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Eine Verbindung von Hexe und Clown

Allein der Name ist ein Rätsel: Um den polnischen Stummfilmstar Pola Negri ranken sich viele Mythen und Anekdoten. Autorin Daniela Dröscher hat diesen Fundus mit "Pola" genutzt und um das historische Skelett ihre eigenen Geschichte entwickelt.

Von Lerke von Saalfeld |
    von Saalfeld: Daniela Dröscher, Sie haben jetzt Ihren zweiten Roman vorgelegt; der erste betraf "Die Lichter des George Psalmanazar", da führten Sie den Leser in die zweite Hälfte des 18.Jahrhunderts nach London, dann folgte ein Band Erzählungen und nun haben Sie sich mit dem polnischen Stummfilmstar Pola Negri befaßt. Síe gehen zurück nur ein Jahrhundert oder noch weniger. Pola Negri hat ja selbst im Jahr 1970 eine Autobiografie verfasst, "Erinnerungen eines Stars". Was hat Sie an dieser Person fasziniert?

    Dröscher: Also, ich bin eigentlich losgegangen bei Chaplin. Die ersten Impulse kamen aus meiner Kindheit, aus der Erinnerung daran, wie es war, mit meiner Familie in unserem Wohnzimmer zu sitzen und Chaplin zu schauen und keine Sprache zu hören, sondern Musik zu haben und was da mit diesen Körpern und Gesichtern geschah, das ist eine sehr prägende Erinnerung. Dann wusste ich, mein nächster Stoff liegt in Polen vergraben, da liegt ein Schatz. Meine Mutter stammt aus Schlesien, das war ein sehr unbesprochenes Terrain in meiner Familie. Und ich dachte okay, ich fange an zu recherchieren und dann ist mir Pola Negri als Name begegnet und dieser Name hat mich sofort fasziniert, und ich dachte, was ist das?

    von Saalfeld: Weil Pola Negri eine Liaison mit Charlie Chaplin hatte?

    Dröscher: Das hab' ich dann sehr schnell herausgefunden, dass diese beiden verknüpft sind durch die Geschichte, durch ihre Affäre. Dieser Name selbst ist schon ein Enigma. Genauso wie ja auch diese Person ein sehr rätselhaftes Geschöpf ist, um das sich sehr viele Mythen, Anekdoten ranken. Das ist eine Geschichte, die einlädt, weitere Geschichten um sie herum zu erfinden.

    von Saalfeld: Das ist ja die Frage. Sie haben bewusst keine Biografie geschrieben, was Sie ja auch hätten machen können, sondern Sie haben einen Roman geschrieben, aber der historische Stoff scheint doch Ihre Fantasie zu beflügeln, um dann zu sagen, daraus entwickle ich meine eigene Geschichte.

    Dröscher: Ich glaube, ich verstehe das Schreiben so, dass ich es mit der Möglichkeit zu tun habe. Ich habe die Möglichkeit, Möglichkeiten auszuloten. Das ist das große Versprechen einer Schriftstellerin, die nicht notgedrungen sich an Fakten, an Biographisches halten muss. Es ist die Möglichkeit, an Geschichtsschreibung zu partizipieren, wenn man so möchte.

    von Saalfeld: Das ist ja bei Ihnen das Auffällige, Sie benutzen ein historisches Skelett und entwickeln dann darum herum Ihre eigene Geschichte. Wie viel ist jetzt in diesem Roman "Pola" authentisch recherchiert und wie viel entspringt Ihren eigenen Inventionen?

    Dröscher: Wenn ich das in Zahlen ausdrücken sollte, würde ich sagen fünfzig / fünfzig. Ich habe mich ganz stark an den Memoiren, die Sie eingangs erwähnten, orientiert. Das ist natürlich auch schon in sich eine Erfindung. Andererseits gibt es natürlich sehr viel Geschichten, die es klassisch zu recherchieren gab: Filmgeschichte, große Geschichte, Individualgeschichte. Ich war ganz brav im Bundesarchiv und hab da nachgeschaut, was ist in den Akten vermerkt. Das ist ein sehr, sehr aufregender Teil, mich in diese Recherchephase zu begeben. Aber das genügt mir an einem bestimmten Punkt nicht mehr. Weil ich den Eindruck habe, wenn ich eine Figur schreiben möchte und dieser Seele irgendwie auch nahekommen möchte oder einer Facette dieser Seele, muss ich ein Maß an Empathie aufbringen, und das finde ich nicht in Geschichtsbüchern. Das finde ich in der Fantasie und in anderen Anekdoten, und in anderen Büchern auch aus dieser Zeit, von Leuten, die sie kannten, die über sie Anekdoten berichtet haben, da habe ich sehr sehr viel gelesen und recherchiert – von Lubitsch, von Peter Kreuder, dem Musiker. Es ist ein Sammelsurium aus Mythen.

    von Saalfeld: Und wurde Ihnen dabei die Person Pola Negri, die ja auch ein kapriziöser Star war, eine Diva, die mit ihrer Umwelt auch nicht immer sympathisch umging, wurde die Ihnen beim Schreiben sympathischer?

