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Eine Woche lang Student auf Probe sein

Gerade Schülerinnen und Schüler kurz vor dem Abitur sind ständig auf der Suche, ob und was sie später einmal studieren werden. Studierende gründeten deshalb den Verein Quaestia, bei dem die Schüler im Uni- und Privatleben wie ein Schatten die Studenten begleiten.

Von Thomas Wagner | 21.11.2011
    "Ich freue auf jeden Fall hier. Puh, das ist ja alles ziemlich groß hier. Aber ich freue mich auf jeden Fall auf die Vorlesung."

    Für die 17-jährige Lilia Dengler aus Freiburg ist es eine Premiere: Zum ersten Mal geht's in einen Hörsaal. In dem kleinen Campuscafé gleich hinter dem Haupteingang der Uni Konstanz blicken ihre Augen neugierig mal nach links, mal nach rechts. An einem kleinen Stehtisch trinkt sie einen Kaffee – gemeinsam mit Sandra Dickel, Studentin der Politik- und Verwaltungswissenschaften im fünften Semester:

    "Also, wir werden uns jetzt die Vorlesung 'Internationale Beziehungen' ansehen, die geht zwei Stunden lang. Ja, ich glaub, das ist ein guter Einstieg, weil die Vorlesung ganz gut vermittelt, worum es eigentlich geht in unserem Politikstudium."

    Das genau ist das Ziel des Treffens: Die Studentin zeigt der Schülerin, worum es eigentlich geht – nicht nur im Politikstudium, sondern an der Uni ganz generell. Denn Sandra Dickel gehört zum Gründungsteam des neuen Vereins "Quaestia e.V.". Und der vermittelt Schülerinnen und Schülern 'hochschul-Schnupperwochen.' Auch Theresa Eckermann, Politik- und Verwaltungsstudentin im dritten Semester, ist Gründungsmitglied von "Quaestia":

    "Die Schüler sind idealerweise eine Hochschulwoche da, also Montag bis Freitag. Und das Ganze ist so gedacht, dass der Student sich tatsächlich um den Schüler rund um die Uhr kümmert. Das heißt: Der Schüler folgt dem Studenten wie ein Schatten zur Vorlesung, zu Freizeitveranstaltungen überall hin, um damit wirklich das Leben eines Studenten für eine Woche selber mit zu leben."

    Die Vorlesung "Internationale Beziehungen" hat gerade begonnen. Da geht es um rationalistische und konstruktivistische Entscheidungstheorien in der internationalen Politik – Begriffe, die die 17-jährige Schülerin aus Freiburg in der Schule noch nie gehört hat. Daneben fallen ihr noch weitere Unterschiede auf:

    "Es geht alles über eine Präsentation an der Leinwand. Das ist in der Schule ja weniger der Fall. Und der Professor trägt ein Mikrofon, damit man ihn gut verstehen kann. Das gibt's bei uns natürlich auch nicht."

    Wie ist das mit den Prüfungsleistungen am Ende des Semesters? Wie schreibt man eine Hausarbeit? Auf was legen die Professoren und Dozenten besonders wert? 'Schnupper-Studis' wie Lilia Dengler haben eine Fülle von Fragen. Aus Sicht von Quaestia-Mitbegründerin Sandra Dickel ist eines ganz wichtig: Dass die Hochschul-Schnupperwoche von Studierenden organisiert wird.

    "Es gibt Tausende von Info-Veranstaltungen, von Hochschulmessen. Aber da erzählen dann Mitarbeiter von Hochschulen meinetwegen um die drei Minuten über einen Studiengang. Vom richtigen Studienalltag bekommt man relativ wenig mit. Und wir denken, dass Studenten so etwas am besten vermitteln können."

    Wohl wahr: Anstehen in der Warteschlange der Mensa – auch dies eine Premiere für die Schülerin Lilia Dengler:

    "Also, ich les' hier grad Cordon Bleu mit Pommes und Salat. Ich glaube, ich nehm' das Cordon Bleu"

    Sandra Dickel schüttelt verneinend den Kopf, zeigt auf die Armbanduhr und dann auf die riesige Schlange: Gibt's was mit Pommes, ist die Schlange mindestens doppelt so lang; also lieber Lamm in Currysauce. Auch solche winzigen Details aus dem Leben der Studierenden sind spannend. Während der 'Schnupperwoche' wohnen die Schüler sogar bei den Studierenden – sei es im Studentenwohnheim, in der WG oder in der eigenen Studentenbude. Die Schüler sollen ein Gefühl dafür entwickeln, ob sie an einem bestimmten Studium überhaupt Gefallen finden können. Und das kommt, glaubt Theresia Eckermann von "Questia" auch der Hochschule insgesamt zugute:

    "Man sieht ja, wie Studiengänge teilweise überfüllt sind. Nehmen wir nur das typische Studienfach Jura, wo in der ersten Hälfte des Jahres 30 Prozent abspringen, weil viele merken, es liegt ihnen doch nicht. Und dann Studienplätzen Leuten wegnehmen, die sich wirklich für das Fach interessieren. Da kommen wir den Hochschulen sehr entgegen und hoffen auch auf Unterstützung seitens der Hochschulen."

    Denn Questia will sich als Verein an möglichst vielen deutschen Hochschulen etablieren – und möglichst viele Studierende dazu bewegen, sich als 'Hochschul-Guide' für interessierte Schüler zur Verfügung zu stellen. Über die Vereins-Website www.quaestia.de knüpfen interessierte Schüler die Anfangskontakte zu den Studierenden, die mitmachen.

    Die 17-jährige Lilia Dengler glaubt nach ihrem ersten 'Schnupper-Tag' nicht daran, dass ihr Politik- und Verwaltungswissenschaften liegen. Dennoch ist sie neugierig auf das, was sie nach Vorlesung und Mensa-Besuch noch so alles erleben wird:

    "Ja, ich denke, dass auch das Nachtleben sehr interessant sein kann – und auch gerade das Zusammenleben mit anderen Studenten, beispielsweise in einer WG oder so. Das stell' ich mir auch sehr interessant vor."