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"Eine vollkommen überflüssige Alibiveranstaltung"

IT.- Zum sechsten Mal fand nun in München der von Industrie und Bundesregierung ausgerichtete "nationale IT-Gipfel" statt. Im Interview mit Manfred Kloiber erläutert Computerjournalist Peter Welchering, welche Themen dieses Jahr im Fokus der Aufmerksamkeit standen.

10.12.2011
    Manfred Kloiber: Am Dienstag fand in München zum sechsten Mal der IT-Gipfel von Bundesregierung und Industrie statt. Ins Leben gerufen wurde dieser nationale IT-Gipfel 2006, um IT-Strategien, laufende große IT-Projekte der Regierung und Infrastrukturvorhaben besser abstimmen und diskutieren zu können. Welche Themen standen denn diesmal in München auf der Tagesordnung des nationalen IT-Gipfels, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Das waren durchweg hochgradig spannende Themen. Es ging beispielsweise um Cloud-Computing. Es ging um die Stabilisierung des Gesundheitssektors durch Digitalisierung, etwa auch durch die elektronische Gesundheitskarte und Patientenverwaltung. Es ging um Ausbau der Breitbandnetze – in Deutschland ganz wesentlich. Es ging um E-Mobilität in den nächsten Jahren und es ging auch darum, wie die Energiewende denn tatsächlich durchzusetzen sei und wie vor allen Dingen smarte Stromnetze dabei helfen können, damit die Energiewende auch wirklich gemacht werden kann.

    Kloiber: Und wie lassen sich die wichtigsten Ergebnisse dieses Gipfels zusammenfassen?

    Welchering: Im Wesentlichen ist wohl das wichtigste Ergebnis, dass es im nächsten Jahr wieder einen IT-Gipfel geben wird. Der wird dann in Essen veranstaltet. Die Teilnehmer haben sich mehr oder weniger getrennt nach einem langen Gipfeltag, indem sie gesagt haben: Gut, dass wir über all die Sachen mal geredet haben. Wobei: Es wurden wesentlich mehr Floskeln ausgetauscht als wirklich Fachgespräche geführt. Also nehmen wir beispielsweise mal das Thema Netzneutralität – heftig umstritten im Bundestag,
    in der Enquete-Kommission sehr heftig diskutiert. Aber es gab auf dem nationalen IT-Gipfel keinerlei Positions- oder Regulierungsvorschläge der Regierung. Das hätte eigentlich stattfinden müssen. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel, nehmen wir etwa den Breitbandausbau. Da ist die Regierung zurückgerudert – ja schon im Oktober, als darüber im Bundestag debattiert wurde und auch beschlossen wurde. Nunmehr soll es bis zum Jahr 2014 einen Plan geben, der vorsieht, dass 75 Prozent der Haushalte mit einem Breitbandanschluss mit 50 Megabit in der Sekunde ausgestattet werden. Das wird sich überwiegend auf die Ballungsräume beziehen, auf die großen Städte. Also das Bauern-DSL bleibt uns erhalten. Es wird auf dem Lande keinen flächendeckenden Ausbau der Breitband-Infrastruktur geben. Hier soll mit LTE, also mit dem Nachfolgeprotokoll im Mobilfunk ein wenig Abhilfe geschaffen werden. Aber natürlich bleibt das weit unter den Vorgaben. Insgesamt hat man auch auf dem nationalen IT-Gipfel nicht so richtig zur Kenntnis genommen, dass die Bundesregierung hier abgefallen ist. Es gab viel Lob, viel Lob dafür, dass der Gipfel überhaupt stattfindet, aber inhaltlich hat leider dieser sechste nationale IT-Gipfel so gut wie nichts erbracht. Er war eine vollkommen überflüssige Alibiveranstaltung.

    Kloiber: Die Regierung will ja die intelligenten Netze ausbauen, hat sie angekündigt. Die Kanzlerin hat auch noch einmal betont, dass die Energiewende ganz wesentlich davon abhänge. Was hat der Gipfel denn hier eingebracht?

    Welchering: Auch da blumige Floskeln und im Wesentlichen ein Entwurf einer schönen, braven Welt mit Smart Metering, die uns alle Arbeit abnimmt. Völlig unter den Tisch gefallen ist dabei, dass die Datenschutzaspekte und die Sicherheitsaspekte ja weitgehend noch undiskutiert und ungelöst sind – beispielsweise was das Ausspähen der Lebensgewohnheiten über Smart Metering angeht. So sind zum Beispiel inzwischen schon Programme aufgetaucht, die einfach auswerten: Welchen Stromverbrauch hat es denn zu welcher Zeit gegeben? Daraus kann dann abgeleitet werden: Welches Fernsehprogramm mit welchen Bildfrequenzen hat der Betroffene denn wohl geschaut oder zumindest auf seinem Bildschirm gehabt? Und für Smart Metering gibt es insgesamt immerhin noch kein Netzkonzept, das wirkliche Sicherheit gewährleistet, das allen Sicherheitsaspekten gerecht wird. Denn die Anbindung via Internet, die hier vorgesehen ist, ist hochriskant. Und da kann via Hacking jede Menge Unfug getrieben werden.

    Kloiber: Ein thematischer Dauerbrenner auf den Gipfeln ist ja auch die Gesundheitskarte. Der Branchenverband BITKOM hat darauf hingewiesen, dass die Potenziale dieser elektronischen Gesundheitskarte gar nicht ausgeschöpft würden. Wie ist das auf dem Gipfel diskutiert worden?

    Welchering: Da haben alle zugestimmt. Die Potenziale werden gegenwärtig überhaupt nicht ausgeschöpft. Die einen sagten: Naja, dafür haben wir viel zu lange gebraucht, die anderen sagten, es war ein Akzeptanzproblem. Anschließend sagten alle: Gut, dass wir drüber geredet haben. Es fehlte auf dem nationalen IT-Gipfel für die elektronische Gesundheitskarte so etwas wie ein Konzept gegen Seitenkanalattacken, denn das ist ja sehr heftig diskutiert worden. Vor allen Dingen seit Funkchips vor einigen Wochen tatsächlich mit einer Mustererkennung ausgespäht wurden. Und es fehlt auch ein Konzept gegen das Ausspähen der Gesundheitskarte, indem sich Hacker einfach in das Praxis-WLAN einhacken. Außerdem fehlt es auch noch an einem Konzept für die kostengünstige und für die sichere Patientendatenverwaltung. Hier hat man anfänglich ein wenig die norwegischen, die skandinavischen Länder gelobt. Aber es wurde nicht weiter diskutiert. Auch das gut funktionierende norwegische Modell wurde zwar erwähnt, aber es diente leider überhaupt nicht als Vorlage, um damit dann etwas machen zu können. Und so gesehen kann man dann wirklich ins Zweifeln geraten, ob dieser nationale IT-Gipfel wirklich noch fortgesetzt werden sollte. Die Planung für das nächste Jahr steht ja. Aber insgesamt waren auch die Fachleute ausgesprochen enttäuscht, dass inhaltlich doch sehr, sehr wenig stattfand und dass dieser IT-Gipfel in erster Linie eine Hochglanzveranstaltung war, auf der eben prospektmäßig vorgestellt wurde: Eigentlich muss alles gut werden. Die wirklichen Probleme, die dringend gelöst werden müssten, blieben außen vor.