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Eine Symbolfigur des Widerstands

Michael Köhler: Guillermo Cabrera Infante wurde 1929 in einer kleinen kubanischen Stadt geboren, kam als jugendlicher Knabe nach Havanna und schon sein Vater beteiligte sich am Widerstand gegen den Diktator und wurde Kommunist. Zwei Jahrzehnte später wurde aus dem Sohn ein Journalist, allerdings mit Schreibverbot. Bevor aus Guillermo Cabrera Infante einer der bedeutendsten spanischsprachigen Autoren der Gegenwart wurde, hatte er schon eine Karriere hinter sich. Letzte Nacht ist der Autor in seinem Exil in London an den Folgen einer Blutvergiftung 75-jährig gestorben. Und mein Kollege Peter B. Schumann kennt sich mit Person und Werk aus. Herr Schumann, meine erste Frage, war Cabrera Infante in den ersten beiden Lebensjahrzehnten mehr Widerstandskämpfer als Literat, kann man das so sagen?

Peter B. Schumann im Gespräch |
    Peter B. Schumann: Er war sicher ein Widerstandskämpfer, dieser Guillermo Cabrera Infante, aber gegen die Batista-Diktatur zunächst und hat sich dann als ein freischwebender Intellektueller, als ein engagierter Schöngeist gefunden, der auf seinem eigenen Weg in der revolutionären Euphorie beharrte. Das ist aber bei den kommunistisch orientierten Hauptakteuren nicht so gut angekommen und deswegen hat er sich dann einer Gruppe angeschlossen, die jede Form von Diktatur ablehnte. Er hat selbst dazu gesagt: "Yo detestaba la idea del estalinismo cultural... Ich habe die Vorstellung von einem kulturellen Stalinismus gehasst. Es ereignete sich damals eine allgemeine Explosion gegen Batista in gewissen Kreisen, die sich einfach politisch verstanden, die aber weder revolutionär eingestellt waren, noch Kuba in ein kommunistisches Land verwandeln wollten. Dann traten Ereignisse ein, die mich veranlassten zu emigrieren." Und diese Ereignisse waren zum Beispiel ein Verbot des kurzen Dokumentarfilms PM, das seine eigene Gruppe "Lunes Revolución" produziert hat über das Havanna Nachtleben, das für ihn auch literarisch eine große Rolle gespielt hat. Es kam zu einer zunehmenden Ausgrenzung von einer ganzen Reihe von Intellektuellen durch das Castro-Regime hinzu. Und deswegen hat er sich dann für einen Kreuzzug gegen den Castrismus entschieden, der ihn aber auch gleichzeitig wieder blind gemacht hat, so dass er zum Beispiel die Kultur auf der kubanischen Insel völlig ignorierte und sogar behauptete, alle wichtigen kubanischen Schriftsteller seien längst tot. Er ist ja dann ins Exil gegangen. Nachdem er im Franco-Spanien kein Visum bekam, hat England ihn aufgenommen und er hat sich von da an als Engländer betrachtet und nicht etwa als Kubaner. Er hat in London gelebt und von dort aus eben auch seinen Kreuzzug gegen den Castrismus geführt.

    Köhler: Herr Schumann, er war Chefredakteur der Zeitung "Lunes de Revolución", die Sie eben erwähnt haben. Wodurch ist er zu dieser, für ihn doch lebensgefährlichen Haltung gekommen? Denn Havanna in den Sechzigern das war dann Grundlage für seinen Roman, der auch bei uns bekannt wurde, "Tres tristes tigres". Was ist das, ein Roman über das Leben als Filmkritiker, eine Gesellschaftsstudie aus dem verruchten Kuba?

    Schumann: Seine beiden großen Romane "Tres tristes tigres" und auch "Havanna für einen verstorbenen Königssohn", den er zehn Jahre später, der eine ist von 1967, der andere von 1979, herausgebracht hat, handeln alle von der letzten Zeit kurz vor dem Sturz der Batista-Diktatur. Und sie sind eigentlich biographisch gesättigte Streifzüge durch die karibische Metropole, die mit urkomischen Anekdoten und Initiationsriten versehen sind, und nicht zuletzt auch ein Spiel mit den literarischen Genres der trivialen Natur. Das heißt, es ist einerseits die Lust am Schreiben, die Lust an der Sprache, die ihn berühmt gemacht hat und die auch diese beiden Romane auszeichnet. Es ist aber andererseits auch die Atmosphäre, die natürlich des Nachtslebens, das eine große Rolle gespielt hat früher und wo natürlich auch kulturell sehr viel passiert ist. Aber es passte so überhaupt nicht in die neu verordnete Sittlichkeit der Revolution hinein, deswegen hat auch der Kurzfilm Probleme gehabt, deswegen hat er auch mit seinem Roman zunächst Probleme gehabt. Der ist dann in Spanien herausgekommen aber auch nicht ohne Probleme, mit der franquistischen Zensur zum Beispiel. Das heißt, es war eigentlich schon sein Leben, dass sich immer wieder um Havanna gekümmert hat, immer wieder um diese Stadt und ihre Atmosphäre, aber der vorrevolutionären Zeit, dreht.

    Köhler: Ich möchte von Ihnen so in der Schlusskurve eins noch bitte wissen. Wenn Sie versuchen, aus einem gewissen Abstand das Werk nun einzuordnen, wir haben von Ihnen gehört, seine Wendung gegen den Castrismus, die Wendung gegen den kulturellen Stalinismus, seine Beschäftigung als Filmkritiker, wie weit geht dieses Engagement des Autors im literarischen Sinne? Er hat als Filmkritiker begonnen. Ist er ein typischer Modernist gewesen? Ich sage mal, so wie Döbling oder Joyce, der im Montagestil Erzählungen übereinandergelegt hat. Oder ist er am Ende dann doch "nur" ein Chronist mittelamerikanischer Machtverhältnisse?

    Schumann: Nein, er ist überhaupt kein Chronist und er hat sich überhaupt nicht als ein solcher empfunden. Ich glaube, es gibt zwei Themen, dieses Havanna und zum anderen die Sprache, die Literatur, mit der er sich auseinander gesetzt hat, deren Genres er aufgebrochen hat. Und er hat sehr viel Alltagssprache auch in sein Werk einfließen lassen. Das hat die Übersetzer oft zur Verzweiflung getrieben, dass es keine entsprechenden Vokabeln im deutschen oder in anderen Sprachen gegeben hat. Er war wirklich ein begnadeter Sprachspieler, der literarische Traditionen aufmischte, sich ihrer auch bewusst und oft ironisch bediente und überhaupt keiner Mode gefrönt hat und auch jedwedem Boom ganz fern gewesen ist. Trotzdem hat er natürlich auch an dem Boom der literarischen Literatur in den 60er Jahren partizipiert.

    Köhler: Herzlichen Dank. Peter B. Schumann würdigte das Werk und die Person von Guillermo Cabrera Infante, der im Alter von 75 Jahren gestorben ist.