Archiv

Einfluss der Golfstaaten
Immer mehr Salafisten in Bosnien

Der Islam in Bosnien-Herzegowina galt traditionell als besonders europäisch, als friedlich und liberal. Doch seit Jahren haben strenggläubige muslimische Gruppierungen in dem Land Zulauf. Das liegt wohl auch am Einfluss der Golfstaaten. Einige Bosniaken begrüßen das, viele wehren sich.

Von Sabine Adler |
    Eine kleine weiße Moschee mit Minarett in Sarajevo. Im Hintergrund stehen Bäume und Häuser, davor parkende Autos.
    Auch dieser Moscheebau in Sarajewo wurde mit Geld aus Saudi-Arabien finanziert (Deutschlandradio/Sabine Adler)
    Vier Autostunden von Sarajewo entfernt liegt das Dorf Gornja Maoca. Eine Straße führt durch den Ort, in dem Besucher nicht willkommen sind. Die Menschen in Gornja Maoca wollen auch keine Mikros sehen in ihrem Dorf. Uns hat eine Kontaktperson das Gespräch mit Edis Bosnic vermittelt. Der 40-jährige, bärtige Mann mit der getönten Brille, dessen Familie 1992 in die USA vor dem Krieg geflohen war, meidet seit seiner Rückkehr in die Heimat die westliche Lebensart.
    "Wir tun unser Bestes. Der Koran sagt, dass wir für einen einzigen Zweck erschaffen worden sind: um Gott zu dienen. Leider werden die Menschen immer wieder von dieser Ideologie, ausschließlich Gott zu dienen, abgebracht – durch die Medien, durch das Fernsehen, durch Alkohol, durch alle möglichen Deformierungen. Aber eine Gesellschaft wie diese hier - die bewahrt mich und meine Kinder vor Alkohol, Drogen oder Prostitution."
    Verschleierte Frauen
    Aus Gornja Maoca kommen verurteilte Sympathisanten des sogenannten Islamischen Staates. Sicherheitskräfte behalten das Dorf im Auge, auch weil hier ein extremer Islam gelebt wird, der Bosnien eigentlich fremd ist. Frauen verlassen nur tief verschleiert das Haus, was die Bosnier anderswo im Land meist nur von Touristinnen aus den Golfstaaten kennen.
    "Die Kommunisten haben 1947 oder 1948 das Tragen des Schleiers unter Strafe gestellt. Nach dem Krieg 1992 wurde das Verbot aufgehoben und die Frauen tragen ihn wieder", sagt Bosnic. "Man kann es sehen. Nicht häufig, aber die Frauen haben die Freiheit, ihn zu tragen."
    Der fundamentalistische Islam kam mit dem Bürgerkrieg von 1992 bis 1995 in das Land, erklärt der Islamismus-Forscher Sead Turcalo: "Man schätzt, dass es während des ganzen Krieges nicht mehr als 700 Mudschaheddin gegeben hat. Sie haben weniger gekämpft, dafür mehr missionarische Arbeit durchgeführt, um die bosnischen Muslime zu einem neuen Verständnis des Islams zu konvertieren."
    Die sogenannten Gotteskrieger kamen aus Ägypten und Saudi Arabien, wohin es bis heute enge Verbindungen gibt. Mitunter zu enge, findet Muhammed Jusic, der Sprecher der Islamischen Gemeinde, die autonom sein will: "Wir bestehen darauf, dass unser religiöses Leben von uns selbst finanziert wird", so Jusic. "Wir akzeptieren nicht, dass jemand die Gehälter der Imame oder unsere Lehrer an den Ausbildungsstätten finanziert. Eine Kooperation kann es aber durchaus geben, wenn es um die Restauration oder Ausstattung von Moscheen geht."
    Geld aus Saudi-Arabien
    Ein modernes Einkaufszentrum in der Hauptstadt Sarajewo, Tourismus-Resorts und die König-Fahd-Moschee, die größte überhaupt auf dem Balkan, wurden mit saudischem Geld errichtet. Im ganzen Land, das immer noch von Kriegswunden gezeichnet ist, fallen hunderte Moscheen auf, nagelneu und schneeweiß.
    "Ich weiß nicht, ob jemand das gezählt hat, es sind sehr viele neu gebaut worden, besonders unmittelbar nach dem Krieg, als Saudi Arabien und andere Golfländer die neue Interpretation einzuführen versuchten", sagt der Islamismus-Forscher Turcalo von der Universität Sarajewo. "Das war der Hintergrund, warum sie so darauf gepocht haben, überall zumindest eine dieser Moscheen zu bauen. Und man erkennt sehr deutlich die Moscheen, die von den Golfländern gebaut wurden, dass sie sehr fremd in Bosnien aussehen."