    Dröscher: Das hat sich immer abgewechselt. Sie war mir zwischenzeitlich sehr unsympathisch in ihrem Narzismus und in ihrer ungeheuren Sucht nach Aufmerksamkeit und nach Kapriolen, also immer alles bigger than life, immer alles groß und wichtig. Ihre Ohnmachten sind doch sehr auffällig dramaturgisch gesetzt. Wann immer der nächste Vertrag nicht kommt, fällt sie um. Das ist wirklich sehr klug gemacht. Dann habe ich immer wieder das verletzliche kleine Mädchen in ihr entdeckt, deshalb hat die Kinderzeit auch einen relativ großen Teil eingenommen in diesem Roman.

    von Saalfeld: Die Kindheit in Polen.

    Dröscher: Genau, die ja sehr ärmlich war, die sie aber auch in ihrer Ärmlichkeit durchaus überhöht dargestellt hat. Sie hatte schon immer diesen Kniff, wirklich erbärmliche Teile ihrer Biografie irgendwie dann doch noch mondän zu erzählen. Das finde ich sehr beeindruckend. So ein Stehaufmännchen, das ist sie für mich.

    von Saalfeld: Sie beginnen Ihren Roman mit einer Szene in Hollywood, wo die großen Diven versammelt sind: Marlene Dietrich, von Greta Garbo ist die Rede – alles sehr hoch gestylte Personen, alle unglaublich eifersüchtig aufeinander. Heute würde man sagen Zickenkrieg. Pola Negri ist da ja auch nicht von Pappe im Mitspielen in diesem Skandalon. War es das femme-fatale-Wesen, dem Sie auf die Spur kommen wollten?

    Dröscher: Die Szene, die Sie beschreiben, das ist tatsächlich, was ich im Kopf hatte, das sind Shakespeares Hexen. Ich dachte, das ist ein guter Aufhänger, um dieses Panorama zu eröffnen. Und sicherlich, diese femme fatale, die sie ja mitbegründet, die moderne femme fatale zumindest, das ist natürlich so ein Frauenbild, so ein Typus, der sich durchzieht, der auch sehr mächtig und kraftvoll und durchaus verführerisch ist. Mindestens genau so sehr hat mich der Clown an ihr interessiert, dieses clowneske humorvolle, leichte, leichtfertige, leichtlebige – diese Verbindung von Clown und Hexe, das fand ich gut.

    von Saalfeld: Sie sah ja auch etwas hexenhaft aus mit dem schwarzen Wuschelkopf und den maßlos schwarz umrandeten Augen. Die Stummfílmstars konnten ja auch bezaubernd expressiv mit ihren Augen rollen. Das paßt alles zusammen. Aber Sie stellen in Ihrem Roman eine Episode in ihrem Leben besonders heraus, das ist, als sie 1934 zurückgeht nach Deutschland, Willi Forst sie auffordert, nachdem sie in Hollywood nicht mehr erfolgreich ist, mit ihr einen Film zu drehen, "Mazurka". Pola Negri wurde dafür im Ausland verdammt, wie konnte man dorthin gehen und mit den Nazis gemeinsame Sache machen. Sie halten sich in dieser ganzen Frage, Sie beschreiben das sehr ausführlich, aber wertend eher zurück oder bleiben fast neutral.

