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Einfluss der Eltern
Wie Äffchen sprechen lernen

Mutter und Vater spielen eine wichtige Rolle beim Lernen einer Sprache. Das gilt auch bei Weißbüscheläffchen, haben US-Forscher herausgefunden. Lange Zeit dachte man, Menschen seien die einzigen Primaten, die das Sprechen von den Eltern lernen.

Von Michael Stang | 14.08.2015
    Das 33 Tage alte Weißbüschel-Affenbaby "Hugo" im Schweriner Zoo.
    Die kleinen Weißbüschel-Affen produzieren von Geburt an viele verschiedene Laute, lernen das Sprechen aber mit Elternhilfe (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Dass Forscher von den Ergebnissen einer Studie völlig überrascht werden, kommt nicht allzu oft vor. Im Fachmagazin "Science" berichtet Asif Ghazanfar von der Universität Princeton heute über so einen Fall.
    "Unsere Ergebnisse widersprechen allem, was wir über die Lautentwicklung von Neuweltaffen zu wissen glaubten", sagt der Neurowissenschaftler. Starke Worte. Was war passiert? Asif Ghazanfar wollte mit seinem Team die Lautentwicklung bei den kleinen Primaten untersuchen.
    "Wir haben uns für Weißbüscheläffchen entschieden, weil wir eine Tierart benötigten, die dem Menschen biologisch gesehen nicht zu fremd ist. Hinzu kommt, dass diese Krallenaffen sehr soziale Tiere sind, denn ähnlich wie Menschen kümmern sich beide Eltern um den Nachwuchs."
    Mehr als 70.000 Audio-Dateien gesammelt
    Und nicht nur die Eltern der in Brasilien beheimateten Affen kümmern sich um den Nachwuchs, sondern auch Geschwister, Onkel und Tanten. Bei diesen Krallenaffen herrscht also ein ausgeprägtes soziales Miteinander. Das bedeutet ein hohes Maß an Kommunikation. Asif Ghazanfar und seine Kollegen haben die Lautäußerungen von Jungtieren aufgenommen - und zwar vom Tag der Geburt bis zum Ende des zweiten Lebensmonats. Im Laufe der Studie sammelten sie mehr als 70.000 Audio-Dateien.
    "Was wir dann bei der Analyse beobachten konnten, war erstaunlich und unerwartet: Diese kleinen Affen produzieren von Geburt an viele verschiedene Laute. Und diese verändern sich binnen weniger Tage deutlich. Die ersten Laute klingen noch sehr unbeholfen, aber mehr und mehr klingen sie wie die Rufe, die sie als erwachsene Tiere später nutzen."
    Die Rufe der Jungtiere am Tag der Geburt klingen noch unstrukturiert. Nach knapp zwei Wochen ist dann schon ein Rhythmus hörbar. Nach 36 Tagen hören sich die Jungtiere schon ähnlich wie Erwachsene an. Und nach 60 Tagen schließlich ist die Entwicklung fast abgeschlossen, denn Krallenaffen entwickeln sich zwölfmal schneller als Menschen.
    "Science"-Video: Wie Weißbüscheläffchen sprechen lernen (Englisch)
    Altes Erbe der Evolution
    Allein mit der körperlichen Reifung lassen sich diese raschen Fortschritte bei der Lautbildung nicht begründen. Denn ein größeres Gewicht allein erklärt noch nicht, weshalb manche Tiere schneller lernten als andere. Weitere Experimente mit Tieren in Isolation zeigten zudem, dass die jungen Weißbüschelaffen ohne das Belauschen von Artgenossen nur selten die richtigen Laute erlernten.
    "In einem weiteren Experiment haben wir uns dann angeschaut, wie wichtig die Interaktion mit den Eltern ist. Dabei sahen wir, dass Jungtiere, deren Eltern richtig erzeugte Laute ihres Nachwuchses positiv unterstützten, also regelmäßig ein direktes Feedback gaben, wesentlich schneller lernten als jene, die diese Rückmeldung der Eltern nicht bekamen."
    Steckt also ein sozialer Lernprozess dahinter? Die Studie und ihre Ergebnisse hat auch Daniel Margolisch von der Universität Chicago gelesen und in "Science" kommentiert, ein renommierter Experte für das Erlernen von Lauten bei Singvögeln.
    "Wirklich spannend an der Studie finde ich, dass wir ein gemeinsames Muster erkennen können. Nicht-menschliche Primaten haben sich im Lauf der Evolution früh von unseren Vorfahren abgespaltet, aber die Basis ist dieselbe. Diese Affen machen ähnliche Entwicklungsschritte beim Erlernen von Lauten durch, wie wir das bei Vögeln sehen. Und dieser Prozess könnte derselbe sein, den wir Menschen beim Erlernen der Sprache durchlaufen."
    Will heißen: Es deutet vieles darauf hin, dass das Potenzial der Lautsprache keine menschliche Errungenschaft ist, sondern schlicht ein ganz altes Erbe der Evolution.