    Das 200-Seelen-Dorf Gornja Maoca hat ebenfalls eine eigene Moschee. Während des Mittagsgebets lädt mich eine der komplett verhüllten Frauen in ihr Haus ein. Sie floh während des Krieges aus Banja Luka erst nach Sarajewo und lebt jetzt seit vier Jahren in dem abgeschiedenen islamistischen Ort.
    Auf die Frage, was Freunde in Sarajewo über Art zu leben sagen und ob sie manchmal herkommen, antwortet sie: "Nein, nur die Familie kommt her. Wir verstehen, dass sie Angst haben, denn es gibt jede Menge Geschichten über uns in den Medien. Du musst dich frei und wohl fühlen, bei dem was du tust. Wenn du dich nicht frei fühlst, geht das nicht."
    Missionierung stoppen
    Sicherheitsexperten schätzen die Zahl der Salafisten in Bosnien auf 20.000. Sie selbst sprechen von 50.000. Dringend nötig sei mehr diplomatischer Druck auf Saudi-Arabien, findet der Sprecher der Islamischen Gemeinde Jusic, damit die Missionierung durch saudische religiöse Organisationen aufhöre. Und für die einheimischen Imame hat die Gemeinde eine Broschüre mit Argumenten gegen die enge Auslegung des Islam verfasst: "Wir müssen dafür sorgen, dass diese Ideen nicht überhand nehmen. Und vielleicht geschieht ja endlich etwas, dass die finanzielle Hilfe für sie aufhört", so Jusic.
    Die Regierung in Sarajewo hat die sogenannten Parajamaats, also inoffizielle muslimische Glaubenskongregationen, verboten, niemand darf mehr ohne offizielle Erlaubnis Religion unterrichten. "Einige unserer Studenten gehen ins Ausland, nach Saudi-Arabien, Ägypten, Pakistan oder in die Türkei", erzält Jusic. "Das ist in Ordnung, wenn sie von uns dorthin geschickt werden und sie zuvor ihre Ausbildung hier bei uns absolviert haben. Von unserer islamischen Gemeinde wird nur angestellt, wer zum Teil bei uns ausgebildet wurde, die Verfassung unseres Landes respektiert und unsere traditionelle Auffassung des Islams. Die übergroße Mehrheit unserer Imame wurde in Bosnien ausgebildet."
    Muhammed Jusic ist Sprecher der Islamischen Gemeinde Bosnien-Herzegowinas
    Muhammed Jusic sitzt vor dem Friedhof seiner muslimischen Gemeinde in Sarajewo (Deutschlandradio/Sabine Adler)
    In dem multiethnischen und multikonfessionellen Bosnien bezeichnen sich 90 Prozent der Bürger als religiös. Gleichzeit habe das Land die allerhöchste Rate von Korruption in Europa, Probleme mit Spielsucht und Alkoholismus, beklagt Jusic von der Islamischen Gemeinde, die ihren Sitz in der Kaisermoschee in Sarajewo hat.
    "Offen für pluralistischen Islam"
    "Wir machen einen Unterschied zwischen Religion und Ideologie, wir werden hellhörig, wenn jemand Gewalt mit der Religion rechtfertigt. Aber wir sind offen für einen pluralistischen Islam. Wir beanspruchen ja kein Monopol auf den Glauben. Aber es gibt Regeln, auf denen wir bestehen."
    Wenn sich beispielsweise Edis Bosnic in Gornja Maoca in Interviews über das Kämpfen im Ausland äußert, hören ihm auch die Sicherheitskräfte genau zu: "Wenn ein islamisches Land wie die Türkei attackiert würde und um Hilfe bei der Verteidigung bittet, also um sich selbst zu verteidigen, dann hat derjenige, der am nächsten dran ist, die religiöse Pflicht zu helfen."
    Muhammed Jusic, der als Sprecher der Islamischen Gemeinde nicht nur Theologe ist, sondern auch zu extremistischen Islam-Strömungen forscht, bleibt Optimist: "Die europäischen Werte werden sich durchsetzen, auch die Toleranz und die religiöse Vielfalt, für die Sarajewo immer berühmt war. Wir stehen im Moment unter großem Druck, den Radikale aus allen Richtungen ausüben, um die Gesellschaft zu spalten. Der Radikalismus der einen Seite dient der anderen Seite, sich selbst zu radikalisieren."