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Einflussreicher Kunstkritiker

Zu seinen Freunden gehörten Wassili Kandinsky, Paul Klee, Joan Miró und zahlreiche andere Klassiker der modernen Kunst. Wie kein anderer übte der Kunstkritiker Will Grohmann Einfluss auf das Kunstverständnis der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aus.

Von Carsten Probst | 04.12.2012
    "Ich liebe Bilder, die nicht zu Ende sind. Das heißt, die so sind, (dass sie,) wenn ich mich von dem Bild trenne, in mir weiterarbeiten, sodass ich zum Schluss mir selber vorkomme, als wenn ich Mitarbeiter dieses Malers wäre. Und im Grunde genommen, das habe ich wirklich festgestellt in den letzten Jahren, sind nur die Maler und die Bilder für mich wichtig geworden, bei denen ich so eingeschaltet war, dass ich die Vorstellung hätte, ich hätte das Bild mit gemalt."

    Will Grohmann war der wohl bekannteste, einflussreichste, mächtigste Kunstkritiker im Nachkriegsdeutschland. Ohne ihn wäre es Ende der 40er-, Anfang der 50er-Jahre kaum zu einer schnellen, umfassenden Rehabilitierung jener klassischen Moderne gekommen, die von den Nationalsozialisten als "entartet" gebrandmarkt worden war. Dass diese Moderne nun zum Symbol für das "andere", das demokratische West-Deutschland werden konnte, das seine Lehren aus der Nazizeit gezogen hatte, war auch Will Grohmanns Verdienst. Er wirkte authentisch als Verfechter dieser Kunst – hatte er sich doch schon als Jugendlicher geradezu exzessiv mit ihr identifiziert.

    "In Dresden waren alle vier Jahre große Internationale Kunstausstellungen. Große Ausstellungen von 2000-2500 Kunstwerken. Und im Jahre 1904 war wieder eine so große Internationale Kunstausstellung, da war ich in der Oberterz. Und ich bin damals ohne jede Anregung, und ohne dass irgendeiner meiner Schulfreunde mitgegangen wäre, ungefähr dreimal in der Woche in diese Ausstellung gegangen, die drei bis vier Monate gehangen hat. Und ich erinner' mich heute beinah noch an alle Säle und an alle Bilder, die ich dort gesehen habe."

    Geboren am 4. Dezember 1887 in Bautzen war er früh mit seiner Familie nach Dresden gekommen – einem Schmelztiegel der jungen Moderne in Deutschland. Nach geisteswissenschaftlichem Studium in Leipzig und Paris wurde er hauptberuflich Gymnasiallehrer in Dresden, hielt zugleich jedoch Kontakt zu den expressionistischen Künstlern der Dresdner Sezession, der "Brücke", später auch des Bauhauses, allen voran zu Klee und Kandinsky; malte auch selbst und holte die berühmte Tänzerin Mary Wigman in die sächsische Metropole. Für die neuen Formen der Kunst fand er eine Sprache, die verständlich blieb für ein größeres Publikum und die auch von den Künstlern selbst akzeptiert wurde, über die er schrieb. Denn Grohmanns Texte erwuchsen aus der persönlichen Bekanntschaft mit den Künstlern – wie etwa Ernst Ludwig Kirchner.

    "Ich war ja nun auch in Berlin längere Zeit gewesen, ich kannte die Friedrichstraße, also seinen Hauptplatz in der Berliner Zeit für Bilder, Grafiken und Zeichnungen. Und ich versuchte, ich hatte die Vorstellung, man müsste diesen Dingen auf den Grund kommen und einmal feststellen, wieso es einem Maler gelingen könnte, das Tempo und die Nerven einer Zeit so einzufangen, dass man das Gefühl hatte, genau so ist es. Und das habe ich dann mit Kirchner durchgepaukt auf eine ziemlich rigorose Art, denn Kirchner war ja nun wirklich ein – im Gegensatz zu Klee und Kandinsky – ein sehr harter Mann. Und ich habe Stunden bei Kirchner erlebt, die nicht sehr erfreulich waren und für einen jungen Menschen auch schwer zu ertragen, aber ich hab es ertragen, weil ich das Gefühl hatte, es muss dabei etwas herauskommen. Für mich auch, ich habe von Kirchner enorm viel gelernt."

    Grohmann war dennoch umstritten in seiner machtvollen Position der Nachkriegszeit. Allzu einseitig, hieß es, setze er sich ein für die Abstraktion, verkenne, dass es zwischen "abstrakter" und "gegenständlicher" Kunst gar keinen historisch-moralischen Unterschied gab, wie er zuweilen insinuierte. Mittlerweile in West-Berlin lebend, wollte er die Kunst in der DDR, auch in Dresden, kaum gelten lassen, obwohl er wissen musste, dass es hier bei Weitem nicht nur Propagandakunst gab. Als er am 6. Mai 1968 in Berlin starb, galt er manchen gar als Sprachrohr westdeutscher Propaganda des Kalten Krieges.

    Während des Dritten Reiches seines Lehramtes enthoben, hatte er auch nicht mehr über moderne Kunst publizieren dürfen. In der inneren Emigration verfasste er freilich auch einige Artikel im Jargon nationalsozialistischer Rassenlehre, über die er später zeitlebens schwieg. So einflussreich, verdienstvoll als Anwalt der Moderne – so geschmeidig erscheint Will Grohmann heute zuweilen im Umgang mit der Macht gewesen zu sein.