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Einer gegen alle

Medizin. - Jedes Jahr ist eine Grippeimpfung fällig, weil es 16 verschiedene Grippe-Subtypen gibt und das Immunsystem gegen jeden einzelnen einen Antikörper produzieren muss. Virologen träumen schon lange vor einer Impfung, die vor allen Influenza-A-Subtypen gleichzeitig schützt. Oder einem Medikament, mit dem sich jede Grippe behandeln lässt. Ein europäisches Forscherteam berichtet jetzt in "Science" über einen Antikörper, der gegen alle Grippe-Typen zu helfen scheint.

Von Marieke Degen | 29.07.2011
    Am Anfang war es einfach nur Fleißarbeit. Die Forscher haben hunderttausende Antikörper in der Petrischale durchforstet, Antikörper von Grippe-Patienten. Und bei einem Patienten haben sie ihn dann tatsächlich aufgespürt: Einen Antikörper, der alle Influenza-A-Viren bekämpfen kann – die Schweinegrippe H1N1 genauso wie den Subtyp H3N2 oder die Vogelgrippe H5N1. Auch der Virologe Sir John Skehel war an der Suche beteiligt, er forscht am National Institute of Medical Research in London.

    "So ein Antikörper ist wirklich selten. Und wir haben auch keine Ahnung, warum der Patient ihn gebildet hat. Im November 2009 war er an der Schweinegrippe H1N1 erkrankt und ist ein paar Monate später noch einmal gegen die saisonale Grippe geimpft worden. Aber ob das irgendwas mit der Bildung dieses Antikörpers zu tun hat, wissen wir nicht. Wahrscheinlich ist der Patient auch nicht der einzige, der solche Antikörper herstellen kann, aber es ist sicherlich ungewöhnlich."

    Es gibt 16 verschiedene Influenza-A-Subtypen. Wenn wir uns mit einem Subtyp infizieren oder uns gegen ihn impfen lassen, dann bildet unser Immunsystem Antikörper – die normalerweise aber nur gegen diesen einen Subtyp helfen. Schuld daran ist das Hämagglutinin, ein Eiweiß auf der Membran der Grippeviren. Das Hämagglutinin ist der Angriffspunkt für die Antikörper. Doch jeder Grippe-Subtyp hat ein anderes Hämagglutinin, die sind alle unterschiedlich aufgebaut. Ein Antikörper, der an die Schweinegrippe H1N1 binden kann, kann nicht an Hongkong-Grippe H3N2 binden. Normalerweise. Doch der Antikörper, den John Skehel und seine Kollegen jetzt aufgespürt haben, ist anders.

    "So unterschiedlich die Hämagglutinine der 16 Grippe-Typen auch sind: Es gibt Abschnitte, die bei allen sehr ähnlich aufgebaut sind. Und genau an so einen Abschnitt kann unser Antikörper binden. Wir haben den Abschnitt genau bestimmen können. Und weil es diesen Abschnitt bei allen Hämagglutininen gibt, kann der Antikörper alle Influenza-A-Subtypen in Schach halten."

    Die Wissenschaftler haben auch gleich getestet, wie wirksam der Antikörper ist. Sie haben Frettchen und Mäuse mit verschiedenen Grippeviren infiziert und mit dem Antikörper behandelt. Mit Erfolg. Skehel:

    "Einige Frettchen haben wir sogar mit der gefährlichen Vogelgrippe, mit H5N1 infiziert. Die Frettchen wurden zwar krank, doch die Antikörper haben sie vor dem sicheren Tod bewahrt."

    Dieser Antikörper könnte zu einer Allzweckwaffe gegen die Grippe werden – auch bei Menschen. Er könnte zusammen mit herkömmlichen Grippemitteln wie Tamiflu eingesetzt werden.

    "Ärzte könnten mit diesen Antikörpern sehr schwere Infektionen behandeln, wie zum Beispiel die Vogelgrippe. Man könnte diesen Antikörper im Labor herstellen und in den Krankenhäusern im Kühlschrank lagern. Wenn ein grippekranker Patient auftaucht, dann könnten Ärzte die Infektion mit dem Antikörper stoppen. Ganz egal, welcher Grippe-Typ nun dahinter steckt."

    Vielleicht führen die Forschungsergebnisse eines Tages aber auch zu einem neuen Impfstoff. Ein Impfstoff, der vor allen Influenza-A-Viren gleichzeitig schützt. Denn die Virologen kennen jetzt den Abschnitt, der bei allen Hämagglutininen gleich ist. Und der alle Grippeviren angreifbar macht. Skehel:

    "Man könnte dieses Stückchen vielleicht in eine Impfung packen und das Immunsystem dazu bringen, genau solche Universal-Antikörper zu bilden, die vor allen Grippeviren schützen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg."

    Ob der Patient, von dem der Antikörper stammt, jetzt vor allen Grippeviren gefeit ist, das können die Forscher nicht sagen. Möglich wäre es. Es könnte aber auch sein, dass er einfach zu wenige von den Antikörpern bildet.