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Einer klagt für alle Geschädigten

Die Europäische Union hat Vorschläge zur Erleichterung von Sammelklagen gemacht. Dabei würden sich mehrere Verbraucher zusammenschließen, aber nur einer würde klagen, sagt Roland Stuhr vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Es sei aber ein anderer Weg als in den USA.

Roland Stuhr im Gespräch mit Georg Ehring |
    Georg Ehring: Für den einzelnen Verbraucher ist der Schaden klein, doch der Gewinn für ein Unternehmen kann sich durchaus sehen lassen. Unerwartete Zusatzkosten bei der Flugbuchung, überhöhte Bankgebühren oder Preisabsprachen zwischen marktbeherrschenden Firmen – wer von solchen Dingen betroffen ist, scheut meist eine Klage, denn der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Eine stellvertretende Klage im Namen vieler Verbraucher könnte Abhilfe schaffen. Die Europäische Union will den Bürgern das Durchsetzen von Ansprüchen auf diesem Weg erleichtern. Vorschläge dafür hat sie gestern vorgelegt. – Roland Stuhr beschäftigt sich beim Verbraucherzentrale Bundesverband mit dem Thema, und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Stuhr!

    Roland Stuhr: Guten Tag!

    Ehring: Herr Stuhr, wie würde eine Sammelklage denn laufen?

    Stuhr: Eine Sammelklage, die würde vermutlich so laufen, dass sich mehrere Verbraucher im Vorfeld vor der Klage zusammenschließen, dann aber in der Klage nur ein Verbraucher oder unter Umständen auch eine Organisation, die die Interessen dieser Verbraucher vertritt, klagen würde. Das heißt, die etwas bürokratische Prozedur des Gerichtsverfahrens würde sich dann im Wesentlichen auf eine Person beschränken und es müssten in solchen Fällen, wie sie eben genannt wurden, wo wahrscheinlich tausend oder vielleicht auch an die Millionen Verbraucher betroffen sind, nicht alle oder viele von diesen Verbrauchern vor Gericht ziehen.

    Ehring: Das heißt, wenn ich als Verbraucher mich daran beteiligen möchte, dann müsste ich im Prinzip nur die Kaufquittung vorlegen, um zu zeigen, ich war auch betroffen?

    Stuhr: Ja, das wird sich dann zeigen. Das ist sicherlich von Fall zu Fall verschieden, wie man dann darlegen und beweisen muss, dass man betroffen ist und dass man einen Schaden erlitten hat. Aber das Entscheidende ist zunächst einmal, dass überhaupt eine Art, ich sage mal, unbürokratisches Klageregister geführt wird, in das sich dann die Verbraucher eintragen lassen können, ohne dass sie zu einem Rechtsanwalt gehen und selber am Gerichtsverfahren mit allen Folgen, die das hat, und auch Kostenfolgen unmittelbar beteiligt sind.

    Ehring: Aber es gibt ja schon Gruppenklagen in Deutschland. Was wäre jetzt das Neue?

    Stuhr: Es gibt in dem Sinne keine Gruppenklagen. Es gibt die Möglichkeit, in gleich oder ähnlich gelagerten Fällen mehrere von diesen Fällen gemeinsam zu verhandeln. Das hat sicherlich prozessökonomisch seinen Sinn. Dann macht man eine Beweisaufnahme und es klagen meinetwegen fünf Verbraucher. Es bleibt aber in diesem Verfahren, was es in Deutschland gibt, dabei, dass für jeden einzelnen der Kläger oder unter Umständen auch Beklagten letztlich ein Gerichtsverfahren geführt wird mit allen Folgen, die das hat für denjenigen. Der steht dann nachher namentlich im Urteil drin und die Folgen, die im Prozess entstehen und für die man dann auch eine anwaltliche Hilfe benötigt, die treffen unter Umständen auch die Verbraucher uneinheitlich, die hier als Kläger auftreten. Das heißt also, das Verfahren, was wir kennen, mag im Einzelfall prozessökonomisch einzelne Fragen bündeln; ein wirkliches Gruppenverfahren wird sich damit aber nicht bewerkstelligen lassen.

    Ehring: In den USA gibt es immer Berichte über absurd hohe Forderungen und geldgierige Anwälte, die einen großen Teil des Klageerfolgs bei solchen Sammelklagen abgreifen. Schreckt das nicht ab von einer Nachahmung in Europa?

    Stuhr: Das schreckt ab von einer Nachahmung in Europa, das ist völlig richtig. Deshalb sind wir auch in Europa auf einem ganz anderen Weg. Das, was aus Brüssel kommt, was die EU-Kommission jetzt vorgestellt hat und was auch in Deutschland schon seit längerer Zeit diskutiert wird, das ist eine Bündelung des Gerichtsverfahrens. Das heißt, mehrere Verbraucher klagen gemeinsam. Die Probleme, die in den USA auftreten, sind keine Folgen, keine unmittelbaren und zwangsläufigen Folgen dieser Bündelung. Das sind ganz andere Mechanismen. In den USA zahlt zum Beispiel der Verlierer einer solchen Klage nicht die gegnerischen Anwaltskosten. Damit kann man, man könnte sagen, einfach mal drauflos klagen, die Kostenrisiken sind geringer. In den USA gibt es exorbitant hohe Erfolgshonorare für Anwälte. Das heißt, wenn die Anwälte erfolgreich klagen, dann bekommen sie im Regelfall ein Drittel oder auch mehr von dem, was eingeklagt wurde. In Deutschland gibt es dafür eine Gebührenordnung und das würde auch nach den neuen Vorschlägen nicht anders sein. Die verbieten nämlich, dass Klageanreize für Gruppenverfahren für Anwälte oder andere, die möglicherweise finanziell profitieren könnten, überhaupt erst durch die Regulierung gesetzt werden. Darüber hinaus gibt es in den USA das Instrument der Opt-out-Gruppenklage. Das heißt also: Opt out bedeutet, jeder, der an dem Verfahren inhaltlich beteiligt sein könnte, wird automatisch beteiligt und muss dann aber zum Gericht laufen und sagen, ich will gar nicht, ich will gar nicht Teil der Gruppe sein. Das wäre in Europa genau umgekehrt. Hier würde das Opt-in-Prinzip gelten, nur wer wirklich will und wer aktiv tätig wird, lässt sich eintragen in beispielsweise so ein Klageregister.

    Ehring: Roland Stuhr vom Verbraucherzentrale Bundesverband war das über Sammelklagen für Verbraucher – herzlichen Dank.


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