Montag, 20. Mai 2024

Archiv


Einfachheit und leise Töne

Im Juni 1991 beginnt der Briefwechsel zwischen dem damals 78-jährigen Hermann Lenz, Autor des Romans "Verlassene Zimmer", und dem 26 Jahre jüngeren Dichter Rainer Malkowski. Die unprätentiöse, leise Freundschaft dauert nur sieben Jahre: Lenz stirbt 1998. Der Briefwechsel der beiden ist jetzt in einem bibliophilen Band erschienen.

Von Matthias Kußmann | 02.01.2008
    " Wenn ich Ihre Gedichte lese, gehe ich in meiner Erinnerung herum, schaue in "Verlassene Zimmer" hinein und sage zu mir: du hast 250 Seiten gebraucht, Malkowski aber kommt mit 16 Zeilen aus. "
    Kein schlechter Anfang für einen Briefwechsel. Hermann Lenz, Autor des Romans "Verlassene Zimmer", schreibt diese Sätze im Juni 1991 an Rainer Malkowski. Der hat ihm seinen neuen Lyrikband geschickt, in dem ein Gedicht mit dem gleichen Titel steht: "Verlassene Zimmer". Es ist der Beginn einer unprätentiösen, leisen Freundschaft, die nur sieben Jahre dauert; Lenz stirbt 1998. Der Briefwechsel der beiden ist jetzt in einem bibliophilen Band erschienen, im kleinen schwäbischen Verlag Ulrich Keicher. In den sieben Jahren besuchen sich die Freunde mitsamt Ehefrauen einige Male, oder sehen sich in der Münchner Akademie der Schönen Künste. Sie schicken Bücher und einzelne Texte, Malkowski spricht einmal sehr schön von "geräuscharmen" Gedichten. Das folgende liest er selbst:

    " Schloßbibliothek

    Die Vergeßnen stolz
    zur Wand gekehrt,
    in geschloßner Reihe
    Rücken neben Rücken.

    Die Nachmittagssonne und ich
    sind die einzigen Besucher.

    Auf dem Globus in der Ecke
    verdunsteten die Meere.

    Das gelbe Fernrohr auf dem Stativ
    sieht seit dreihundert Jahren aus dem Fenster.

    Was für ein Verlangen
    nach einem Mädchen, das gedankenlos
    in einen Apfel beißt. "

    Hermann Lenz antwortet:

    " Sie führen mich durch die "Schlossbibliothek", und ich rieche den Apfel, in den ein Mädchen gedankenlos hineinbeißt, obwohl es ihn und das gedankenlose Mädchen nur in der Phantasie gibt. (...) Der Apfel schmeckt mir, ohne dass ich ihn esse, weil er mit dem gedankenlosen Mädchen aus dem Trockenen, Ausgebleichten und Abgelebten seiner Umgebung als etwas Lebendiges hervortritt. Dies Lebendige ist in jedem Ihrer Gedichte, und das lob ich mir. "

    Hermann Lenz ist zu diesem Zeitpunkt 78 Jahre alt. Er blickt auf ein umfangreiches Werk zurück - mit dem er, nach erfolglosen Jahren, erst spät bekannt wurde. Im Zentrum steht der Romanzyklus "Vergangene Gegenwart", in dem er mit geradezu Proustscher Erinnerungs-Genauigkeit die Lebensgeschichte seines Alter egos erzählt, des schwäbischen Autors Eugen Rapp. - Rainer Malkowski ist 26 Jahre jünger als Lenz. Er geht quasi den umgekehrten Weg wie dieser. In den 60er Jahren ist er in Düsseldorf Miteigentümer der größten und erfolgreichsten deutschen Werbeagentur. 1972 lässt er sich seinen Anteil auszahlen, zieht sich ins Bayrische Brannenburg zurück und widmet sich fortan der brotlosen Kunst: Gedichte-Schreiben. Seine lakonischen Texte werden von Kollegen und der Kritik geschätzt; Verkaufserfolge sind sie nie. - Das sind zwei unterschiedliche Lebenswege, doch gibt es auch viele Gemeinsamkeiten der Autoren. Beide sind eher Außenseiter im Literaturbetrieb und halten freundliche Distanz zum Preis- und Jury-Zirkus. Beide mögen in der Literatur wie im Leben Einfachheit und leise Töne. Als Lenz 1993 in einem Radio-Gespräch gefragt wird, warum er schreibe, sagt er:

    " Um eine Zuflucht zu finden (...). "Ohne zu schreiben wär dir das Leben zuwider", hab ich in einem Gedicht geschrieben (...). Das ist alles. Ich bin kein Revoluzzer gewesen und keiner, der sich empört, kein Agitator. Mit alldem konnte ich mich nie identifizieren. "

