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Eine zweite Chance

Tony wird vierzig und hat sein ganzes Berufsleben lang Drähte bei der Firma Spulen-Spezial zusammengedreht. Doch im Leben, das ihm am Vorabend seines vierzigsten Geburtstags wie eine Endlosschleife voller Misserfolge und Unzufriedenheit erscheint, passte nichts zusammen. Tony fühlt sich in einer bösen Sackgasse, und die Fahrt dahin schien ihm auch nicht schön. Also quatscht er in einem Pub ein Paar mit der Verzweiflung seiner existentiellen Midlife-Crisis voll. "Wenn wir nur zurückgehen könnten", also das Leben noch einmal und mit den richtigen Entscheidungen besser leben könnten....

Hartmut Krug berichtet |
    In der deutschsprachigen Erstaufführung von Martin Crimps bereits 1989 entstandenem Stück "Spiel mit Wiederholungen" im Theater in der Fabrik, der experimentellen Dependance des Staatsschauspiels für das jüngere Publikum, ist Tony ein sozial undefinierter smarter Typ einer Wohlfühlgesellschaft, der gerade erst dreißig wird. Ein Zierstöckchen so elegant wie nervös zwischen den Fingern wirbelnd, steht er in einem ort- und zeitlosen Raum auf einer Scheibe mit drehbaren Segmenten und dreht sich mit tatloser Redeschleife in jeder Hinsicht nur um sich selbst. Ein diffuses Unbehagen peinigt ihn vor allem metaphorisch. Weshalb der 26jährige Regisseur Philipp Stemann Martin Crimps philosophisches Gedankenexperiment über Lebensbestimmung und Entscheidungsfreiheit mit einem mehrfach wiederholten Traumbild beginnen und enden lässt: "Es gibt einen Zug. Er fährt in den Tunnel. Die Kinder winken."

    Martin Crimp hat in seinen Stücken immer wieder die Brüchigkeit von Identitäten im atomisierten Großstadtleben untersucht, wie in "Das stille Kind" oder in "Angriffe auf Anne", in dem eine Figur aus vielen Richtungen umkreist und aus disparaten Splittern zusammengesetzt wird. Oder er hat, wie in "Auf dem Land", die Knoten aus dem Beziehungsgeflecht gezogen, mit denen Menschen ihre Beziehungen scheinbar sicher verknüpft haben. In "Spiel mit Wiederholungen" geht es für eine Person um beides: Tony bekommt die Chance, seine Identität im wiederholten Lebensspiel selbst und neu zu bestimmen. Eine Art Guru mit dem sprechenden Namen Mouhamend Lamine gibt ihm die innere Kraft dafür. Doch die Wiederholung einstiger existentieller Entscheidungssituationen bringt für Tony keine Verbesserungen. Sowohl sein Bemühen um den Abteilungsleiterposten wie um die geliebte Frau scheitert erneut, wenn auch mit dem Bewusstsein aus seinem ersten Leben auf jeweils andere Weise. Wobei den Autor nicht die Plausibilität der neuen Handlungsweisen seiner Hauptfigur, sondern mehr deren Reflexionen interessieren. Was den jungen Dresdner Regisseur leider dazu gebracht hat, Crimps mit realen Figuren in realistischen Situationen zwischen Pub und Büro, Waschsalon und Bushaltestelle angesiedeltes Stück in ein gedankliches Niemandsland zu verpflanzen. Crimps Stück konstituiert sich durchaus vor allem aus der Sprache. In seinem Stück wird Sprache auch als Verhüllung für ein feines Geflecht von Andeutungen und schwebenden Bedeutungen eingesetzt. Deshalb vergleicht man den Autor in England gern mit Pinter und fand für seinen Stil das Wort "Pinterism". Doch seine Stücke, auch seine Parabel "Spiel mit Wiederholungen" , brauchen klare Situationen und Figurenkonstellationen. Nur so kann die undeutliche Deutlichkeit entstehen, mit der die psychologischen Leerstellen in den knappen Sätzen Crimps Figuren spannend werden lassen.

    In Dresden rauschst eine gedankliche Endlosschleife auf einer rauschenden Sprachwelle durch den Raum. Vier Darsteller ohne großes Differenzierungsbemühen spielen alle zehn Rollen, wobei sie die Figuren wohl bewusst auf reine Sprachproduzenten reduzieren. Der Beziehungsreichtum von Crimps in Dresden dramaturgisch stark komprimiertem Stück wird damit ebenso verspielt wie die Verständlichkeit etlicher Situationen. Hier wird nicht gelebt, sondern von coolen Typen vor allem übers Leben räsoniert. Das machen die jungen Darsteller im Einzelfall ganz witzig, schließlich sind sie irgendwie mit dieser Version des Stückes bei sich und ihrem Publikum. Aber über beide erfährt man so nichts Neues, was man nicht immer schon geklagt hätte. So ist es für die Dresdner Inszenierung nur konsequent, dass der bei Crimp zu Tode kommende Tony weiterzuleben scheint. War eben irgendwie alles nur Gerede. Doch in Crimps Stück steckt mehr.

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