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Einer der letzten Drehorgel-Bauer
Mehr als nerviges Gepfeife und Geleier

Eigentlich kam er aus dem Kirchenorgelbau, aber seit mehr als 40 Jahren gilt seine Leidenschaft der Drehorgel: Axel Stüber aus Berlin-Marzahn ist einer der letzten Drehorgelbauer in Deutschland. Doch wer glaubt, der Leierkasten gehöre zu den aussterbenden Instrumenten, der irrt. Denn eine Drehorgel hat mehr zu bieten, als man denkt.

Von Klaus Lockschen | 23.12.2016
    Ein Drehorgel-Mann spielt in Berlin.
    Drehorgeln können bis zu 14.000 Euro kosten. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Musik aus der Bacigalupo-Orgel erklingt, und während er die Kurbel dreht, kommt Axel Stüber ins Erzählen:
    "Als ich 1977 nach Berlin kam, standen in meiner Werkstatt zwei Drehorgeln, vom Vorgänger überlassen. Dadurch bin ich also gleich in die Drehorgelei hineingeraten, obwohl ich aus dem Kirchenorgelbau kam und in den ersten Jahren auch dort meinen Schwerpunkt sah. Aber es hat sich dann über die Jahre so entwickelt.
    Ich war in Ost-Berlin der einzige Orgelbauer, und dann kamen natürlich die Leute mit ihren Drehorgeln zu mir zwangsläufig. Und über die Jahre habe ich dann einen Narren an diesen Instrumenten gefressen und mache das nun 40 Jahre lang."
    Axel Stüber ist einer der letzten Drehorgelbauer hierzulande. Im Ausstellungsraum im Anbau eines Einfamilienhauses in Berlin Marzahn dreht der 62-Jährige mit Schwung die Kurbel seines derzeit wertvollsten Instruments. Feingefühl gehöre dazu, schmunzelt er, man stehe ja nicht am Fleischwolf.
    "Oh, Isabella", ertönt es mit Macht aus der 100 Jahre alten, gerade renovierten Bacigalupo, der Stradivari unter den Drehorgeln. Daneben stehen aufgereiht knapp 20 weitere Instrumente unterschiedlicher Größen – von der Bauchorgel bis zu 40-Kilo-Brocken auf nostalgischen Orgelwagen. Das gesamte Sortiment, das Stüber in Kleinserie baut.
    Wie eine Drehorgel funktioniert, erklärt er so:
    "Es wird eine Kurbel betätigt, die wiederum eine Kurbelwelle betätigt. An dieser Kurbelwelle ist mindestens ein Pleuel, wenn nicht zwei meistens, die Bälge betätigen. Also die Bälge, die den Wind schöpfen, um die Pfeifen dann anzutreiben. Und gleichzeitig gibt es ein Vorschubsystem eben für das Notenband. Die Ventile werden dann über das Notenband gesteuert."
    Klingt einfach, der Blick ins Palisandergehäuse beweist jedoch das Gegenteil. Hunderte filigraner Einzelteile sind da untergebracht: Hebel, Tasten, Bälge, Luftschläuche, Ventile, Andruckrollen, Holz- und Messingpfeifen. Alles Handarbeit. Drechsler-, Dreher-, Tischler-, Pfeifenmacherarbeiten kommen in Personalunion in diesem Handwerk zusammen. Und alles aus der eigenen Werkstatt im Souterrain des Hauses. Die ist 150 Quadratmeter groß und besteht aus einem Maschinenraum, ausgestattet mit allem, was ein Tischlerbetrieb benötigt, sowie einem Montageraum. Unordnung: Fehlanzeige! Hier Maßschablonen, da Messingrohre, dort Werkzeuge.
    In einem wandfüllenden Regal mit Lagerboxen sind die Kleinteile sortiert. Auch eher Exotisches wird gebraucht: Küchenkrepp, Bügeleisen, Babykostwärmer. Einer der beiden Mitarbeiter klebt gerade mit heißem Knochenleim Blasebälge aus Ziegenleder auf Holzrahmen und nagelt dünne Leisten über die Klebestelle.