    von Saalfeld: Es wäre sehr naheliegend und sehr einfach gewesen, und ich habe auch so zunächst begonnen, dass ich sie sofort verurteilt habe für diesen Schritt, eigentlich auch kaum glauben konnte, wie kann man das tun, wie kann man sehenden Auges ín dieses Land zurückgehen. Ich musste erst mal ganz viel über Bord werfen an Wissen und an vermeintlich sicher auf der moralischen Seite sein, um mir das anschauen zu können und um diesen Schritt aus ihrer Perspektive verständlich und nachvollziehbar zu machen, ohne sie zu entschuldigen. Ich wollte ihr keine Apologie auf den Leib schreiben. Es gibt eine Dokumentation, die ich sehr gut finde, die aber dazu tendiert, diese Jahre in Deutschland auszusparen. Das heißt dann "the international period" und das ist keine internationale Periode, da ist sie in Deutschland, und sie dreht hier fünf Filme. Das sind Fakten, mit denen muss man sich beschäftigen und mit denen wollte ich mich beschäftigen, denn diesen Schritt, den wollte ich verstehen. Und ich glaube ich habe ihn für mich aus der Figur heraus verstanden. Er hat mir darüber erzählt, welchen Preis man dafür zahlt, am Ball zu bleiben, seine Karriere aufrecht zu erhalten oder ein come-back zu versuchen – das versucht sie ja eher noch als die Karriere am Laufen zu halten, die ist ja zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr vorhanden, die ist ja nur noch rudimentär. Die Wertung liegt natürlich beim Leser. Es ist nicht meine Aufgabe eine Moral oder eine Mission in ein Buch zu verpacken, wenn ich die hätte, würde ich die sagen und keine Geschichten erzählen.

    von Saalfeld: Nun kann man sich vorstellen, dass Sie in den Mittelpunkt gestellt hätten den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm, als die großen Stummfilmstars wirklich plötzlich verstummten. Bei Pola Negri kam noch hinzu dass sie ein sehr polnisch akzentuiertes Amerikanisch sprach, also das war nicht gut einzusetzen. Sie haben aber genau diesen Konflikt nicht in den Mittelpunkt gestellt, sondern – nachdem die Karriere in Hollywood zu Ende ist, sie keine Verträge mehr bekommt, sie sich von den Deutschen verführen läßt, und sie auch erst langsam merkt, worauf sie sich eingelassen hat. Aber dieser Konflikt Stummfilm / Tonfilm, der war Ihnen nicht so wichtig?

    Dröscher: Ich dachte anfänglich, das wird mein Ausgangspunkt in dieser Erzählung. Ich hab dann aber schnell gemerkt, das ist ein Vorurteil zu sagen, diese spezielle Karriere Pola Negris wäre durch den Tonfilm jäh zu einem Ende gelangt. Das stimmt und auf eine Weise stimmt es nicht. Diese Karriere hatte viele Brüche und zwar schon sehr viel früher. Legendär ist diese Szene an Rudolf Valentinos Grab, als sie sich vor der ganzen weiblichen Öffentlichkeit ungemein diffamiert hat, weil sie diese Trauerfeier zu einer großen Pola-Negri-Performance genutzt hat. Rudolf Valentino war der große Stummfilmstar, die beiden hatten auch eine Affäre, es gibt Stimmen, die behaupten, die beiden wären kurz vor der Heirat und sie hat sich an seinem Grab als trauernde Witwe gebärdet, das war für die weiblichen Fans ein Killer, das war ihr Rudolf.

    von Saalfeld: Ich habe mich beim Lesen öfter gefragt, was hat sie fasziniert zu allen möglichen Eskapaden, die Sie um diese Figur herumspinnen. In dieser Pola Negri steckt irgendetwas Besonderes?

    Dröscher: Auf eine Weise kann man ja sagen, sie gehört zu den Vergessenen. Sie gehört nicht zu den ganz Großen, obwohl sie eine der ersten ganz Großen war. Das ist natürlich auch eine brüchige Biografie, in der auch ganz viel Scheitern steckt, ebenso viel Scheitern wie Ruhm. Das interessiert mich immer mehr als dieses so ganz Klare, was wir sowieso schon alles wissen und kennen. Ich wollte die so ein bißchen wiederholen. Ich hab sie entdeckt durch diesen mehr oder weniger Zufall, und ich dachte, das ist ein unerzähltes Leben. Sie hat sich selbst schon so toll erfunden, dass man ihr so ein Plateau bauen und sie noch mal ins Bewusstsein holen muss – so eine Art Archäologie – so verstehe ich auch mein Arbeiten. Das ist keine besonders brave Archäologie, weil ich noch ganz viel hinzu erfinde, aber, die ist zu Unrecht vergessen, das war ne ganz tolle Schauspielerin, die hat wundervolle Filme mit Lubitsch gemacht. Vielleicht gibt es ja so ein mini-mini-kleines Pola-Negri-Fieber.


    Daniela Dröscher: Pola
    Berlin, Verlag, 294 S., 19,99 Euro