte zu arbeiten, einzukaufen, ins Kino oder ins Theater zu gehen. Rund 53.000 Menschen aus Ost-Berlin und dem Brandenburger Umland arbeiteten in West-Berlin, ca 13.000 Westberliner im Ostteil der Stadt. Die Mauer trennte von einem Tag auf den anderen ganze Familien. Am 23. August 1961 wurden die letzten für West- Berliner offenen Grenzübergänge geschlossen. Der Bürgermeister Westberlins, Willi Brandt, protestierte energisch gegen die Einmauerung. Sein Protest jedoch blieb erfolglos. Die erste Reaktion der Anwohner auf den Mauerbau: Angst und Verwirrung.
Isolde Josipovici:
"Nach dem Mauerbau ist Goldgräberstimmung hier gewesen, die meisten hatten ihre Häuser für einen Appel und ein Ei verkauft, die wollten nicht von den Russen überrannt werden, 1961 war ne komische Zeit, wo wir gedacht haben jetzt übernehmen sie ganz Westberlin. 1961 waren die Leute froh, wenn sie was vermietet haben, denn die Leute sind ja alle weg, die haben die Häuser verkauft, weil sie dachten, die Russen kommen."
Volkmar Arnulf:
"Also einmal wollte man unbedingt hier sein, und dass die Sache weitergeht, hat daran gearbeitet. Zum anderen hatte man auch natürlich Bedenken, dass das hier nichts wird, dass das alles verloren geht, dass das hier kommunistisch wird. Da haben viele Menschen, die es sich leisten konnten, Berlin verlassen. Und das war eigentlich der größte Aderlass, den der Kurfürstendamm und natürlich Westberlin erlitten hatte. Dieser psychische Druck, der da ständig bestand und dann, denken sie an Chruschtschow, Ultimatum und all diese Sachen. Das war schon sehr bedrückend, die Atmosphäre."
Regina Stürickow:
"Sie müssen mal in alte Modezeitschriften schauen, oft war der Kudamm der Hintergrund für die Modefotografie. Das ging mit dem Mauerbau bergab, denn die Zwischenmeister sind zum großen Teil in Ostberlin gewesen, der Weg nach Ostberlin war versperrt, aber es gab auch viele, die bereit waren, etwas zu machen. Der Durchhaltewille, der heute teilweise belächelt wird. Das sehen sie auch an meinen Eltern, die haben 1961 im Oktober ein ziemlich großes Geschäft auf dem Kudamm eröffnet, das war wenige Monate nach dem Mauerbau."
Doch nicht nur der Zweite Weltkrieg und die Teilung setzten der Großstadt Berlin zu, in den sechziger Jahren ging eine zweite Zerstörungswelle über den Kudamm hinweg. Man sprach abschätzig von der Kurfürstendamm-Architektur, von protzig überladenen Gründerzeitfassaden in den unterschiedlichen Stilen. Die sollten weg. Berlin wollte es Amerika gleichtun, eine moderne Autofahrerstadt ohne Stuck werden. Zwei Jahrzehnte begannen, die dem Kudamm nicht gerade gutgetan haben.
Edoardo Sanguinetti, italienischer Dichter, Vertreter der Neoavanguardia
1972
nach dem langen marsch auf dem Kudamm [ ... ] landeten wir im
Kranzler, mitten in der nacht,
etwas wie hinterlassene kundschaft, um eine kellnerin
aufzustören (die vorschriftsmäßige
rosa schleife, die ungeheuerliche, wippte über dem
hintern), [ ... ]
und hier haben wir mit drachenblicken
das trostlose verhältnis
eines graumelierten lebemanns mit einem ansehnlichen
großen mädchen verhindert (das gewiß
etwas besseres verdiente):
heute, danach, bleibt [ ... ] eine
hartnäckige migräne zurück
"Ich bin in Berlin geboren, die Gegend Gedächtniskirche bis Uhlandstraße hinaus war, bis in den 60er-Jahren viel schöner als sie heute ist."
Jürgen Schitthelm ist seit 1966 Direktor der Berliner Schaubühne, die 1981 vom Halleschen Ufer an den Kudamm umgezogen ist.
