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Einer gegen alle

Medizin. - In den USA ist es zu Engpässen bei der Versorgung mit Impfdosen gegen das Schweinegrippe-Virus gekommen. Das liegt nicht zuletzt an der verbesserungsfähigen Produktionsmethode, die dort wie auch diesseits des Atlantik angewandt wurde. Der Engpass beim Impfstoff ist auch ein Thema auf dem Jahrestreffen der Amerikanischen Infektiologen, die sich zur Zeit in Philadelphia treffen.

Von Arndt Reuning |
    Bruce Gellin leitet das Büro des Nationalen Impfprogramms in Washington. Er und seine Mitarbeiter haben Sonderschicht um Sonderschicht geschoben, seit im April das neuartige Schweinegrippe-Virus aufgetaucht ist. Innerhalb eines einzigen Monats, in Rekordzeit, hatten die Regierungsmitarbeiter einen Impfstamm entwickelt, der am 21. Mai an die Hersteller der Vakzine ausgeliefert wurde. Aber schon der Start der Produktion stand unter keinem guten Vorzeichen, sagt der Mediziner.

    "Von Anfang an wussten wir, dass das Virus aus unserem Referenzstamm sich nicht besonders gut vervielfältigt hat. Die Ausbeute war vergleichsweise gering. Und das bedeutet, dass wir weniger Impfstoff gewinnen konnten, als wir eigentlich gehofft hatten. Das liegt einfach in der Natur der Dinge. Es ist nicht die Schuld der Hersteller, es ist nicht die Schuld der Regierung. Es liegt an den Prozessen, mit denen wir die Impfstoffe herstellen. Und während wir versuchen, die zu verbessern, suchen wir auch gleichzeitig nach neuen, überlegenen Technologien für die Zukunft."

    Die Methode, mit der die Hersteller ihre Grippeimpfstoffe erzeugen, hat sich seit Jahrzehnten nicht geändert: Die Viren wachsen in Hühnereiern heran und werden dann geerntet und zum Impfstoff verarbeitet – ein sehr arbeits- und zeitaufwändiges Verfahren. Laut Bruce Gellin gibt es eine gute Alternative dazu.

    "Wir haben auch schon versucht, unseren Herstellungsprozess auf eine breitere Basis zu stellen. Viren wachsen zum Beispiel auch gut in Gewebekulturen aus Säugetierzellen. Mit einer Vielzahl von Herstellern haben wir daran schon gearbeitet, aber im Moment gibt es in den USA noch keinen Anbieter, der dafür eine Lizenz besitzt. In Europa ist man da schon ein kleines Stückchen weiter. Es gibt dort ein paar Hersteller, die gerade damit anfangen, Influenza-Viren in Zellkulturen wachsen zu lassen."

    Mit den Gewebekulturen lassen sich täglich viel mehr Dosen der Vakzine herstellen als bisher, und außerdem müssen sich die Hersteller keine Gedanken mehr über den Nachschub an Hühnereiern machen. Denn die Tierzellen können sie leicht nachzüchten. Der Weisheit letzter Schluss im Kampf gegen Influenza ist aber auch das noch nicht. Das Nonplusultra wäre ein Universalimpfstoff, der vor allen möglichen Arten von Grippeerregern schützt – auch vor solchen, die vollkommen neu sind, wie im Fall der Schweinegrippe. Gellin:

    "Viele Wissenschaftler haben sich des Themas schon angenommen. Meiner Meinung nach ist das keine geringe Herausforderung. Aber jetzt, wo viele Menschen begreifen, wie wichtig diese Forschung ist, hat sie neuen Aufwind erfahren. Es ist nicht so, dass ein Universalimpfstoff schon zum Greifen nahe wäre. Aber die Zahl der Forschungsprojekte nimmt ständig zu, und eines davon wird hoffentlich einen Durchbruch schaffen – wenn auch nicht morgen schon."

    Die herkömmlichen Grippevakzine enthalten Bruchstücke von der Virenhülle, und zwar jene Eiweißstoffe, die wie Stacheln aus dem Körper des Erregers heraus ragen. Weil die sich aber sehr leicht durch Mutationen ändern können, müssen die Hersteller der Grippeimpfstoffe jedes Jahr aufs Neue ihre Produkte den gerade vorherrschenden Stämmen anpassen. Ein Universalimpfstoff müsste solche Teile der Virenhülle enthalten, die Mutationen gegenüber sehr viel beständiger sind. Ein vielversprechender Kandidat ist zum Beispiel ein Kanal für geladene Teilchen, der aus der Oberfläche des Influenzavirus leicht heraus ragt. Weltweit gibt es nur drei Firmen, die mit Bruchstücken des Miniatur-Röhrchens einen potentiellen Impfstoff entwickelt haben. Ob die neuartigen Vakzine aber auch tatsächlich in der Praxis vor einer Infektion schützen, das müssen sie erst noch beweisen.