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Einflussreichster Architekt der Nachkriegsperiode

Distanz und Unnachgiebigkeit, an erster Stelle gegenüber der Tradition. Denn wo es um die Vergangenheit ging, schienen Kompromisse unangebracht. Für Egon Eiermann war sie unerbaulich, auch an so prominenter Stelle wie in Berlin - also auch im Falle der Kaiser - Wilhelm - Gedächtniskirche, deren ausgebrannten Turmstumpf er sachdienlich sah:

Von Christian Thomas | 29.09.2004
    Wir sind in gemeinsamem Nachdenken zu dem Schluss gekommen, dass er nur noch Wahrzeichen, nur noch eine Ruine ist, ein Symbol sozusagen, ohne Funktion.

    Die Vergangenheit als geduldeter Überrest. So der 55-jährige Eiermann 1959, zur Weihe und Eröffnung seiner achteckigen Kirche, des Neubaus mit der berühmten Wabenmusterfassade, die er auf Abstand zur neuromanischen Gründerzeitruine hielt. Heute weiß man, dass Egon Eiermann allein mit beidem: mit dem Ensemble, für die Stadt ein Symbol schuf. Im Innenraum wegen der Verglasung ein blaues Lichtermeer, wurde die Kirche bald ein Atoll der Einkehr am tosenden Ku’Damm. Sie wurde ein Wahrzeichen genauso wie - nicht zuletzt - ein Fuchsbau der Frontstadtmentalität.

    Die Gedächtniskirchenerweiterung in Berlin, das Bonner Abgeordnetenhaus am Rheinufer (berühmt als der Lange Eugen), die Deutsche Botschaft in Washington, das IBM-Hochhaus in Stuttgart, die Olivetti-Türme in Frankfurt-Niederrad, nicht zuletzt der gemeinsam mit Sep Ruf entworfene Weltausstellungspavillon, 1959 in Brüssel: Kein Nachkriegsarchitekt wurde in der jungen Republik so sehr mit prestigeträchtigen Bauaufträgen bedacht wie der am 29. September 1904 in Neuendorf bei Berlin geborene Egon Eiermann.

    In allen Fällen gilt, dass Eiermann Bauten von feiner Profilierung und eleganten Proportionen hinterlassen hat, wenn man: Ja, wenn man mal absieht von seinen berüchtigten Wabenmusterfronten für den Kaufhauskonzern Horten. Die speckigen Fassaden wollen nicht passen zu dem kühlen Ästheten, der nicht zuletzt auch ein stilbildender Designer von Möbeln, Schränken, Tischen und Leuchten war, und dessen Sperrholzstuhl tatsächlich ein Klassiker wurde. Als Repräsentant der bundesdeutschen Architekturmoderne saß Eiermann, der von 1947 bis 1970 in Karlsruhe als Professor lehrte, auf den Podien der Republik, um gegen die alten Städte zu polemisieren:

    Ich finde die Enge alter Städte, auf die vorhin so reizend eingegangen worden ist als ein rühmenswertes Beispiel geradezu grauenhaft. Ich finde nett, hindurchzufahren, und ich bin froh, wenn ich wieder draußen bin, und die Vorstellung, dass ich in diesen alten, vermauerten Löchern hausen müsste, ist für mich eine tragische,

    so Eiermann 1951, auf den Darmstädter Gesprächen, die in den fünfziger und sechziger Jahren ein Forum der intellektuellen Auseinandersetzungen über Gegenwartsfragen bildeten, an dem sich die Prominenz aus Philosophie, Theologie und Soziologie - nicht zuletzt der Architektur beteiligte. Auch hier fand der Fortschrittsoptimismus wie überhaupt der Modernefuror in Egon Eiermann einen markigen Zukunftspathetiker. Und das, wo doch in Eiermanns Baukunst jede Form von Theatralik oder Monumentalität abwesend war. Dass er bereits seit 1930 und dann auch während der Nazizeit so entwarf, ist der Architekturgeschichte seit langem bekannt. Doch schon während dieser zwölf Jahre blieb sein Vokabular nüchtern.

    Egon Eiermann ist in der Nachkriegsperiode der Bundesrepublik bis zu seinem Tod im Juli 1970 der sicherlich einflussreichste Architekt gewesen. Seine Architekturen waren die gebauten Botschaften einer jungen Republik, die auf architektonisch bescheidene Gesten setzte. 1951, auf den Darmstädter Gesprächen, trat er auch auf, um im Rahmen heftiger Kontroversen sein Credo zu formulieren:

    Die Heimatlosigkeit liegt nämlich noch in etwas anderem begründet, in einem übergroßen Anspruch, der geäußert wird, um sich heimisch zu fühlen. Man muss lernen, mit einer unabdingbaren Bescheidenheit durch diese Welt zu gehen, und nicht mit einem Anspruch aufzutreten, dass man etwas haben will.

    Kompromisslosigkeit blieb eine mentale Konstante Eiermanns. Sie erklärt seinen enormen Einfluss als Architekt, als Hochschullehrer, als Berater und als Juror. Auf einem anderen Blatt steht, wie sachlich seine Baukunst daherkam - nicht zuletzt wegen ihrer häufig dünnhäutigen Skelettfassaden aus Stahlrohren und Sonnenschutzelementen. Noch heute bildet sie mancherorts eine herrlich antipathetische Hinterlassenschaft, in jüngster Zeit von Abrissgerät umstellt.