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"Eine wissenschaftliche Übersetzung war nicht sein Ziel"

Der Grazer Althistoriker Peter Mauritsch, Mitarbeiter von Raoul Schrott bei dessen "Ilias"-Projekt, betont, dass Schrott nie eine wissenschaftliche Neuübersetzung beabsichtigt habe, sondern eine eigene Fassung der "Ilias". Schrotts Zusammenbringen von Gilgamesch-Epos und Ilias sei zudem als Arbeitshypothese ein durchaus brauchbarer Ansatz.

Moderation: Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Zunächst zu unserem ersten Thema. Raoul Schrott, er hat mit seinen um Weihnachten vorab veröffentlichten Thesen aus seinem Buch über Leben und Werk Homers die Diskussion um den zeitgenössischen Horizont der "Ilias" sowie über die geschichtlichen Wurzeln der Troja-Sage neu entfacht. Und diese Diskussion geht weiter. Die Althistorikerin Barbara Patzek würdigt in der "Frankfurter Allgemeinen" heute Schrotts "grandiose Rekonstruktion", wie sie sagt, hält sich aber mit wissenschaftlichen Wertungen deutlich zurück. Der Altphilologe Joachim Latacz dagegen nannte die Thesen des Schriftstellers im Deutschlandfunk schon "verwegen", und heute legt er in der "Süddeutschen Zeitung" noch einmal kritisch nach. Frage an Peter Mauritsch, den Althistoriker in Graz: Herr Mauritsch, Sie haben mit Raoul Schrott zusammengearbeitet, nachdem Joachim Latacz sich aus der Kooperation mit Schrott zurückgezogen hatte. Was war denn Schrotts Ansatz und Interesse am Troja-Projekt?

    Peter Mauritsch: Also, ich kann hauptsächlich nur über seine Übersetzung beziehungsweise die Fassung der "Ilias", die er vorgelegt hat oder vorlegen wird, auch als Buch, etwas sagen, und er ist dann - auch für mich überraschend - zu einem Gesamtbuch über die Frage Homer beziehungsweise Person Homers, Herkunft Homers, Situierung, Lokalisierung von Troja gestoßen. Ich habe das nur am Rande mitbekommen, immer so wenn wir uns ausgetauscht haben.

    Schossig: Konnten Sie erkennen, wie Raoul Schrott dabei vorging? Er ist ja Komparatist, mit welchen Materialien und mit welchen Werkzeugen hat er dabei gearbeitet?

    Mauritsch: Mit dem Werkzeug der Wissenschaftler, mit Büchern, Aufsätzen, die er tatsächlich also in rauen Mengen offensichtlich gelesen hat, in sich aufgesogen hat, und dann auch wieder verarbeitet hat zu einer, soweit ich das überblicke, zum Teil gelungenen Zusammenschau und zum Teil mit einem Herausgreifen von Thesen und Theorien, die er dann zu seiner Ansicht über die Herkunft Homers komprimiert hat.

    Schossig: Joachim Latacz schreibt, Raoul Schrotts Thesen seien durchaus keine wissenschaftliche Sensation, sondern eigentlich gar nicht ernst zu nehmen. Wie sehen Sie das?

    Mauritsch: Sensation sind sie nicht, weil man in der Homer-Forschung immer wieder mit Überraschungen oder neuen Einsichten konfrontiert wird und da sehr viel Forschung betrieben wird, sehr viel neues Material bekannt ist in der Fachwelt - für die breitere Öffentlichkeit vielleicht dann eine Sensation.

    Schossig: Es wird ja behauptet oder wurde behauptet kann man sagen, in der "FAZ" vor Weihnachten, das Rätsel Troja sei gelöst. Wenn Sie sich erinnern an Ihre Zusammenarbeit Raoul Schrott - würden Sie sagen, ist er eher ein Autor, ich will jetzt nicht sagen: Fantasy-Autor, aber ein Belletrist als vielmehr ein Wissenschaftler?

    Mauritsch: Das war zumindest in der Arbeit an der "Ilias" ganz sicher eine Mischung, die höchstens fifty-fifty ausgeht, wo aber, glaube ich, doch der Autor Schrott einen großen Teil übernommen hat - will sagen, er hat da nie den Anspruch erhoben, eine wissenschaftliche Übersetzung zu liefern, sondern eine Fassung der "Ilias". Von daher ist der Vorwurf vielleicht ungerechtfertigt, weil eine wissenschaftliche Übersetzung ja nicht sein Ziel war.

    Schossig: Schrott führt wichtige Passagen Homers auf Vorbilder des Gilgamesch-Epos zurück, Sie haben das vorhin angesprochen, diese neu entdeckten Verbindungen zwischen orientalistischen Forschungen und den Forschungen über etwa auch griechische Wurzeln. Wie plausibel ist denn eine solche Kontextualisierung von Gilgamesch und Ilias Ihrer Ansicht nach?

    Mauritsch: Schwer zu beantworten, aber durchaus plausibel, würde ich sagen. Wir haben mit einem Weiterleben dieser Literatur und der Kenntnis von den Plots dieser Epen im altorientalischen Raum durchaus zu rechnen, und dass die bekannt waren und weitergegeben wurden, das ist durchaus plausibel und ist als Ansatz für die wissenschaftliche Bearbeitung dieser sozusagen als Arbeitshypothesen formulierten Aussagen dann durchaus brauchbar.

    Schossig: Dies führt ja auch zu der Frage nach der Identität des Dichters, die Raoul Schrott ja auch neu definiert hat. Wer war Homer - ein assyrischer Schreiber, ein Grieche mit migrantischem Hintergrund? Wissen wir denn jetzt mehr, wo wir künftig nach den Wurzeln dieses großen Autors der Antike suchen müssen?

    Mauritsch: Ich nehme an, dass sein Buch über die Herkunft Homers diese Frage ganz sicher neu zu diskutieren bedeuten wird. Es werden auch seine Kritiker insofern vermutlich Recht haben, dass man eine genaue Postanschrift Homers beziehungsweise seine Geburtsadresse nur spekulativ wird feststellen können.

    Schossig: Soweit der Grazer Althistoriker Peter Mauritsch, Mitarbeiter von Raoul Schrott bei dessen "Ilias"-Projekt.