    Das Gespräch führte damals Peter Hamm. Und der hat jetzt, ebenfalls bei Keicher, einen schönen Essay vorgelegt: "Dort wäre ich gerne geblieben. Hermann Lenz und sein Stuttgart". Er entwirft ein differenziertes Porträt des Autors und "schwäbischen Dickschädels", wie Lenz sich selbst nannte, vor dem Hintergrund seiner Heimatstadt. Lenz lebte Jahrzehnte in Stuttgart, bis er nach einem Erbschaftsstreit sein Elternhaus verlässt und nach München zieht. Er beschreibt das in seinem Roman "Seltsamer Abschied", in dem Eugen Rapp und dessen Frau Hanne am Schluss mit dem Möbelwagen gen München fahren:

    " Sie fuhren die Straße abwärts, die in das Tal führte. Die Hügel trugen ihre Wälder, als wären sie unverletzt und nichts könne zerstört werden. Ob es Hanne recht war, daß nun helles Wetter herrschte? Regen und Dunkelheit wären ihr vielleicht lieber gewesen, weil sie denken mochte: Der Eugen behält seine Heimat allzu freundlich in Erinnerung, wenn's heut so schön ist. Und er sah die Dörfer an, durch die sie fuhren, und in denen Feierabend war, als hätte sich seit langem nichts verändert. Obstbäume gehörten dazu, manche Häuser hatten braune Dachziegel von früher, und er dachte: Die hättest du schon als Kind sehen können. Ob du bald wieder hierher kommst? Und was wird sein, wenn du zu dir selbst sagst: Vor zehn Jahren bist du von Stuttgart weggefahren? Das Land entfaltete sich hell und weit. "

    In München lernt Lenz den Kollegen Rainer Malkowski kennen. Beide sind leidenschaftliche Geher, und mehrfach finden sich im Briefwechsel Metaphern des Gehens. Als einmal beide mit Texten im gleichen Heft der Zeitschrift "neue deutsche literatur" vertreten sind, schreibt Malkowski:

    " Es war eine Freude für mich, daß meine Gedichte im selben ndl-Heft standen wie Ihre meisterliche Prosa. Mir war bei diesem Zusammentreffen, als hätten wir einen Spaziergang zusammen gemacht, einen, auf dem nicht viel geredet werden musste. "

    Auch in den Briefen wird nicht viel geredet. Alles wichtige lässt sich in wenigen, aber immer herzlichen Worten sagen. Einmal senden die Malkowskis einige Fotos nach München, die sie bei einem Besuch der Lenzens gemacht haben:

    " Die kommen nun als Vorboten zu Ihnen und teilen mit, was jedermann längst weiß: alles Schöne vor dunklem Grund. "

    Alles Schöne vor dunklem Grund - das ist auch ein Bild für die Literatur und das Leben der Autoren zum Zeitpunkt des Briefwechsels. Als sie sich kennen lernen, ist Malkowski erst Anfang 50, hat aber eine schwere Augenkrankheit und beginnt zu erblinden. Der ältere Hermann Lenz ist zunehmend herzkrank; ab 1994 kann er Malkowskis Briefe nicht mehr beantworten. Klagen über ihre Leiden gibt es in den Briefen nicht; gelegentlich ein paar lakonische Worte zum Stand der Dinge, sonst nur Aufmunterung und Stärkung des anderen:

    " Lieber Herr Lenz, es ist jetzt 21 Uhr 41 an diesem 13. September 1994 und ich denke gerade an Sie. Ob es Ihnen wohl erträglich geht? Das ist eine dumme Frage, kommt mir vor - und ich weiß doch keine klügere, um Ihnen zu sagen, daß Sie in meinen Gedanken sind. Es summt so hier im Haus von Sätzen, die Sie schrieben, und auch dieses Summen macht es bewohnbar. "

    Was sich Lenz und Malkowski schreiben, ist kein "großer" Briefwechsel. Weder vom Umfang - es sind nur 26 Briefe und Karten erhalten, die auf 40 Seiten passen -, noch vom Inhalt her. Nichts Weltbewegendes wird verhandelt, man erfährt nichts Spektakuläres aus dem Leben der Autoren, auch nicht aus dem Literaturbetrieb: keine Nabelschauen, keine Skandale. Aber dieser kleine Briefwechsel ist Dokument einer stillen, intensiven Freundschaft zweier großer Autoren, die sich ohne "große Worte" verstanden - abseits der Aufgeregtheit des Betriebs.

    Bibliographie

    Als gingen wir ein Stück zusammen. Der Briefwechsel Hermann Lenz / Rainer Malkowski 1991-1998. Hrsg. von Renate von Doemming. 40 Seiten und zwei Beilagen

    Peter Hamm: Dort wäre ich gerne geblieben. Hermann Lenz und sein Stuttgart. 36 Seiten.
    Beide bibliophilen Bände im Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn