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Einen anderen Balkan schaffen

Das malerische Städtchen Pula liegt in Istrien an der kroatischen Adria. Zum 13. Mal haben sich jetzt Schriftsteller dort getroffen, um Fragen wie diese zu diskutieren: Wie prägen die Klischeevorstellungen vom Balkan das Denken und Handeln der Kultureliten in diesem Raum? Welchen Einfluss haben Topoi wie Krieg, Blut und Bruderzwist? Vor allem aber geht es darum, was Literatur leisten kann um solche Vorurteile zu überwinden?

Von Bojana Radetic | 15.12.2007
    "Der Balkan wurde schon seit dem 19. Jahrhundert als schwarzes Loch gesehen, als Brutstätte sämtlicher Konflikte. Bis heute glauben nicht nur der Westen, sondern viele Menschen auf dem Balkan selbst, dass hier nicht die Kultur, sondern eher eine Form von Stammesmentalität den Lauf der Dinge bestimmt. Es ist höchste Zeit, dieses Bild neu zu definieren."

    So begründet der Mitorganisator und angesehen kroatische Autor Zarko Pajic das ambitionierte Motto des diesjährigen Schriftstellersymposiums. "Einen neuen Balkan schaffen" - diese Aufgabe prangt auf Plakaten in den Diskussionssälen der Pulaer Messe, hinter den Theken von Cafés, den Litfasssäulen der pittoresken Altstadt. Wie aber soll ein solch neuer Balkan aussehen?

    " Wir reden hier nicht über eine neue regionale Einheit. Ich rede über Dialog. Nicht einen über den in den Medien schwadroniert wird, sondern eine wirkliche kulturelle und politische Verständigung. Ich bin überzeugt, dass wir nur so zusammenarbeiten, das Europa nur so funktionieren kann."

    Um zusammenarbeiten zu können, meint Bajics Kollegin, die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Vodopija, müssten die Intellektuellen des Balkans jedoch endlich ihren eigenen Autismus beenden.

    "Wir müssen mit uns selbst und mit unseren Nachbarn reden. Vor allem müssen wir über unsere jüngste Vergangenheit diskutieren. Nur so können wir uns von unseren Mythen und gegenseitigen Vorurteile befreien. Aber dieser Prozess wird lange dauern."

    Von Pula aus wollen mehr als 200 Teilnehmer diesem Prozess neue Impulse verleihen. Darunter solch bekannte Autoren wie Slavenka Drakulić, Sasa Drndic oder Edo Popović. Wenn wir den Mythen den Nährboden entziehen wollen, meint der aus Sarajevo angereiste Nenad Velickovic, müssen die Schriftsteller sich gemeinsam und viel lauter als bisher gegen die Folgen einer überall praktizierten neuen Geschichtsschreibung wehren.

    "Eine Folge ist, dass sich in den letzten zehn Jahren Bücher mit national-politischen oder national-romantischen Themen besser verkaufen als alle anderen. Aber wo endet solche Art Pflege von Patriotismus. Sie endet immer im Nationalismus."

    Nicht für jeden aber sei das gleich erkennbar, meint der Journalist und Romanautor, Renato Baretic. Deshalb sei das schleichende Gift des Nationalismus so wirksam und so nachhaltig wie jene Klischees, die man in seinem Heimatland vom Balkan pflege.

    " Bei uns wird behauptet, wir Kroaten seien besser als die anderen Völker vom Balkan. Deshalb verachtet man öffentlich Cevapčići mit Zwiebeln - dabei schmecken diese Hackfleischröllchen nun wirklich allen. Das ist nur ein Beispiel, wie wir selbst das Klischee zementieren, auf dem Balkan zeige keiner sein wahres Gesicht. Dabei sollten wir selbstbewusst zu unserem kulturellen Reichtum stehen. Dazu gehört vor allem unsere Sprache. Ich habe neulich einen Vertrag mit einem serbischen Verlag unterschrieben. Jeder dort kann ohne Übersetzung verstehen was ich geschrieben habe. Das gilt auch für das Bosnische, Kroatische oder Montenegrinische. Wo in der Welt gibt es noch eine solche Situation? Wenn es um einen neuen Balkan geht, dann ist die Sprache das zentrale Element das uns verbindet. Darauf müssen wir aufbauen."

    Doch gerade die gemeinsame Sprache war lange Zeit Angriffsziel nationalistischer Kräfte. In den 90iger Jahren, so erzählt die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Vodopija habe man den Schülern mit aller Macht beibringen wollen, das Kroatisch und Serbisch völlig unterschiedliche Sprachen seien. Welch verheerenden Auswirkungen das habe, könne sie nun an ihrer eigenen Tochter beobachten:

    "Wenn ich meine Tochter beobachte, bemerke ich, dass sich die jüngeren Generationen kaum verstehen. Eigentlich sind in unserer Sprache türkische Lehnwörter völlig selbstverständlich. Die hat man im Kroatischen alle eliminiert. Mein Tochter aber versteht sie nicht mehr und ich muss sie für sie dolmetschen. Meiner Tochter ist Englisch viel näher."