"Aus dem einfachen Grund, da standen viel mehr der sehr großen tollen alten Mietshäuser, die nach dem Krieg beschädigt waren, die alle restauriert wurden und die dann weitgehend in den 70er-Jahren abgerissen wurden und dann nicht Wohnbauten, sondern Geschäftsbauten hinzustellen, die heute teilweise ganz große Probleme haben, überhaupt noch zu existieren."
Ruth Haber:
"In den 60er-Jahren wurde ja Putz abgehauen, um möglichst alles glatt und mit Scheiben und steril zu halten und dafür gab es sogar Geld, wenn man die Fassaden davon befreite. Es war ein Trauerspiel, genauso die Schande mit Zerstören des Schlosses."
Regina Stürickow:
"In den 60er und 70er-Jahren hat man wahllos abgerissen. Man wollte mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. Sogar wertvolle Bausubstanz ist damals der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Damals war der Kudamm alles andere als schön."
Volkmar Arnulf:
"Wenn hier in Berlin gesellschaftliche Dinge geschehen, Veränderungen und so weiter, dann werden sie das hier am Kurfürstendamm immer spüren. Denken sie an die - was wir nun etwas negativ empfunden haben - die Studentenunruhen, die damals in den 60ern waren, wo der Kurfürstendamm hier schwarz war und wo systematisch die Schaufensterscheiben hier eingeschlagen wurden."
Regina Stürickow: "In den 70er-Jahren erlebte der Kudamm seine dunkelsten Jahre, er kam herunter zur Peepshow und Pornomeile. Immer mehr Westdeutsche kamen nach Berlin, Pauschaltouristen und Tagestouristen, die über den Kudamm gekarrt wurden oder mal eine Nacht auf dem Kudamm feiern konnten und an dieses Publikum hat sich Gastronomie und Geschäfte angepasst. In den 70ern machten immer mehr Billiggeschäfte auf, Billig-Restaurants, einfach Biersalons und das hat dem Boulevard nicht gut getan. Die Mieten sind enorm angestiegen und nur die Konzerne, die konnten das nur noch tragen, und die normalen Geschäftsleute mussten weichen. Das hat dem Kudamm um ein Haar sein Ende beschert."
"In den Radaujahren in den 68er Jahren, da habe ich sogar mal fast eine Woche im Geschäft übernachtet, weil damals in Berlin die ganzen Schaufenster zertrümmert waren und es gab überhaupt keinen Glaser, der in kürzester Zeit reparieren konnte, und damit nicht noch in restlicher Zeit, dass nichts gestohlen wird, habe ich da übernachtet."
Jürgen Schitthelm:
"Es waren Westberliner Zeiten, die großen politischen Auseinandersetzungen spielten nicht nur hier, auch am Rathaus des Berliner Bürgermeisters in Schöneberg statt. Aber wenn es darum ging, Flagge zu zeigen, fand das in der Regel auf dem Kudamm statt. Und war im Westberlin das absolute Zentrum."
Isolde Josipovici:
"Ich wollte nicht zwischen die Leute kommen, die protestiert haben und Flaschen und Steine geschmissen haben und am nächsten Tag hat man gesehen was da passiert ist, das war nicht so schön. Es war ganz gut, was damals passiert ist, sonst würden wir heute anders leben. Die Hausbesetzer, die wurden verprügelt und rausgeschmissen und heute dankt man ihnen das sie die Häuser besetzt haben, das wären sonst alles Betonbunker gewesen, die haben zum Teil die Häuser saniert."
Miroslav Haradcic:
"In Mitte 80er kam Fassbinder mit seiner dreckigen und speckigen Lederjacke, Jeans, unrasiert, Künstler ist Künstler. Er bat mich um einen Platz und ich als Oberkellner habe ihm gesagt, Herr Fassbinder, ohne Krawatte darf ich sie nicht hereinlassen. Erste Tisch in der Nähe saß Prinz zu ... , der stand auf und sagte zu mir, sagen sie, seit wann dürfen die Hausbesetzer hier hereinkommen zu diese Lokal, Herr Fassbinder hat sich gedreht, ist in sein Zimmer gekommen, aber niemals mehr zu uns."