    "An so einem Balg sitzt man durchaus anderthalb bis zwei Tage, ehe ein Balg für ein Instrument fertig ist",
    sagt Firmenchef Stüber selbst verpasst derweil an seiner Werkbank einer eingebauten Pfeifenreihe den Klangschliff. Für den Wind sorgt ein an der Kurbel angehängter Elektromotor.
    "Es ist also eine sogenannte gedeckte Pfeife",
    erklärt der Orgelbauer.
    "Wenn dieser Deckel oder Spund weiter in die Pfeife reingeschoben wird, wird der Ton höher, wenn ich ihn rausziehe, wird der Ton tiefer."
    Unten im Gehäuse sitzen die großen Tonerzeuger:
    "Die großen Pfeifen müssen mehrfach um die Ecke geklopft werden, um ihren Platz in dem Instrument finden zu können. Eine Trompete ist ja auch mehrfach um die Ecke gebogen, und hier bei den Holzpfeifen wird das eben auseinandergeschnitten und gewinkelt dann zusammengesetzt. Und das kann durchaus bei größeren Drehorgeln eine Pfeife von 1,2 Meter Länge sein, die ihren Platz im Instrument finden muss."
    Hoher Arbeitsaufwand für große und kleine Pfeifen
    Der Arbeitsaufwand für den Bau einer Orgel ist groß: rund 75 Stunden bei den kleinen Instrumenten mit 20 Tonstufen und damit mindestens 20 Pfeifen, und auch mal 250 Stunden bei den großen mit bis zu sechs Registern, ähnlich einer Kirchenorgel. Billig ist so eine Drehorgel nicht, räumt Stüber ein:
    "Preislich geht es bei unseren Instrumenten mit 2.900 Euro los. Nach oben gibt's keine Grenzen, aber unsere Grenze hört durchaus auf bei einer Serienanfertigung von 14.500 Euro. Das ist dann eine Trompetenorgel mit 100 Pfeifen und mit allen Schnickschnack, was man sich vorstellen kann, mit handgemalten Bildern dran, aufwendigen Intarsien."
    Das Musikrepertoire ist stattlich. Von Gassenhauern und Walzern bis zu Chorälen. Gut 400 der gelochten Bandrollen, elf Zentimeter breit und abgerollt 30 Meter lang, hat der Orgelbauer in überdimensionalen Setzkästen präsent. Jede Rolle für eine Spieldauer bis zu zehn Minuten.
    "Ich kann Ihnen das 'Halleluja' von Händel auf der Drehorgel für 31 Tonstufen spielen, bis hin zum 'Atemlos'. Das schaff ich sogar mit 20 Tönen",
    sagt Stüber nicht ohne Stolz.
    Moderne Musik ja, aber Elektronik, winkt Stüber ab, kommt nicht in den Kasten. Zu kurz sei deren Halbwertzeit. Er bleibe bei der mechanisch-pneumatischen Steuerung und den Notenbändern. Denn:.
    "Unsere Drehorgeln sollen 150 Jahre halten, und wenn da eine Kleinigkeit kaputtgeht, kann eben jeder Handwerker das auch noch in 150 Jahren reparieren. Überhaupt kein Problem."
    Klientel aus allen Schichten
    Umsatzzahlen nennt der Orgelbauer nicht, wohl aber den Absatz. Jährlich liefert er etwa 50 Instrumente aus, überwiegend an Kunden im Inland, aber auch 41 Länder stehen mittlerweile auf der Exportliste. Und die Kunden, sagt der Drehorgelbauer, haben oft ihre ganz speziellen Lebensläufe. Drehorgeln würden.
    "Oft von Leuten erworben, die irgendwo in ihrer Biografie einen Knick hatten beim Lernen eines Musikinstruments. Entweder waren sie zu faul oder das Geld der Eltern hat nicht gereicht. Und das geht dann sozial vom Apotheker über den Aufsichtsratsvorsitzenden, Minister bis hin zum Straßenmusikanten natürlich."
    Letzterer allerdings seltener als vielleicht vermutet.
    "Man muss sich das so vorstellen, dass etwa 90, wenn nicht sogar 95 Prozent der Instrumente, die wir auf den Markt bringen, nie auf der Straße zu sehen sind. Und sagen Sie nicht: zum Glück! Wehe, wehe!"