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Eine wehrhafte Desdemona

Desdemona, verkörpert von Elza van den Heever, habe mit "dramatischer Plomb" gespielt. Für Deutschlandfunk-Autor war sie der Star des Abends. In der Summe, so Voigt, war die Inszenierung "eher zum Hören als zum Gucken".

Thomas Voigt im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Ein Musikdrama in Arien, doch die Musik, sie rangiert noch vor dem Gesang. So ist das bei Verdi. Seine Opern sind Melodienopern. Nun wird Otello, vermute ich mal - Thomas Voigt, Sie haben in Frankfurt die Aufführung gesehen -, kaum im Zypern des 15. Jahrhunderts spielen." Rote Blitze flammen, Schrecklich rollt der Donner rings umher, Alles zittert, kracht zusammen, Und der Sturm zerpeitscht das Meer", singt der Chor. Aber nicht über den Chor wollen wir reden. Es gab Rollendebuts?

    Thomas Voigt: Es gab zwei wichtige Rollendebuts: Carlo Ventre als Otello und Elza van den Heever als Desdemona. Otello ,Ventre, hat sehr oft in seiner Art des massiven Singens ein bisschen an Jon Vickers erinnert, auch so etwas verschattet und heiser geklungen manchmal, aber hat leider nicht die Ausdruckskraft von diesem großen Vorbild erreicht, ist auch zugegeben jetzt ein unfairer Vergleich. Aber er drängte sich auf, weil es erfordert die Partie ja doch ein sehr tragfähiges, sehr durchschlagkräftiges Organ.

    Köhler: ... ein Heldentenor!

    Voigt: Ja, das ist ein italienischer Heldentenor, und das findet man heute sehr, sehr selten. - Elza van den Heever als Desdemona war, kann man sagen, der Star des Abends, kriegte den meisten Jubel - zurecht, wie ich fand -, denn sie hat die Desdemona wirklich nicht so als passives Seelchen gebracht, sondern durchaus mit dramatischer Plomb auch und vor allen Dingen in der Szene mit Otello am Anfang des dritten Aktes, wo er sie immer mehr in die Enge treibt, sich endlich auch mal gewehrt. Das ist ja die Szene, wo man meistens als Zuschauer verrückt wird und sagt, jetzt mach endlich was, wehr dich, und sie hat es gemacht und ich fand das klasse, auch musikalisch.

    Voigt: Das war auch stark charakterisiert, und auch da merkte man, dass die Regie in Punkto Personenführung sich doch einige Gedanken gemacht hat, denn gerade diese Szene habe ich selten so engagiert auch auf der Seite von Desdemona gesehen. - Dritter im Bunde war Marco Vratogna als Jago, und da habe ich doch etwas von der shakespeareschen Dimension der Figur vermisst.

    Köhler: ... der große Konkurrent von Otello.

    Voigt: Na ja, ich meine, das ist in der Literatur doch ein Einschnitt, dass jemand, der selbst sich nicht die Hände schmutzig macht, zum Mörder wird. Also dieser klassische Fall des jemanden umbringen, ohne irgendwas zu tun, außer üble Nachrede, das ist schon ein Wendepunkt in der Literatur. Ich würde so weit gehen zu sagen, das ist eine einmalige Anlage von Shakespeare, diese Figur des Jago, und da erwartet man doch auch von einem Regisseur der Opern-Version etwas mehr Raffinesse, etwas mehr Differenzierung. Das ganze hatte eh einen minimalistischen Charakter: Die Bühne - Shakespeare und Brecht lassen grüßen - ein Spielbrett ...

    Köhler: Also kein Zypern im 15. Jahrhundert?

    Voigt: Nichts, keine Ausstattungsoper, gar nichts, sondern einfach ein Spielbrett und darauf die Figuren und Stühle und Stiefel, die der Chor hinterlässt nach der großen Szene im Concertato im dritten Akt.

    Köhler: Verdi heißt immer großer Chor und extra Chor?

    Voigt: Richtig. Da steigen die aus den Stiefeln, die Stiefel bleiben da stehen, und das Bild hat mich den ganzen Abend beschäftigt, ich konnte es nicht auflösen. Ich habe heute die Dramaturgie angerufen und gefragt, können sie mir einen Tipp geben. Da sagte der Dramaturg. ja, bei Shakespeare heißt es von Otello zu Desdemona, wenn du nicht mehr bei mir bist, ich nicht mehr deine Liebe habe, dann ist keine Ordnung. Und diese schachbrettartig aufgestellten Stiefelpaare signalisieren eine Ordnung, die aber dann aus dem Ruder läuft, und irgendwann ist dann wirklich auch optisch auf der Bühne Unruhe und Chaos.

    Köhler: Wie ist das denn jetzt, sagen wir mal, im persönlichen, jetzt weniger im gesellschaftlichen Sinne, denn es ist ja eigentlich die Geschichte eines erfolgreichen Seemanns, eines farbigen Seemanns, der nach Hause kommt und feststellen muss, dass er privat scheitert, seine Geliebte umbringt und am Ende sich selbst noch erdolcht?

    Voigt: Ja, sicher. Ich meine, das ist aber nicht nur ein Schwarz-Weiß-Konflikt, das ist ganz klar. Das ist der Konflikt eigentlich zwischen - da kommen wir wieder auf gesellschaftliche Dinge, auf Ordnung, Unordnung. Damit hat der Regisseur, Johannes Erath, schon recht. Nur man hätte es wirklich mehr differenzieren müssen und auch mehr auf die Figur des Jago hin inszenieren müssen, finde ich, weil er diese Ordnung eben stört. Er bringt das ganze zum Einsturz.

    Köhler: Unterm Strich musikalisch gelungen? Desdemona hat Ihnen gefallen, aber bei der Inszenierung haben Sie noch ein bisschen Schwierigkeiten?

    Voigt: Ein bisschen spartanisch und nicht so ganz konkret, für mich eher zum Hören als zum Gucken.

    Köhler: Thomas Voigt über den Frankfurter Otello, ein Stück, das immer noch die Seelen und Herzen berührt.