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Einfache Bilder

Der Norweger Stein Winge hat Nikolai Rimski-Korsakows selten gespielte Oper "Die Zarenbraut" in Frankfurt inszeniert. Handwerklich klappt alles zufriedenstellend, doch eine wirkliche Inspiration ist kaum zu erkennen.

Von Olaf Wilhelmer |
    Eine Ledersitzgruppe, ein Tresen, grüne Wände aus falschem Marmor: Willkommen bei der postsozialistischen Schickeria Russlands. Eigentlich befinden wir uns im Reich Iwans des Schrecklichen, also im 16. Jahrhundert. Doch schon für Nikolai Rimski-Korsakow war dieses Historiendrama 1899 ein Forum zur verdeckten Kritik an der späten Zarenherrschaft seiner Zeit. Also, dachte sich der norwegische Regisseur Stein Winge an der Frankfurter Oper, was den Romanows recht war, ist den Putins billig - und verlegte die Handlung ins heutige Russland: Die Geheimarmee des Zaren besteht aus schweren Jungs in Bomberjacken - kämpferische Verteidiger einer gewiss "lupenreinen" Demokratie. Von ihrer verantwortungsvollen Aufgabe entspannen sie sich bei einer gemeinsamen Vergewaltigung. Anschließend wird die Auserwählte per Gnadenschuss beseitigt. Grjasnoj, der Anführer dieser famosen Truppe, begehrt Marfa, die einem anderen versprochen ist. Ljubascha, seine bisherige Geliebte, ist abgemeldet.

    Die russische Mezzosopranistin Elena Manistina als mondäne Ljubascha ist die einzige unter den Sängern, die an diesem Premieren-Abend kein Rollendebüt gibt. Michail Jurowski begleitet mit dem Frankfurter Museumsorchester zuverlässig, aber nicht sonderlich differenziert. Auch die Regie sucht keine Feinheiten, sondern einfache Bilder: So fährt der deutsche Giftmischer Bomelius mit einem Mercedes auf die Bühne. Ljubascha verkauft er ein Mittel, das die Schönheit der Konkurrentin Marfa zerstören soll. Der Preis ist eine flotte Nummer auf dem Beifahrersitz - der Benz schaukelt dazu im Takt. Entsprechend lieblich die familiäre Gegenwelt Marfas, die der elegischen Lyrik der Gesangspartien und der raffinierten Zurückhaltung des Orchesters eher entspricht. Wer Rimski-Korsakows "Zarenbraut" interpretiert, muss zwischen den Extremen einer drastischen Bühnenhandlung und einer meist sanft schillernden Begleitmusik balancieren können. Die Spezialität des Produktionsteams scheint das nicht zu sein.

    Nach der Pause wird der Eindruck immer stärker, dass die Regie ihren konzeptionellen Anspruch aus dem Blick verloren und das Ende mehr oder weniger herunterinszeniert hat. Gifte und Intrigen entfalten ihre Wirkung, die doppelt begehrte Marfa wird Braut des Zaren und als solche wahnsinnig - doch der dritte und vierte Akt haben in dieser Inszenierung mit dem Realismus der ersten beiden Akte nur wenig zu tun. Schon die beliebige, konventionelle Ausstattung verweigert "heutige" Elemente, die man im ersten Teil noch als Grundlage der Interpretation kennen gelernt hatte.

    Stein Winge und Michail Jurowski haben große Erfahrung mit dem russischen Repertoire: Handwerklich klappt alles zufriedenstellend, doch eine wirkliche Inspiration ist schwer zu erkennen. Die Professionalität dieser Produktion ist sich selbst im Wege. So hängt schließlich alles an der respektablen Ensemble-Leistung der Sänger - und das ist immerhin im Sinne Rimski-Korsakows, für den Oper aus kantabler Lyrik bestand und nicht aus Dramatik. Nach einem verhaltenen Beginn lebte sich die Sopranistin Britta Stallmeister in die Titelpartie so hinein, dass ihr die Wahnsinns-Szene des Finales anrührend gelang.