Bergauf ging es dann mit der 750-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1987, die auch dem Kudamm eine Rückbesinnung auf seine eigentliche Identität bescherte. Nach Mauerbau und Studentenkrawallen und Billigtourismus fand der Kudamm zu sich selbst zurück. Er war und blieb das Zentrum Westberlins, teuer, mondän, einzigartig. So schlängelte sich der Kudamm durch die siebziger und achtziger Jahre, um eine neue Identitätskrise zu erleben: den Fall der Berliner Mauer. Die Struktur der Stadt Berlin veränderte sich von Grund auf: Berlin Mitte wurde wieder Berlin Mitte und der Kudamm wurde vom Zentrum an den Rand Berlins und an den Rand des allgemeinen Interesses befördert.
Miroslav Haradcic:
"Es hat sich nach Mauerfall sehr viel verändert, Leute sind aus diese wunderschöne Boulevard in Mitte ausgewandert, Friedrichstraße, französische Straße, aber wir merken, dass das wieder zurückkehrt."
Volkmar Arnulf:
"Man wusste ja noch gar nicht, dass die Mauer fällt. Wo die aus Ostberlin das erste Mal rüber durften, das innerhalb von ganz kurzer Zeit hier, war der Kurfürstendamm schwarz vor Trabis. Wir wussten noch gar nicht, was geschehen ist. Aber es war dann so."
Werner Klemke:
"Alles strömte rüber, ich habe es in meinem neuen Geschäft erlebt, alle Büros, die Rechtsanwälte, alle eröffneten in Mitte große Praxen ... nach meinem Gefühl sind mindestens 50 Prozent wieder zurückgekommen und haben ihre Büros wiedereröffnet. Der Kudamm ist seit einigen Jahren wieder, dass was Berlin auszeichnet."
Mascha Kaléko, Österreicherin, Dichterin, neue Sachlichkeit
Julinacht an der Gedächtniskirche,1933
Die Dächer glühn, als lägen sie im Fieber.
Es schlägt der vielgerühmte Puls der Stadt.
Grell sticht Fassadenlicht. Und hoch darüber
Erscheint der Vollmond schlechtrasiert und matt.
Ein Kinoliebling lächelt auf Reklamen
Für Chlorodont und sieht hygienisch aus.
Ein paar sehr heftig retuschierte Damen
Blühn bunt am Hauptportal vom Lichtspielhaus.
Hell glitzern Fenster auf der Tauentziehn.
Man kann sich herrlich ziellos treiben lassen.
Da protzen Cafés mit dem bißchen Grün
Und geben sie nebst Efeu als Terrassen.
Und heute - 2011 - wie geht es dem Kudamm heute?
Ruth Haber:
"Und Gott sei Dank hat er sich wieder ein bisschen erholt von der Phase, wo hier so Peepshows und all diese dubiosen Geschäfte und auch Fast-Food-Ketten waren. Leider gibt es viel zu viele H&Ms, aber wir kriegen Neues hinzu. Aber wir haben alle internationalen Modemarken und vor allen Dingen Juweliermarken am Kudamm wieder präsent. Ich könnte mir vorstellen, dass das weitergeht, denn allgemein spricht man jetzt von, dass der alte Westen kommt wieder."
Volkmar Arnulf:
"Und viele merken nun, ja der Kurfürstendamm ist im Grund genommen immer noch angesagt oder wieder angesagt, also muss man da hin."
Jürgen Schitthelm:
"Die Stadt ist sehr groß, dreieinhalb Millionen Menschen leben verteilt über die Stadt, und wenn wir im Jahr über 20 Millionen Touristen haben, die müssen irgendwo bleiben. Ich merke das, wenn ich morgens zur Arbeit gehe. Ich sehe, wie die Menschen hier mit Karte in der Hand nach dem Weg fragen. Ich sehe eine positive Entwicklung."
Brigitte Grothum:
"Ich wünsche, dass er sich ganz normal entwickelt wie jede Straße, dass wieder ein paar Cafés hinkommen, das es ein schönes Theater geben wird oder bleiben wird und das er lebendig bleibt durch Menschen die nicht Ost und West vergleichen, sondern sagen, wir sind beides, wo alles Leute hinkommen, wo Ausländer herkommen, dass wir für jeden aufnahmebereit sind und allen zeigen, wie schön Berlin ist und wie schön sein Aushängeschild: der Kudamm."