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Eine warme Oase im kalten Polarmeer

Ozeanologie. - "Black Smoker" hatten Tiefseeforscher das 1977 entdeckte erste Ökosystem getauft, das ohne Sonnenlicht auskommt und nur auf Erdenergie beruht. Vor etwa zehn Jahren wurde dann vor der Küste Nordnorwegens eine zweite Welt entdeckt, die ebenfalls ausschließlich von chemischer Energie aus der Erde abhängt: die Schlammvulkane. Im vergangenen Sommer haben Wissenschaftler mehrere Wochen lang dort geforscht - jetzt liegen die Ergebnisse vor und gewähren einen Blick in eine fremde Welt, in der unbekannte Lebewesen ihren eigenen Platz haben.

Von Dagmar Röhrlich |
    Das Tauchboot "Victor" des französischen Meeres-Forschungsinstituts Ifremer ist auf dem Weg in die Tiefsee. Ziel ist der Håkon Mosby, ein Schlammvulkan in mehr als 1000 Metern Wassertiefe vor der Küste Nordnorwegens. Schlammvulkane haben nichts mit ihren Lava speienden Namensvettern zu tun. Vielmehr quellen dort aus großer Tiefe gewaltige Mengen von Methan, Wasser und Schlamm aus dem Ozeangrund. Das Ergebnis sieht dann aus wie ein Vulkankrater, daher der Name.

    Die Schlammmassen aus dem Erdinneren sind warm und gasreich, und deshalb ist der Håkon Mosby ein Paradies in der ansonsten frostigen polaren Tiefsee - eines, das von der Sonne unabhängig ist. Antje Boetius vom Max Planck Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen:

    Um diesen Schlammvulkan, der ungefähr zwei Kilometer im Durchmesser hat, hat sich eine sehr reichhaltige Lebensgemeinschaft angesiedelt, die vor allen Dingen eben auf Methan im Verbrauch beruht.

    Im Licht des ferngesteuerten U-Boots tauchen auf dem grauen Schlick weiße Flecken auf: Es sind Bakterienrasen, die den Meeresgrund überziehen wie Flechten einen Stein. Hier und da perlen feine Schnüre von Gasbläschen aus dem Schlamm. Victor steuert ins Förderzentrum des Håkon Mosby. Dort geht es turbulent zu:

    Wir haben auf dieser Tauchfahrt erstmals die großen Austrittstellen gefunden, wo freies Gas, also richtig Mengen von Gasblasen, so wie wenn man eine Champagnerflasche schüttelt und aufmacht, so viel Gas spritzt da heraus. Noch interessanter war, dass wir Stellen gefunden haben, wo nicht freies Gas, sondern Gashydratstückchen selber aus dem Boden fliegen. Weiße Stückchen aus Gashydrat fliegen aus den aktivsten Stellen heraus - wie die Kunststoff-Flöckchen in einer Schneekugel.

    Dieses Gashydrat ist eine gefrorene Mischung aus Klimagasen wie Methan und Kohlendioxid sowie Wassereis.

    Das ist sehr spektakulär, wenn man in dem wüstenartigen Meeresboden findet, dass es ganz konkrete Zonierungen im Ökosystem gibt. Am Håkon Mosby ist das eine Art Ringstruktur, um das Zentrum herum, dort, wo der frische Schlamm aus großen Tiefen von bis zu vielleicht zwei Kilometern hervor gepresst wird, findet sich eine ganz, ganz geringe Diversität, nur ganz wenige Bakterien, die Methan mit Sauerstoff veratmen.

    Denn im unruhigen "Auge" des Schlammvulkans halten sich kaum Bakterien. Setzt sich weiter außen der Schlamm, entstehen schwarze Flecken. Darin leben anaerobe, Methan fressende Archäen in Symbiose mit Bakterienpartnern. Dieses Team ist die einzige Lebensform, die mit Hilfe der im Meerwasser gelösten Sulfatsalze aus Methan Energie gewinnt.

    Jetzt werden die schwarzen Flecken durch große, weiße Bakterienteppiche überwuchert. Das ist die Zone der Beggiatoa-Bakterien, die man mit bloßem Auge als dünne Fäden erkennt. Je weiter man nach draußen kommt, desto stärker sinkt die Methankonzentration: Die Lebensgemeinschaft ändert sich:

    Der äußerste Ring des Schlammvulkans, besteht aus einer ganz dichten, rasenartigen Ansammlung von Röhrenwürmern, die wieder dann das Methan mit Sauerstoff nutzen können.

    Die ebenfalls auf die Symbiose mit Bakterien setzen. Diese Röhrenwürmer strecken sich einen Meter tief in den Schlamm hinein, um das aus Gashydraten entweichende Methan zu erwischen. Gleichzeitig pumpen sie mit ihren Kiemen Sauerstoff aus dem Bodenwasser, damit die Bakterien in ihnen optimal wachsen. Im Schlammvulkan hat jeder seinen Lebensraum:

    Wo die Bakterienmatten sind, ist viel zu viel Sulfid, das würde die Würmer vergiften, andersherum haben die Würmer anscheinend die Möglichkeit, durch aktiven Transport von Sauerstoff in das Sediment hinein die Bakterienmatten auszuschließen. Wir wissen, dass diejenigen, die am meisten Methan verbrauchen, definitiv die anaeroben Bakteriengemeinschaften sind.

    Die Archäen und Bakterien in den schwarzen Flecken sind die besten Methanfresser: Messungen der Geochemiker zeigen, dass sie kein Methan entweichen lassen. Ins Meer gelangt das Treibhausgas im Auge des Schlammvulkans, wo große Mengen frei werden. Etwas Methan sickert auch zwischen den Röhrenwürmern heraus, weil sie das Klimagas weniger effizient herausfiltern als die Bakterien. Die Lebensgemeinschaft am Schlammvulkan verbraucht sehr viel von dem Methan, was da aus dem Boden dringt. Das ist gut fürs Klima.